Tee-Verkostung: „Man muss die Bitterkeit überwinden“

Kann man abends noch Tee trinken? Gibt es gute Beuteltees? Und was kann eine Teebegleitung, was Wein nicht kann? Eine Tee-Sommelière berichtet.

Eine Hand hält eine Teekanne aus der Tee in Schalen gegossen wird

Bis zu zehn Aufgüsse kann man von guten Tees schon mal machen – und dabei unerwartete Aromen entdecken Foto: Nils Hasenau

Der Gastraum des Oukan in Berlin wird von einem zwei Meter großen Bonsai-Ficus beherrscht. Die Wände sind aus Beton, das Interieur ist schwarz. Hier, in einem veganen Restaurant für japanische Klosterküche, arbeitet Kwok Ying von Beuningen als Tee-Sommelière. In einem durch Seile abgetrennten Separée lassen wir uns nieder.

wochentaz: Frau von Beuningen, als Tee-Sommelière in einem Fine-Dining-Restaurant heben Sie den Tee auf eine höhere Bedeutungsebene. Da frage ich mich ja gleich, was man beim Teetrinken alles falsch machen kann.

Kwok Ying von Beuningen: Wenig! Außer natürlich, man trinkt zu schnell. Deshalb passt es ja auch zu diesem Ort, an dem Achtsamkeit, Ruhe und Bedachtheit großgeschrieben werden.

Klappt das denn so mitten im trubeligen Berlin?

Kwok Ying von Beuningen, 48, ist in Hongkong aufgewachsen und lebt seit 2004 in Deutschland. Sie arbeitete als Teehändlerin und ist seit 2021 Tee-Sommelière im veganen japanischen Restaurant Oukan in Berlin.

Diejenigen, die ihren Wein sehr schnell trinken, tun das auch mit Tee – bloß geht das hier weniger desaströs aus. Wir schenken jeweils mit Bedacht kleine Mengen ein, um bewusst zur Langsamkeit einzuladen. Aber lassen Sie uns am besten selbst probieren.

Kwok Ying von Beuningen deckt den Tisch ein und gießt kochendes Wasser in ein mit Teeblättern gefülltes Tongefäß. Bereits nach einer halben Minute befüllt sie ein Trinkglas mit rotbräunlichem Tee. Nachdem wir die Farbe durch das durchsichtige Glas begutachtet haben, befüllt sie zwei Porzellanschälchen, deren Größe etwa auf halbem Weg zwischen Fingerhut und Kaffeetasse liegt.

Ich kenne Wein- und Edelbrand-Sommeliers, habe kürzlich eine Wasser-Sommelière kennengelernt und auch der kaffeekundige Barista ist mir geläufig. Von einer Tee-Sommelière hatte ich hingegen noch nie gehört. Welcher Weg führte Sie dorthin?

Ich bin in Hongkong und daher mit Tee aufgewachsen, und habe mich früh für ihn begeistert. Als ich 2010 nach Deutschland kam, wollte ich dann auch den beruflichen Weg in Richtung Tee einschlagen und habe Kurse zum Thema belegt. Schnell habe ich allerdings gemerkt: Ohne offiziellen Schein mit Stempel drauf geht hier wenig. Die IHK hat mir diesen dann mit ebenjenem Titel zur „Sommelière“ ausgestellt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und damit ging es dann in die Gastronomie?

Nein, zunächst bin ich in den Handel gegangen, habe also Tee ge- und verkauft. Das brachte mich nach China und Taiwan, wo ich wirklich von der Ernte auf dem Feld bis zum Verpacken eingebunden war und alle Prozesse noch einmal von der Pike auf gelernt habe. Das braucht man auch, um Tee zu verstehen. Oder, um zu verstehen, wie weit der Weg des Verstehens hier ist. Was sagen Sie zu Ihrem Tee?

Ich rieche Heu und Leder, etwas Animalisches, es riecht nach … Bauernhof. Aber auf eine gute Weise, nach Ferien auf dem Land bei Regenwetter.

Ich rieche Holz, sehr viel Holz, Erde, feuchten Waldboden, aber ja, da ist auch etwas Tierisches. Für mich ist das eine Einladung zum Waldspaziergang. Ein bisschen gelbe Frucht ist auch dabei. Das ist ziemlich typisch für diesen Tee.

Stimmt, beim Trinken merke ich das Holz auch, und ganz viel Laub. Was genau trinken wir und mit welchem Gang im Menü wird der Tee kombiniert?

Das ist ein Pu-Erh, mit dem ich einen Gang aus Kartoffelbrioche, Feigen und geröstetem Hojicha-Eis begleite. Hojicha wiederum ist ein gerösteter grüner Tee aus Japan. Diese leicht bittere, erdige Note von Pu-Erh passt schön zum Hojicha-Eis. Und seine leichte mineralische und waldige Seite lädt einfach zum Naturerlebnis im Herbst und Winter ein – da hatten wir den Gang auch auf der Speisekarte.

Wie plant man ein solches Pairing? Woher weiß man, was passt?

Ich bekomme ein Gericht von der Küche und ich denke nach, probiere aus. Es passiert auch, dass ich dann eine Begleitung vorschlage und die Küche das Gericht nachjustiert, sodass beide Komponenten perfekt miteinander kommunizieren. Manche Aromen ergänzen einander, andere stehen miteinander im Kontrast, wieder andere docken durch Ähnlichkeit aneinander an.

Lässt sich das in einem Beispiel veranschaulichen?

