Politik in 100 Jahren: Gegen die Lügen
Heute reden Politiker*innen gerne mal Unsinn, oder können sich nicht mehr erinnern. Deshalb werden sie in Zukunft überwacht – und zwar immer.
S pitzenpolitiker zeigen sich dieser Tage nicht von ihrer besten Seite: Trump hat kein Problem damit, ein Video zu posten, in dem das Bild eines gefesselten und am Boden liegenden Biden gezeigt wird, Markus Söder verbreitete in der Talkshow von Sandra Maischberger im Juli 2023 so hartnäckig Lügen über die Grünen, dass sich das Erste zu einem ausführlichen Faktencheck veranlasst sah und Bundeskanzler Scholz lässt die Wahrheit im Cum-Ex-Skandal nur Scheibchenweise ans Licht kommen oder am besten gleich in seinem schlechten Gedächtnis verschwinden.
Ich frage mich, ob es ein unvermeidlicher Trend ist, dass Menschen immer abgebrühter, empathieloser und unehrlicher werden, wenn sie in Machtpositionen gelangen.
Als ich meinem zeitreisenden Freund Felix die Frage stelle, schüttelt er entschieden den Kopf: „Das liegt nicht am Menschen, sondern an zwei Organisationsproblemen: Selektion und Öffentlichkeit. Eure jetzige Demokratie ist noch so gestaltet, dass sich hauptsächlich gut verdienende biodeutsche Männer ab 50 in der Politik engagieren.
Aber das ändert sich: Ab 2040 werden Kommunalpolitiker*innen anständig bezahlt. Dann können es sich auch alleinerziehende Mütter, Menschen mit Migrationshintergrund oder Leute ohne finanzielles Polster leisten, in die Politik zu gehen. So wandelt sich das soziale Umfeld, in dem Politik stattfindet und damit auch die Themen und die Gepflogenheiten.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Verstehe, aber Veränderung heißt ja nicht notwendigerweise Verbesserung. Was hält die Politiker*innen der Zukunft davon ab, zu lügen?“, frage ich.
„Ab 2055 werden in Deutschland alle Politiker*innen vom Amtseid bis zur Entlassung digital überwacht“, sagt Felix. „Jede Besprechung, jeder Beschluss, jeder Befehl wird dokumentiert und archiviert.“
„Manche Dinge müssen doch aber geheim sein. Zum Beispiel, wenn es um die Sicherheit geht.“
„Diese Inhalte werden trotzdem aufgezeichnet und spätestens nach 10 Jahren bekanntgemacht. Alles andere ist jederzeit öffentlich nachvollziehbar. Weil stets protokolliert wird, was wirklich geschieht, ist es unmöglich, die Menschen später über die eigenen Handlungen zu täuschen. Wenn Politiker*innen etwas Falsches behaupten oder Trolle Fake News verbreiten, schlägt der automatische Faktenchecker sofort Alarm.“
„Automatischer Faktenchecker?“
„Wenn du deinen Kindern erklärst, ihr Taschengeld entspräche genau der für ihr Alter empfohlenen Höhe, dann zücken die doch sofort ihr Handy und googlen, ob deine Behauptung stimmt, oder?“
„Ja klar. Medienkompetenz ist super wichtig. Meine Kinder nutzen verlässliche Quellen, um den Wahrheitsgehalt von Informationen zu prüfen. Die lassen sich nicht so leicht übers Ohr hauen.“
„Sehr gut! Aber genau genommen ist es gesellschaftlich total riskant, den Faktencheck einzelnen Bürger*innen zu überlassen. Das sollte ein unabhängiges und kompetentes Institut übernehmen. Du misst doch auch nicht nach, ob in der Milchtüte wirklich ein Liter drin ist oder ob bei der Achterbahn alle Schrauben festgezogen sind. Deshalb ist bei uns in allen digitalen Endgeräten ein Faktenchecker installiert, der Falschinformationen erkennt und markiert. Die Politiker*innen fürchten einen Imageschaden, wenn sie beim Lügen ertappt werden, also lassen sie es bleiben.“
„Und wer garantiert, dass die Faktenchecker Software richtig liegt?“, frage ich.
„Das macht natürlich der TÜV!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“