Umbau auf Wasserstoffnutzung unsicher: Grüner Stahl kostet zu viel Kohle
Fördergeld für den klimaneutralen Umbau des Bremer Stahlwerks kommt. Doch das Unternehmen zögert bei der Investition: Grüner Wasserstoff sei zu teuer.
taz |
Damit haben jetzt alle staatlichen Stellen – Bund, Land und EU-Kommission – ihre Förderzusagen geliefert. Dennoch ist die Zukunft des Bremer Stahlwerks weiter nicht gesichert. Das Unternehmen Arcelor Mittal selbst hat noch nicht entschieden, ob künftig in Europa und an der Weser überhaupt klimaneutraler „grüner“ Stahl produziert werden soll.
Für die Transformation muss ein komplett anderer technologischer Pfad beschritten werden: Statt das Eisenerz im Hochofen mit Koks zu Roheisen zu schmelzen, sollen dem Erz die überflüssigen Sauerstoffatome nun in einer Direktreduktionsanlage entzogen werden. Mit Wasserstoff könnte der Sauerstoff dabei einfach zu Wasser werden – bisher verbindet er sich beim Schmelzen im Ofen mit dem Koks zu Kohlendioxid.
Bereits vor einigen Wochen hatte ein Interview des Europachefs von Arcelor Mittal, Geert van Poelvoorde, im belgischen Finanzblatt Trends für Aufregung gesorgt. Grüner Wasserstoff sei in Europa zu teuer, um damit Stahl zu produzieren, sagte er dort. „Es gibt keinen soliden Businessplan, der Wasserstoff rentabel macht.“ Mehr noch: „Wir werden ihn nicht nutzen können, denn er würde uns komplett aus dem Markt katapultieren“, lässt sich der Stahlwerkchef zitieren.
Landesregierung relativiert das Interview
Das klingt für sich genommen wie eine sichere Absage an eine Transformation europäischer Stahlwerke hin zur Wasserstofftechnologie. Der Weser-Kurier hatte bereits Anfang März auf das Interview verwiesen; das Bündnis Deutschland nutzte daraufhin eine Aktuelle Stunde in der Bremer Bürgerschaft, um Regierungsfraktionen und CDU Blauäugigkeit und Versäumnisse vorzuwerfen und den Umbau des Stahlwerks insgesamt infrage zu stellen.
Die Bremer Politiker*innen bemühten sich um Relativierung: „Ich habe selten so viel Unsinn gehört“, sagte Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) zu den Ausführungen von Sven Schellenberg von Bündnis Deutschland. Nichts an den Bedenken von Poelvoorde sei neu. „Wir haben schließlich vier Jahre mit den Kollegen verhandelt“, so Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke). „Das hat alles Eingang gefunden in den jetzt verabredeten Fördermechanismus.“
Das Interview sei einseitig zitiert und aus dem Zusammenhang gerissen worden, so die Kritik aus der SPD-Fraktion und der Wirtschaftssenatorin. Es bezöge sich in erster Linie auf ein Arcelor Mittal-Werk in Italien, das vor der Insolvenz steht, und auf das große belgische Werk in Gent.
Die Aussagen zu hohen Wasserstoffpreisen bezögen sich auf die Gegenwart und müssten mit Strompreisentwicklungen und anderen Trends, etwa dem steigenden Preis für CO2-Zertifikate, gegen gerechnet werden. „Wir erwarten schlicht, dass die Investitionen abgerufen werden“, endete Vogt ihren Beitrag in der Aktuellen Stunde.
Investitionsentscheidung hängt am Strompreis
Ganz so sicher ist das aber tatsächlich nicht. Das Unternehmen selbst hält sich alle Optionen offen: Ja, man habe weiterhin das Ziel, umzubauen, sagt ein Sprecher von Arcelor Mittal Deutschland gegenüber der taz.
Dafür habe man schließlich bereits einen zweistelligen Millionenbetrag investiert – in Studien, Planung, die Bauvorbereitung etwa. 34 Mitarbeiter*innen (von insgesamt 3.500 Beschäftigten) arbeiten für das Bremer Werk im sogenannten „Decarb-Team“, das eine mögliche Umstellung auf Wasserstoff in jeder Hinsicht vorbereiten soll.
