Indiens Wahlkampf in Deutschland: Buhlen um die Diaspora
Seit 2014 hat sich die Zahl der Inder hierzulande verdreifacht. Neben Unpolitischen und Kritischen gibt es auch aktive Hindunationalisten.
Im letzten Jahrzehnt hat sich die Zahl der indischen Staatsbürger in Deutschland mehr als verdreifacht. Neben hochqualifizierten Arbeitskräften, insbesondere aus dem IT-Bereich, sind auch Zehntausende zum Studium gekommen, von denen viele bei Lieferdiensten oder in anderen prekären Jobs arbeiten. Mit dem deutsch-indischen Migrationsabkommen von 2022 hat sich der Einwanderungstrend noch verstärkt. Um die Viertelmillion Inder sollen laut der Ausländerzentralregister bereits in Deutschland leben.
Auf dem Tempelhofer Feld erzählen einige der Spieler, dass sie erst seit wenigen Monaten oder Jahren in der Stadt sind. Berlin gefällt ihnen sehr, wenn sie auch das Erlernen der deutschen Sprache als große Herausforderung sehen. Die Spielgruppe ist geografisch und sprachlich stark durchmischt – die Männer kommen aus Karnataka im Süden, Gujarat im Westen oder Uttar Pradesh im Norden. Ob sie sich auch ein Leben in Deutschland nach dem Studium vorstellen können? Die meisten sagen: ja.
Deutschland wird also immer indischer. Eine Realität, die im Schatten migrationspolitischer Debatten zu Asyl und Flucht medial kaum Thema ist. Vor der Wahl in Indien stellt sich die Frage, wie sich diese äußerst vielfältige Gemeinschaft entwickelt und mit welchen Problemen sie konfrontiert ist. Denn die politischen Umbrüche in Indien, unter dem immer deutlicher autoritären Kurs von Premierminister Narendra Modi, sind auch in Deutschland zu spüren.
Wählen kann die Diaspora nicht
Inder im Ausland können nicht in den Botschaften wählen, auch nicht in Berlin. Ein Student aus Gujarat, dem Bundesstaat, aus dem auch Modi kommt, verfolgt dennoch die Nachrichten zur Wahl und freut sich auf den voraussichtlichen Erfolg der BJP. Um die Zukunft der Demokratie macht er sich keine Sorgen: „Indien wird immer stärker, auch ökonomisch, und übernimmt eine globale Führungsposition – deswegen wird die Regierung von der Mehrheit unterstützt.“ Die anderen herumstehenden Cricketspieler wollen lieber nicht über Politik reden.
Der Familien- und Jugendberater Vilwanathan Krishnamurthy ist Vorstandsmitglied der Sri-Ganesha-Hindu-Tempelgemeinde an der Hasenheide und lebt seit 50 Jahren in Berlin-Neukölln. Noch immer interessiert er sich sehr für die Politik in seinem Heimatland. Während des Gesprächs kommen zahlreiche Familien in den Tempel – ein Verein von Migranten aus Südostindien feiert heute in den Räumen das Neujahrsfest.
Für Krishnamurthy liegt der Fokus der Gemeindearbeit auf Integration. Viele der neuen Migranten möchten hierbleiben, einige erwerben sogar Eigentumswohnungen, erzählt Krishnamurthy. Der Tempel solle dabei politisch neutral sein und für alle offen bleiben. Natürlich werde unter den Besuchern über die Wahlen diskutiert. Er selbst möge die Vermischung von Politik und Religion nicht, egal von welcher Seite.
Anders als in Großbritannien oder den USA merke Krishnamurthy aber in Deutschland keine Spannungen in der indischen Community. Darauf legt er auch Wert: „Wir sind im Ausland und können sowieso nichts ändern. Welche Regierung auch kommt, wir müssen mit ihr leben.“
„Etwas fundamentales zerbrochen“
Das sehen nicht alle so. Der Kulturanthropologe Jagat Sohail ist in Delhi aufgewachsen und forscht zur Migration in Deutschland. In Berlin lebt er seit fünf Jahren. Er fühlt sich sehr Zuhause hier, auch aufgrund der wachsenden Zahl der Menschen vom Subkontinent.
Sohail ist skeptisch, ob er sich unter den jetzigen Bedingungen wieder ein Leben in Indien vorstellen kann. In seinem Freundeskreis gebe es bereits die Empfindung, dass „etwas Fundamentales in unseren demokratischen Institutionen zerbrochen ist, besonders infolge der zweiten Amtszeit von Modi“, sagt er. Die jüngsten Ereignisse, wie Rücktritte von Wahlkommissionsmitgliedern und die Schließung der Bankkontos der Oppositionspartei fühlten sich an „wie das Totenglöckchen der Demokratie“.
