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Geflüchtete in SüdbrandenburgWenn der Bus nicht kommt

Schlecht angebunden, schlecht verpflegt – und auch noch angefeindet: Be­woh­ne­r*in­nen der Geflüchtetenunterkunft in Doberlug-Kirchhain wehren sich.

Die Unterkunft für Geflüchtete liegt mehrere Kilometer tief im Wald Foto: Sören Stache/dpa

Doberlug-Kirchhain taz | Mustafa steht im kühlen Schatten der Bushaltestelle und wartet. Gemeinsam mit ihm wollen zehn weitere Männer den Bus zum Marktplatz nehmen, um einzukaufen. Das Essen in der Geflüchtetenunterkunft, in der sie leben, sei für viele ein Problem, erzählt er. Es schmecke fad, sei verkocht oder reiche einfach nicht. Mustafa lebt seit November vergangenen Jahres im südbrandenburgischen Doberlug-Kirchhain.

In seiner Heimat hat er Softwareentwicklung studiert, daher spricht er ein wenig Englisch und lernt gerade Deutsch, um seine Ausbildung fortzusetzen. Mehr möchte er über sich nicht preisgeben, aus Angst, erkannt zu werden.

Mitten im Gespräch nähert sich der Bus, Mustafa reicht schnell seine Handynummer weiter und steigt ein, denn der Bus fährt nur dreimal am Tag Richtung Kirchhain. Wer nach 14 Uhr das Gelände der Unterkunft verlassen will, muss laufen – und zwar weit.

Die Gemeinschaftsunterkunft befindet sich in den Gebäuden der ehemaligen Lausitz-Kaserne, etwa drei Kilometer vom Ortskern entfernt. Bis zum Marktplatz braucht man eine Dreiviertelstunde, zum Bahnhof eine knappe Stunde. Am Wochenende fährt kein einziger Bus.

Unterkunft seit mehreren Jahren in Gebrauch

Die weiß-grünen Kastenbauten mitten im Wald hatte der Landkreis Elbe-Elster im Juli 2023 vom Land Brandenburg übernommen. Momentan leben dort rund 400 Menschen. Bereits seit 2015 hatte das Land das Gelände als Erstaufnahmeeinrichtung genutzt, in der Asylsuchende ihren Antrag stellten. Das Innenministerium hatte den Wechsel zur Gemeinschaftsunterkunft mit geringer Auslastung und vergleichsweise hohen Kosten begründet.

Die Anbindung an den Nahverkehr und die Verpflegung in der Unterkunft stehen seit Längerem in der Kritik. Rund 40 Geflüchtete beschwerten sich etwa im Februar in einem offenen Brief und erklärten in elf Punkten, was in Doberlug-Kirchhain verbessert werden müsste. Sie forderten unter anderem einen flexibleren Busfahrplan, eine bessere medizinische Versorgung vor Ort und mehr Mitspracherecht bei der Wahl des Kantinenessens.

In kleinen Teeküchen können sie zwar selbst kochen, doch ihnen wird trotzdem automatisch die Gebühr für das Essen abgezogen. Die Geflüchteten kritisierten außerdem rassistische Anfeindungen durch die An­woh­ne­r*in­nen und das Sicherheits- und Unterkunftspersonal.

Doch der Konflikt schwelt bereits seit dem vergangenen Sommer: Im Juli hatten die Be­woh­ne­r*in­nen mit einer Sitzblockade für bessere Lebensbedingungen protestiert. „Was in der Unterkunft passiert, verwundert uns nicht“, sagt Charlie von der Initiative „No Border Assembly“. Auch sie will lieber nur mit Vornamen in der Zeitung stehen.

Ein Treffen ohne Betroffene

Ihre Gruppe setzt sich laut eigenen Angaben für das Recht auf Bewegungsfreiheit für alle und gegen Abschiebungen ein. Charlie erzählt, sie habe Bekannte, die in der Gegend gewohnt haben und von Rassismus in Doberlug-Kirchhain berichten. Auch eine Anwohnerin beschreibt den Ort als „typisch Südbrandenburg“. Die Leute seien sehr konservativ bis rechts, auch wenn sie sich selbst so nicht bezeichnen würden.

„No Border Assembly“ ist seit der Sitzblockade mit den Be­woh­ne­r*in­nen in Kontakt und half ihnen im Februar, den offenen Brief zu verfassen. Wenig später gab es ein erstes Treffen mit dem Landkreis als Träger der Einrichtung, Mitgliedern des Flüchtlingsrates Brandenburg und Ver­tre­te­r*in­nen der Gruppe. Von den Bewohner*innen, die den Brief initiiert hatten, war niemand eingeladen.

