Keramik selber machen: Besser als Yoga und Meditieren
In ihrem ersten Töpferkurs produziert unsere Autorin lauter krummes Zeug. Liegt es daran, dass sie Anfängerin ist? Oder hat es einen anderen Grund?
Am Anfang ist da ein Klumpen Dreck. An seiner Entstehung sind Vulkane beteiligt, Winde, Regenfälle und Frost. Sie schaffen festes Gestein und zersetzen es in einem Millionen Jahre langen Prozess in feine Teilchen. Diese Teilchen bilden einen der ältesten Rohstoffe der Welt: Ton. Ein Produkt des Bodens, eine Manifestation von Zeit.
Dann ist da eine über 5.000 Jahre alte Technik. Eine schnell drehende Scheibe auf einer senkrechten Achse, entstanden vermutlich im Südwesten von Asien und ab 550 v. Chr. auch im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Schüsseln, Teller oder Krüge mussten nun nicht mehr Tonwulst an Tonwulst aufgebaut werden.
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Mit genug Wasser und Druck ließ sich die um sich selbst rotierende Tonmasse viel schneller und viel gleichmäßiger zwischen den Fingern formen. Es winkte die Serienproduktion. Einmal getrocknet, behält Ton seine Form. Setzt man ihn nun noch großer Hitze aus, verbinden sich seine mineralischen Stoffe quasi für die Ewigkeit. Aus Ton wird Keramik.
Von diesen Prozessen, von Tonteilchen und Töpfertraditionen weiß ich 2017 wenig, als ich mich zum ersten Mal an eine Drehscheibe setze. Die Werkstatt ist voller Tonstaub, in den Regalen sammeln sich getöpferte Becher, Schalen und Figuren. In der Ecke hockt der Brennofen. Gemeinsam mit einer Freundin habe ich einen der begehrten Zugänge zu diesem Ort ergattert. Die Kursleiterin der Volkshochschule doziert anfangs übers Tonschlagen, Zentrieren und Abdrehen. In den kommenden Stunden schaut sie uns über die Schultern. Erst mal gelingt nichts. Dann produziere ich Kleinstobjekte.
Doch Töpfern bleibt bei ihr ein Mysterium. Wir sollen wohl auf unsere eigene Art den Zugang zum Material und zur Technik finden. Dann fällt auch noch dieser Satz: Nur wer in seiner Mitte sei, bekomme den Ton richtig zentriert. Das Zentrieren ist beim Töpfern tatsächlich der entscheidende Schritt. Dreht der Ton nicht zentral in der Mitte der Scheibe, eiert er bei allen späteren Arbeitsschritten. Das als Anfängerin gut hinzubekommen braucht Übung.
Ist die schwankende Statik meiner Gefäße also ein Zeugnis meiner fehlenden inneren Ausgeglichenheit? Die Pragmatikerin in mir findet das zu esoterisch. Geht es beim Töpfern nicht einfach darum, ein Handwerk auszuüben, das mir die Herstellung einer Tasse made by myself ermöglicht? So oder so: Ich bin schon damals fasziniert und will ihn können, diesen Zaubertrick, den man an einem Batzen Material vollführt – mit der eigenen Kraft und Technik, den eigenen Händen und Fingern.
Andreas Lindemann, Erfinder der Töpferscheibe ETS300-6
Nach dem Kurs will ich weitermachen, aber die wenigen bezahlbaren Seminare in meiner Umgebung sind immer ausgebucht. Dann der Strategiewechsel: Wenn wir nicht zur Töpferscheibe gehen können, dann soll die Scheibe halt zu uns kommen. Vorab wird die Infrastruktur durchgedacht: Ein Freund hat noch ein Eckchen in seinem Atelier frei, dann kommen weder Tonstaub noch Schlicker in die eigene Wohnung. Und in einer Schule in der Umgebung gibt es einen Brennofen.
Also klicke ich mich mit meiner Töpferfreundin durch jedes Drehscheibenangebot in den Kleinanzeigen. Wir recherchieren die Preise von neuen Scheiben und bekommen schließlich einen Tipp für ein Anfängergerät in unserem Budgetrahmen. Nach wenigen Tagen kommt sie per Post, ist schnell aufgebaut und gehört von da an uns ganz allein: die ETS300-6.
Produziert wurde sie nördlich von Augsburg, ihr Erfinder heißt Andreas Lindemann. Seiner Schwester sei es 2011 so gegangen wie uns heute, erzählt er am Telefon, sie habe kein bezahl- und brauchbares Modell gefunden: „Dann hat sie gesagt, komm, du bist doch Maschinenbauer, bau mir mal eine.“
Sein erstes Gerät bestand aus einem Holzgehäuse, einem Motor und der notwendigen Elektrik, zusammengebaut im eigenen Keller. Prototyp 1 landete bei seiner Schwester, die damit lostöpferte. Aber vielleicht gäbe es auch andere Abnehmer*innen? Andreas Lindemann entwickelte sein Modell weiter und stellte es wenige Monate danach ins Netz, zunächst auf Ebay, später in einen eigenen Onlineshop.