Bahaar, Menschenrechtsaktivistin:
Besonders Akademiker und Journalisten sehen deshalb keine Zukunft mehr im Land. Auch seine Bekannten, die interreligiös heiraten wollen, fragen sich, wie es weitergehen soll. Diese „bedrückende Atmosphäre“, neben der sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit, würde die kommende Migration aus Indien sicherlich mit prägen.
In Berlins indischer Diaspora sind in den letzten Jahren regierungskritische Gruppen entstanden, die Proteste gegen Modis diskriminierendes Staatsbürgerschaftsgesetz oder in Solidarität mit den Bauernprotesten in Indien veranstalten. Es gibt auch Initiativen, ausgebeutete Fahrradkuriere vom Subkontinent zu unterstützen und zu organisieren. Im Allgemeinen schätzt Sohail aber, dass die Mehrheit der Inder in Deutschland sich lieber „als unpolitisch positionieren“ würde. Zudem seien sie, was Aktivismus anbetrifft, als Neuankömmlinge sehr vorsichtig.
Demgegenüber sind auch hindunationalistische Gruppen in Deutschland aktiv, das habe man bei der „enormen Mobilisierung zum Modi-Besuch in Berlin vor zwei Jahren beobachten können“, sagt Jagat Sohail. In mehreren deutschen Städten gibt es Ortsverbände der HSS, der Auslandsvertretung der paramilitärischen Nationalen Freiwilligenorganisation RSS.
Der Einfluss indischer Rechter wächst
Seit Jahrzehnten ist die indische Rechte äußerst aktiv in Diaspora-Gemeinden. „Die sind für sie nicht nur eine wichtige Quelle für Parteispenden, sondern können auch für Lobby-Aktivitäten eingesetzt werden“, sagt Sohail. Er beobachtet zudem, wie Politiker der BJP immer mehr Kontakte zu anderen rechten Bewegungen in Europa knüpfen, dabei ihre migrationsfeindliche Rhetorik übernehmen und gegen die muslimische Minderheit einsetzen. „Vor 20 Jahren wäre ein solcher Diskurs, der Muslime in Indien als Fremde markiert, unvorstellbar.“
Die Sorge um hindunationalistischen Strukturen im Ausland teilt auch Bahaar, die ihren richtigen Namen deshalb lieber nicht in der Zeitung gedruckt sehen will. Sie arbeitet im Menschenrechtsbereich und kam vor einigen Jahren nach Deutschland. „Derzeit organisiert sich die HSS vor allem im kulturellen und sozialen Bereich und lädt zu Yoga-Camps ein. Ihre Aktivisten verfolgen aber eine klare politische Agenda“, sagt sie. Es seien „starke und im Wesentlichen faschistische Netzwerke, die unbeobachtet in Deutschland operieren können“.
Im Januar, im Tempel an der Hasenheide, feierte die HSS die umstrittene Einweihung des Ram-Tempels, mit Tausenden Gästen, einschließlich des indischen Botschafters. Mit dem erfreulichen Zuwachs der indischen Community befürchtet Bahaar aber auch eine „stärkere Bedrohung gegen Andersdenkenden“ durch diese Akteuren.
Gegen diese rechte Einflussnahme wünscht sich Bahaar einen stärkeren Einsatz auch der deutschen Zivilgesellschaft. Besonders Gewerkschaften können dabei eine wichtige Rolle spielen, „denn sie können Inder, aber auch alle anderen Migranten, die formell oder informell prekär arbeiten, zusammenbringen und organisieren“. So würden Unterstützungsnetzwerke, die entlang ethnischer Linien geteilt sind, weniger relevant. Wichtig wäre auch, viel deutlicher den Hindunationalismus zu kritisieren und zugleich Solidarität mit progressiven Kämpfen in Indien auszudrücken.
Jagat Sohail stimmt mit diesem Punkt überein und bemängelt bei Deutschen auch „ein vermeintlich liberales Verständnis“, das Schwierigkeiten habe, „interne Machtkämpfe und Dominanzverhältnisse aufgrund von Klasse, Kaste, Religion, Sprache oder Geschlecht unter Migranten wahrzunehmen“.
Bei der indischen Diaspora in Deutschland handele es sich um eine äußerst heterogene Gruppe, und es sollte nicht vorausgesetzt werden, dass „indisch“ durchgehend die relevanteste Kategorie für sie selbst sei. Letztendlich stehe diese Vielfalt auch im klaren Gegensatz zur nationalistischen Vision, die die BJP propagieren möchte. Und diese Vision, sagt Sohail, sollte „weder in Deutschland noch in Indien Wirklichkeit werden“.
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