„Es laufen viele Schritte“, so der Unternehmenssprecher. Aber er sagt auch: „Die finale Investitionsentscheidung steht nicht fest. Es ist noch viel zu tun.“ Konkret hängt die Zukunft des Projekts am Strompreis. Der nämlich bestimmt mittelbar, wie teuer eine Tonne grüner Wasserstoff wird: Man benötigt Strom, um ihn mittels Elektrolyseuren aus Wasser zu lösen. Es muss erneuerbarer Strom sein, damit der Wasserstoff als grün gilt.
Bei Arcelor Mittal Deutschland hat man klare Vorstellungen, wie teuer der Strom in Zukunft sein darf: Die Strompreise an der Börse müssten nur auf französisches Niveau fallen, also von heute etwa 65 Euro pro Megawattstunde auf 50 Euro.
Regierungen unter Subventionsdruck
Erreicht werden könnte das über den Brückenstrompreis, also eine Deckelung des Strompreises für bestimmte energieintensive Unternehmen. Die aber ist im vergangenen Jahr gescheitert. „Nur so können wir für die deutschen Werke faire Wettbewerbsbedingungen mit dem Rest Europas schaffen“, so der Unternehmenssprecher.
Interessanterweise hatte Europachef Poelvoorde gegenüber der belgischen Zeitung Trends gerade auf Deutschland als positives Beispiel beim Strompreis verwiesen hat: Dort sei die Politik viel eher als in Italien und Belgien bereit, der Industrie entgegenzukommen. Das Unternehmen baut also in den verschiedenen Staaten Druck auf, indem es jeweils auf die Politiken in anderen Staaten verweist. Innerhalb eines Jahres will sich Arcelor Mittal für oder gegen eine Investition entscheiden.
Flexible Förderung: Länger CO2 ausstoßen
Auch wenn der Umbau kommt, bedeutet er übrigens nicht von Beginn an klimaneutrale Produktion. Dafür gibt es gar nicht ausreichend Grünen Wasserstoff. Stattdessen ist geplant, dass Arcelor Mittal in der neuen Direktreduktionsanlage ab 2028 für die ersten Jahre auch noch Erdgas einsetzt und nach und nach immer mehr auf Wasserstoff umstellt. Ein Schlupfloch in den Förderbedingungen könnte aber dafür sorgen, dass lange Zeit ausschließlich Erdgas zum Einsatz kommt.
Erdgas hat die chemische Formel CH4 – der Sauerstoff aus dem Eisenerz reagiert dabei mit Erdgas teilweise zu Wasser, teilweise aber auch mit dem Kohlenstoffatom zu CO2. Das ist weit sauberer als der heutige Schmelzprozess mit Koks – 40 Prozent des Kohlenstoffdioxidausstoßes bleiben aber.
Im Vertrag mit Arcelor Mittal, verrät die Wirtschaftssenatorin, ist ein sogenanntes „Flexi-Tool“ vereinbart: Bei einer „ungünstigen Preisentwicklung“ dürfte das Unternehmen ganz legal bis Ende der Dreißiger Jahre auf Erdgas statt Wasserstoff setzen. Erst wenn der Preis in etwa auf dem Niveau des jeweiligen Erdgaspreises liegt, könne man von einem wirtschaftlichen Einsatz von Wasserstoff sprechen, heißt es aus dem Wirtschaftsressort. Ein Zugeständnis an Poelvoordes Sorgen vor hohen Kosten.
Dass das Unternehmen so die Förderung für den teuren Umbau abgreift, ohne irgendwann auch Klimaneutralität zu liefern, hält die Landesregierung für ausgeschlossen. Falls die Menge an verwendetem Wasserstoff nicht wie geplant steigt und – bis mindestens 2041 – genutzt wird, sollen Strafmechanismen wie Rückzahlungen greifen. Auch die Sicherung der Beschäftigung am Standort Bremen soll vertraglich festgehalten werden. Und: Sollte das Geschäftsmodell erfolgreicher sein, als erwartet, könnte über einen „Claw-Back-Mechanismus“ Geld an den Staat zurückfließen. Der Zuwendungsbescheid mit diesen Sanktionsmechanismen ist aber noch nicht verabschiedet.
Transparenzhinweis: Die Informationen zu den Sanktionsmechanismen lagen erst später vor und wurden nachträglich ergänzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“