Kamairicha zum Beispiel hat wie die meisten japanischen Grüntees eine typische Uma­mi-Note. Aber dieser besitzt noch eine zusätzliche elegante Nussigkeit. Dazu ist eine in Olivenöl – ebenfalls leicht nussig – kurz gebratene Jakobsmuschel gut vorstellbar. Und Formosa-Schwarztee wie etwa ein Ruby Black Tea – das ist ein kräftiger Tee aus Taiwan – hat eine leicht malzige, süßliche Note und orangenblütenartige Blumigkeit. Der passt zu Ente mit einer dunklen Sauce oder mit glasiertem Gemüse.

Gibt es Dinge beim Tee-Pairing, mit denen der Gast sich schwer tut? Es ist ja doch noch für viele neu.

Klar, viele können sich zunächst einfach nicht vorstellen, dass Tee eine solche Komplexität entwickeln kann. Da heißt es dann „So viel Tee! Dann auch noch am Abend?!“ Und dann ist am Ende noch nicht einmal Alkohol drin! Viele sind aber auch einfach überrascht und dann total begeistert.

Das mit dem Abend hatte ich mich auch gefragt, in vielen Tees ist ja Koffein.

Diese Bedenken gibt es. Obwohl viele ja im Restaurant nach dem Essen noch einen Espresso trinken, der viel reicher an Koffein ist. Und Alkohol hilft dem guten Schlaf nun auch nicht unbedingt. Aber sicher, darüber haben wir uns auch Gedanken gemacht, weshalb wir beispielsweise auf den Kombucha gekommen sind – für die helle Variante fermentieren wir Blätter vom Sakura-Kirschbaum. Hier, das können Sie mal probieren.

Abermals deckt sie den Tisch ein, dieses Mal mit zwei verschiedenfarbig befüllten Sektgläsern, birnengelb und blutorangenfarben, an denen wir zunächst riechen.

Kombucha ist fermentierter Tee?

Das Koffein im Tee ist immer der Nährstoff für den Kombuchapilz. Im Fall unseres Sakura-Kombucha, das ist der hellere der beiden hier, benutzen wir dabei fermentierte Kirschbaumblätter als eine der Hauptzutaten.

Die Teebegleitung im Oukan ist gerade einmal zehn Euro günstiger als die Weinbegleitung. Das ist natürlich eine Ansage was Stellenwert und Qualität betrifft.

Ich würde hier Tee durchaus mit Wein oder Whisky vergleichen, da der ja auch gelagert wird und so seine Aromatik und Tiefe entwickelt. Man braucht zudem ein gewisses Know-how bei der Operation an sich, da das Aroma beim Tee noch mehrdimensionaler wird, es verändert sich bei den verschiedenen Aufgüssen.

Stimmt, so etwas gibt es bei Wein oder Whisky nicht – jenseits vom Atmenlassen oder mit Wasser betröpfeln. Gibt es im Blick auf das Vokabular Pa­rallelen? Wie kann ich mich für eine Teeverkostung begrifflich rüsten?

Die Geschmacksfelder sind tatsächlich ganz ähnlich. Pu-Erh schmeckt oft holzig, erdig, nach hellen Früchten wie Mirabellen. Klassischer schwarzer Tee hingegen kommt oft mit malzigen Noten, roten Beeren, Vanille und auch exotischen Früchten wie Mango oder Litschi. Ein leicht oxidierter Oolong wiederum schmeckt blumig, cremig, reichhaltig und rund.

Rote Beeren hätte ich auch bei diesem rötlichen Kombucha erwartet, aber da rieche und schmecke ich Kaffee und Kakao, sehr unerwartet!

Richtig, das liegt am Koba Sannenbancha, einem japanischen Grüntee, mit dem wir hier verfeinern. Gemeinsam mit Pfifferlingen, Wacholderbeeren und Ancho Chili weckt dieser Tee im Getränk Erinnerungen an dunkle Chilischokolade und Kaffee. Der dunkle Kombucha hier ist tatsächlich aus der Teepflanze, aber auch vielen anderen Zutaten hergestellt. Das ist für ein harmonisches Pairing dankbar, weil man an vielen Stellen anknüpfen kann. Hier haben wir im Gericht fermentierte Limette und Habanero-Koji, da findet eine schwarze Kommunikation statt: Beides sind schwarze Früchte mit starken Aromen, passend zu Kaffee und Kakao.

Klingt düster. Da brauche ich erst mal einen Absacker. Kann Tee das auch?

Natürlich. Beim Absacker arbeitet man verdauungstechnisch ja gern mit Bitterkeit. Derer gibt es beim Tee zweierlei, eine schlechte und eine gute. Die schlechte ist die, die zu lange bleibt, die andere Aromen übertüncht und die von minderer Qualität oder falscher Zubereitung zeugt. Und dann gibt es die gute Bitterkeit: Die wollen wir, sie verschwindet irgendwann und holt dafür Süße und Blumigkeit hervor. Man muss also die Bitterkeit überwinden, um auf die süße Seite zu gelangen.

Wie so oft im Leben. Trinken wir noch einen Aufguss?

Gerne! Bis zu zehn Aufgüsse kann man, je nach Sorte und persönlichem Geschmack, getrost machen. Gute Tee­händ­le­r:in­nen geben auch Auf­gussempfehlungen, aber auch hier gilt, dass man selbst herausfinden muss, wie man ihn trinken möchte.

Ich habe jetzt richtig Angst, wieder in meinem Teebeutel-Zuhause anzukommen. Gibt es gute Beuteltees?

Die gibt es bestimmt. Sie kommen mir nur ausgesprochen selten unter. Generell geht’s dabei darum, dass der Tee zu wenig Raum hat. Der will nicht so zusammengepfercht sein und braucht es freier.

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