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Einsturz der Alten Börse in KopenhagenDieses Gefühl für die Ewigkeit

Die Kopenhagener sind fassungslos angesichts der Zerstörung ihrer Alten Börse. Immerhin retteten beherzte Passanten viele Kunstwerke.

Menschen beobachten den Brand in Kopenhagens alter Börse am 16. April Foto: Mads Claus Rasmussen/Scanpix/ap

Er spricht von den geschwächten Außenmauern, als wolle er sie in Schutz nehmen. „Das sind Mauern, die in den letzten Tagen unglaublichen physischen Kräften ausgesetzt waren“: Einsatzleiter Tim Ole Simonsen erklärt zwei Tage nach der Brandkatastrophe von Kopenhagen, warum nun nichts mehr sicher ist.

Die extreme Hitze des Feuers, der Kollaps anderer tragender Gebäudeteile – am Donnerstag sackte die erste Längsseite der historischen Börse in sich zusammen. Sie musste sich geschlagen geben, nach 400 Jahren Standhaftigkeit.

Europa hatte nicht einmal das erste Drittel des Dreißigjährigen Kriegs hinter sich, als die Börse von Kopenhagen gebaut wurde. Das nur, um ein Gefühl für die Ewigkeit zu bekommen, die 400 Jahre für Menschen und ihre Gewissheiten darstellen können.

König Christian IV. ließ „Børsen“ im Stil der Niederländischen Renaissance gestalten. Er wollte die Wirtschaft in der dänischen Hauptstadt ankurbeln, mit einer neuen Art Einkaufszentrum. Die Nutzung des Gebäudes änderte sich immer wieder, aber über all die Jahrhunderte blieb sie ein Haus für Handel und Gewerbe, ein Symbol für den dänischen Wohlstand.

Am Freitag galt für die Einsatzleitung in Kopenhagen ein neues Hauptziel: den reich verzierten Giebel zu erhalten. Wenigstens den. Er könnte integriert werden, als womöglich einziges verbliebenes Originalteil beim jetzt schon erhofften Wiederaufbau. Von dem hatte Brian Mikkelsen bereits am Dienstag gesprochen, als die Flammen noch wüteten. Der Direktor der Arbeitgeberorganisation Dansk Erhverv, deren Sitz die Börse seit 2007 ist, bekräftigte diese Absicht, als er am Mittwoch von einem Wachmann die verrußte Spitze des Drachenturms in die Hand gedrückt bekam.

Turm mit Fabelwesen

Der Drachenturm, ach: Er sollte dem Gebäude das gewisse Extra geben – mit seiner äußerst eigenwilligen Form aus Fabelwesen, die das Haus vor Angriffen und, ja, Feuer schützen sollten. Als er nun brennend umstürzte, sprachen die Menschen in Kopenhagen von ihrem „Notre-Dame-Moment“ – der Begriff half offenbar, einen emotionalen Ausnahmezustand zu beschreiben: die Fassungslosigkeit angesichts der totalen Zerstörung von etwas sicher Geglaubtem.

Von etwas, das, vielleicht bis dahin unbewusst, zur eigenen Identität gehörte. Wer da sagt, man solle sein Herz nicht an Dinge hängen, versteht nicht genug vom Menschsein.

Vielleicht nützt ein Blick auf Videos von ­Passanten, die Kunstwerke retten: Noch bevor alles vollständig in Flammen aufging, ­rannten Leute in das Gebäude und holten heraus, was sie greifen konnten. Eine ganze Gruppe war nötig, um das ikonische Gemälde von P. S. Krøyer „Fra Københavns Børs“ zu tragen. Hunderte Kunstgegenstände wurden aus der Börse gerettet, ein kleiner Lichtblick.

Ein ­anderer vielleicht dies: Der abgestürzte Drachenturm war nicht das Original, sondern eine bei der Renovierung 1777 eingesetzte ­Neufassung. Interessant für den erhofften Wiederaufbau – in 400 Jahren wird niemand mehr nachfragen, wie alt der Turm tatsächlich ist.

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