Selbst töpfert Andreas Lindemann auch, doch inzwischen findet er kaum noch die Zeit dazu. Seit er seine Modelle anbietet, verkauft er von Jahr zu Jahr mehr Scheiben, in den letzten drei Jahren verdoppelten sich die Verkäufe sogar. Seine Pakete gehen nach Deutschland und Österreich, aber auch nach Dänemark, Frankreich und Rumänien.
Besonders vor Weihnachten sei die Hölle los. Dieser Töpferboom, der uns auch die Kurssuche so schwer machte, hat also schon vor einigen Jahren begonnen und setzt sich auch in den sozialen Medien fort: Auf Instagram und Tiktok kann man spätestens seit der Pandemie Menschen aus aller Welt beim Drehen betrachten.
Und vielleicht wirkt auch die Töpferszene aus „Ghost – Nachricht von Sam“ von 1990 noch nach? Patrick Swayze und Demi Moore, leicht bekleidet und mit glitschigen Händen an der Töpferscheibe, dann folgt: Hot Pottery. Auch Andreas Lindemann sagt, dass Drehen mit Spüren und Fühlen zu tun hat. Es ist definitiv eine sensuelle Erfahrung.
Das empfinde ich auch so, wenn ich an meiner ETS300-6 sitze, aus dem Ton eine Kugel rolle und sie in die Mitte der Drehscheibe drücke. Glatt und kühl liegt sie da, vielleicht hellbraun, vielleicht gelblich oder braunrot. Dann suche ich einen stabilen Sitz, breitbeinig, mein Körper beugt sich nach vorne, ein Ellbogen gräbt sich in die Hüfte. Die Maschine auf Highspeed stellen, die Hände ins Wasser tauchen. Den Ton mit der richtigen Kraft und den richtigen Handgriffen zentrieren, ihn mit einem Daumen öffnen, den Boden massieren, die Wände hochziehen.
Andreas Lindemann sagt, die Menschen fasziniere das Handgemachte am Töpfern: „Man formt ja aus einem Klumpen Ton etwas Wunderschönes und Symmetrisches. Einen Körper, den man praktisch nutzen kann. Und jedes gedrehte Teil ist ein Unikat, mit dem man sich selbst wieder identifiziert.“
Ähnliches beobachtet auch Mira Zichnowitz, der das Töpferstudio „Ceramics“ in Köln gehört. „Stadtmenschen brauchen irgendeinen Ausgleich“, sagt sie. Von den meisten Kursleiter*innen unterscheidet sich die 26-Jährige durch ihre Ausbildung. Zichnowitz ist Keramikmeisterin, gelernt hat sie fünf Jahre an der Keramikschule Landshut. Zurück in Köln machte Zichnowitz sich im Januar 2023 als Kursleiterin selbststständig. Anders als andere Studios bietet sie nur Kurse an der Drehscheibe an.
Funktioniert habe das sofort, ohne Werbung: Viele, die bei „Ceramics“ landen, hätten sich von den sozialen Medien zum Töpfern inspirieren lassen und kämen mit entsprechend großen Erwartungen. Dabei brauche es beim Töpfern anfangs viel Ausdauer. Sie selbst habe das Zentrieren in ihrer Ausbildung ein halbes Jahr lang geübt. Ist das Drehen an der Scheibe also doch bloß ein Handwerk, dessen Griffe und Technik jede*r lernen und dann ausüben kann?
Ja, sagt Mira Zichnowitz, die Technik lerne man mit der Zeit. Genauso wichtig sei beim Töpfern jedoch der innere Fokus. Und genau das fordere die Menschen heraus: „Wer keine Ruhe mitbringt, wird den Ton nur schwer zentrieren können. Man muss bei sich sein, sonst macht der Ton, was er will.“ Ihre Kurse halte sie bewusst intim und persönlich, die Gruppen sind klein: „Alle sind ruhig. Alle sitzen an ihrer Scheibe, reden nicht – das ist eine besondere Atmosphäre.“
Diese Atmosphäre kenne ich. Auch wenn ich mich mit meiner Töpferkollegin treffe, treten wir in diesen geteilten kreativen Raum ein. Manchmal erzählen wir uns noch von unserem Tag, aber oft schauen wir uns einfach gegenseitig zu, hören Alicia Keys, Tom Waits, Solange und fachsimpeln über unsere Handgriffe. Job, Haushalt, emotionale Troubles: Wenn die Scheibe surrt, rauscht das nur noch im Hintergrund. Dann ist der Fokus da, die Präsenz, die Ruhe.
Meine frühere Kursleiterin hatte also doch recht. Ich bin in meiner Mitte – und der Ton dreht in die richtige Richtung.
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