„Der Landkreis dachte, dass wir die Unterzeichnenden mitbringen würden, die warteten aber auf eine ­eigene Einladung“, sagt Charlie. Der Landkreis bestätigt das. Da ihnen nicht bekannt sei, wer unterzeichnet habe und „No Border Assembly“ „medial als Mittler zu den Bewohnenden“ auftrete, habe die Initiative die Möglichkeit gehabt, Be­woh­ne­r*in­nen mitzubringen.

Seit dem offenen Brief und der Reaktion des Landkreises fürchten die Leute Konsequenzen

Charlie, Aktivistin

Raum für Diskussionen über die Forderungen habe es bei dem Gespräch sowieso nicht gegeben, berichtet Charlie. Der Landkreis habe lediglich eine später als Pressemitteilung veröffentlichte Liste mit Erklärungen vorgelesen. Darin stellte der Landkreis unter anderem klar, eine stündliche Busverbindung sei „unter Beachtung der im ländlichen Raum möglichen und üblichen Linienverkehre unrealistisch“.

Be­woh­ne­r*in­nen fürchten Konsequenzen

Jedoch stellte der Landkreis ein zweites Treffen in Aussicht, bei dem die Be­woh­ne­r*in­nen ihre Probleme schildern können. Daraus ist allerdings bis heute nichts geworden.

Charlie betont, das sei ohnehin schwierig: „Seit dem offenen Brief und der Reaktion des Landkreises fürchten die Leute Konsequenzen. Sie haben Angst, sich zu öffnen und über die Missstände zu berichten“, sagt die Aktivistin der taz. Mustafa sieht das ähnlich: „Auch wenn es in Deutschland keine rechtlichen Konsequenzen hat, über Missstände zu sprechen, sind es viele Leute aus ihrer Heimat anders gewohnt“, erklärt er.

Der Betreiber der Unterkunft, die Johanniter, weist darauf hin, dass wöchentlich Mit­ar­bei­te­r*in­nen in einer Art Sprechstunde als An­sprech­part­ne­r*in­nen für die Be­woh­ne­r*in­nen verfügbar seien. Zudem fänden regelmäßig Be­woh­ne­r*in­nen­ver­samm­lun­gen statt. Doch da komme ein weiteres Problem ins Spiel, erzählt Mustafa: die Sprachbarriere zwischen den Geflüchteten und den Mitarbeiter*innen.

In seinen Augen verschärfen die Verständigungsprobleme oft die Konflikte. So sind viele der Aushänge in der Unterkunft nur auf Deutsch. Insgesamt aber sei er vom Personal nicht besonders schlecht behandelt worden, sagt Mustafa. Im Ort selbst sei es anders, dort erinnert er sich an einen Vorfall, bei dem ein Ladenbesitzer sich geweigert habe, ihn zu bedienen.

Diskriminierungen durch Mitarbeitende

Doch offenbar gibt es ein Rassismusproblem in der Unterkunft. Eine Person, die in der Einrichtung gearbeitet hat und lieber anonym bleiben möchte, berichtet von rassistischen Anfeindungen gegen die Be­woh­ne­r*in­nen und ungleicher Behandlung: „Stereotype Aussagen, wie ‚Die Araber hinterlassen immer alles so dreckig‘, habe ich öfter gehört“, sagt die Person der taz.

Der Träger – der Landkreis – sowie der Betreiber – die Johanniter – geben hingegen an, dass ihnen keine konkreten Vorfälle wie dieser geschildert worden seien. Sollten derlei Vorwürfe bekannt werden, werde man diesen nachgehen.

Doch auch ein weiterer Fall gibt Anlass zur Sorge: Im Sommer 2023 protestierten An­woh­ne­r*in­nen gegen gegen die Gemeinschaftsunterkunft. Die Versammlung hatte die AfD organisiert. Teilgenommen haben sollen auch Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Einrichtung. „Die Leute fühlen sich sicher, weil sie in der Unterkunft arbeiten, da wirft man ihnen kein rassistisches Handeln vor“, mutmaßt die ehemalige mitarbeitende Person gegenüber der taz.

Die Johanniter weisen die Vorwürfe zurück, sie seien „haltlos und falsch“. Im Sommer 2023 habe man die Unterkunft zudem noch gar nicht betrieben, die betreffenden Personen seien also nicht bei den Johannitern angestellt gewesen.

Angebote vor Ort stärken

Jenseits der mutmaßlichen rassistischen Vorfälle fordert die anonyme ehemalige Mitarbeiter*in, die Angebote für die Be­woh­ne­r*in­nen in der Gemeinschaftsunterkunft zu verbessern: „Ob Sprachkurse oder psychologische Unterstützung – so etwas muss vor Ort stattfinden, um die Geflüchteten zu erreichen.“

Mustafa erzählt, er habe in der Unterkunft Deutsch gelernt – allerdings über Youtube. Seit April wohnt er in einer Stadt in Brandenburg. Dort plant er, nun einen C1-Deutschkurs zu besuchen.

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