Propalästinensische Kunst in Venedig: Das Accessoire der Stunde

Auf der Biennale in Venedig kreist propalästinensische Kunst um ein Narrativ von Scholle und Wurzel. Was hat das bitte mit Kurt Cobain zu tun?

Ein T-Shirt mit dem Konterfei von Kurt Cobain liegt neben einem Palästinsertuch. Eine Installation von Emily Jacir

Armer Kurt Cobain! Hier in einer Kunstinstallation von Emily Jacir Foto: Ulrich Gutmair

Aktivistinnen tragen sie, Künstler tragen sie und kulturbeflissene Damen tragen sie auch. Wer in den Tagen um die Eröffnung der Kunst-Biennale in Venedig unterwegs ist, dem begegnet die Kufija in jeder Gasse. Sie ist das Accessoire der Stunde, ihre Bedeutung ist offen.

Die eine trägt sie vielleicht angesichts des Horrors von Gaza, als Zeichen der Solidarität mit den von israelischen Bomben getöteten Familien. Der Zweite trägt sie womöglich, weil es sich erhaben anfühlt, auf der richtigen Seite zu stehen. Der Dritte, weil er auf das baldige Ende des „Siedlerkolonialismus“ hofft.

In der Ausstellung „South West Bank“, die der australische Kunstkritiker Jonathan Turner in einem kleinen Souterrainraum nahe der Accademia für die Bien­nale zusammenstellte, fällt ein Stapel penibel gefalteter schwarz-weißer Kufijas ins Auge, zehn an der Zahl.

Gleich daneben zehn T-Shirts, auf denen das Gesicht Kurt Cobains zu sehen ist, darunter die Jahreszahlen 1967–1994.

Kurt Cobains Todesjahr

„South West Bank“: Artists + Allies x Hebron, Kunstbiennale Venedig, bis 24. November 2024

Künstlerin Emily Jacir hat die Kufijas und Shirts in einem Laden in Bethlehem entdeckt. Sie betrachtet diese Objekte als „Symbole globaler Kommodifizierung“, die zugleich an palästinensische Identität und palästinensischen Widerstand erinnerten. Denn das Geburtsjahr des Grunge-Stars Cobain sei das Jahr der Besatzung des Westjordanlands, Cobains Todesjahr wiederum das Jahr, an dem die PLO als Folge des Oslo-Abkommens aufgehört habe, eine revolutionäre Bewegung zu sein.

Jacir postete am 7. Oktober auf Instagram das Foto einer 85 Jahre alten, entführten Israelin und kommentierte: „Diese gefangene Siedlerin sieht glücklich aus. Ich hoffe, sie servieren ihr eine gute palästinensische Mahlzeit.“

„South West Bank“ versammelt Arbeiten von über zwanzig Künst­le­r*in­nen aus Palästina und ihren „Verbündeten“, wie es in den Ankündigungen heißt. Viele Werke beziehen sich auf die heimische Scholle, die Landwirtschaft, ihre Produkte und auf kommunale Erfahrungen.

Alte Olivenbäume

Ikonografisch auf den Punkt gebracht wird dieses Thema durch die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien von Adam Broomberg und Rafael Gonzalez. Sie zeigen alte Olivenbäume, Symbole für die Verwurzelung der Menschen mit dem Land, sind doch die Olivenbäume seit Jahrhunderten wesentlicher Teil der palästinensischen Agrarökonomie.

Dass diese teils selbst jahrhundertealten Bäume ex negativo auch auf jene verweisen, die keine Wurzeln haben, legt eine Publikation mit dem Titel „Researching Palestine“ nahe, die Teil der Ausstellung ist. Sie ist nach dem 7. Oktober entstanden und wurde von Chris Harding zusammengestellt.

In seinem Vorwort sind dem Historiker von der New Yorker City University der Mord an über tausend unbewaffneten Frauen, Männern und Kindern und die systematischen Vergewaltigungen durch Hamas-„Kämpfer“ keine Erwähnung wert. Harding nutzt den Begriff „Al-Aksa-Flut“ ohne Anführungsstriche und beschreibt das Morden vom Feldherrnhügel des Theoretikers aus als „Antwort“ auf einen über 75 Jahre währenden „Genozid“.

Okzidentales Kolonialunternehmen?

Für Harding war der 7. Oktober ein Angriff auf „das Israelisch-Okzidentale Kolonialunternehmen“ und seine „Kriegsmaschine“. Der Tag, „als die Hamas die Mauern, die das Konzentrationslager Gaza umgeben, durchbrach und koordinierte Angriffe auf Siedlungen und Armeestellungen ausführte“.

Die Broschüre liegt auf einem Tisch in der Mitte des Raums, auf einem Sockel gleich daneben stehen einige Flaschen Rotwein. Seine Trauben sind „indigen“, wie das Etikett verrät. Winzer Sari Khouri will mit seinem Wein an die Menschen des Natufien erinnern, einer Kultur im Westjordanland, die vor 8.000 Jahren Weintrauben zu kultivieren begann.

Auch die spätere kanaanitische Weinproduktion erwähnt er. Die Trauben seines Weins stammen aus einem alten Weinberg, der zum Teil von der israelischen Armee zerstört worden sei, um eine Straße zu einer neuen jüdischen Siedlung zu bauen. Vielleicht heißt der preisgekrönte Wein von 2021 deshalb „Trauben des Zorns“.

Auspuffrohre treffen auf üppige Vegetation

„South West Bank“ ist offizieller Satellit der von Adriano Pedrosa kuratierten Biennale-Ausstellung „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“. Am Entree des Arsenale nimmt Pedrosa den in „South West Bank“ gesponnenen Faden des Aktivismus auf und platziert dort die monumentale Bildtafel „Zorn ist eine Maschine in Zeiten der Sinnlosigkeit“ von Frieda Toranzo Jaeger.

Auspuffrohre treffen dort auf üppige Vegetation, eine lesbische Orgie und den Slogan „Viva Palestina“. Auch das Symbol der Melone fehlt nicht. Auf der Rückseite des Bilds findet sich die philosophisch fragwürdige Formel „Tod des Verlangens = Tod des Faschismus“.

Dahinter aber öffnet sich Pedrosas sehenswerte Ausstellung. Sie versammelt viele starke Werke, die ohne ideologischen Überbau auskommen und ihre eigenen ästhetischen Formen schaffen. Solche Kunst kann man teils auch in „South West Bank“ finden, sie wird dort aber dem Framing der Ausstellung untergeordnet.

Narrative, die nicht mehr aufgehen

Weder in Khouris Geschichte des levantinischen Weins noch anderswo kommen die jüdischen, israelitischen Menschen vor, die in dieser Region schon vor der Antike Spuren hinterlassen haben, einen weltgeschichtlich nicht ganz unbedeutenden Schriftkanon überlieferten und dazwischen ein paar Reiche gründeten. Es gab sie anscheinend nicht. Oder besser: Es soll sie nicht gegeben haben. Denn wenn es sie gegeben hätte, würde das von „South West Bank“ präsentierte palästinensische Narrativ nicht mehr aufgehen.

Dieses Narrativ zeigt sich als geschlossenes ideologisches Spiegelkabinett: Indigenen Menschen, Bäumen und Trauben mit tiefen palästinensischen Wurzeln stehen darin fremde, „israelisch-okzidentale“ Invasoren gegenüber. Wer „South West Bank“ gesehen hat, kann sich gut vorstellen, was durch die Köpfe der ekstatisch „Free Palestine!“ skandierenden Studierenden rauscht, die gerade US-Universitäten besetzen.

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