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Textilkunst und EigensinnDie schönen Fäden sind politisch

Gestickte Szenen staatlicher Gewalt, afroamerikanische Quilts: Textilkunst ist international. Das zeigt die Ausstellung „Soft Power“ in Potsdam.

Die Ausstellung „Soft Power“ bespielt alle Ebenen Foto: Ladislav Zajac, © VG-Bildkunst Bonn, 2024, Hamid Zénati Estate

In der Vergangenheit galten textile Arbeiten zwangsläufig als die Domäne von weiblichen Künstlerinnen. Anni Albers wurde im Weimarer Bauhaus noch selbstverständlich der Weberei zugeteilt. Gleichzeitig schien das Medium auch durch seine Nähe zu kunsthandwerklichen Techniken lange Zeit weniger Aufmerksamkeit zu genießen.

Doch nicht zuletzt das derzeit wachsende Interesse an der Gestaltung des Alltäglichen, aktuelle Identitätsdiskurse und globale Perspektiven haben den Blick auf das Textile in der zeitgenössischen Kunst inzwischen verändert.

Aber was ist eigentlich Textilkunst? Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Ausstellung im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk. „Soft Power“ zeigt eine umfangreich Auswahl internationaler Künstler:innen, die alle und vielseitig mit textilen Strukturen arbeiten.

Ein großformatiger Wandteppich des südafrikanischen Künstlers und mehrfachen Documenta-Teilnehmers William Kentridge eröffnet programmatisch den Ausstellungsrundgang. Die Mohair-Tapisserie zeigt eine dunkelflächig skizzierte Figur, die mit gestreckten strommastartigen Beinen über eine historische Landkarte schreitet. Die stellt „Deutschland und die angrenzenden Länder im Süden und Osten“ dar.

Die Ausstellung

Soft Power: Das Minsk Kunsthaus in Potsdam, bis 11. August

Für den britischen Kurator Daniel Milnes bildete diese Neuerwerbung aus der Sammlung Hasso Plattner den Ausgangspunkt der Schau. Auch die Textilcollagen der polnischen Rom*nja-Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas haben die konzeptionelle Entwicklung des Projekts entscheidend beeinflusst. Auf großen figurativen Gemälden hält Mirga-Tas den Alltag der gesellschaftlich marginalisierten Gemeinschaft fest und verarbeitet dafür die abgelegte Kleidung der Porträtierten.

Gestickter Protest

Eine enge narrative Verbindungen zwischen Form und Inhalt geht auch Rufina Bazlova in „Saga of Protest“ ein. Auf sieben Meter langem Leinen zeichnet die 1990 geborene Künstlerin gewaltsame Szenen staatlicher Repression gegen die belorussische Zivilgesellschaft 2020/ 2021 nach. In den Darstellungen der Proteste greift Bazlova auf Motive traditioneller Stickerei ihres Heimatlandes zurück, angefertigt in rot-weißer Maschinenstickerei.

Andere Arbeiten der Ausstellung wirken abstrakter. Wie das Wandrelief von El Anatsui aus aus alten Flaschenverschlüssen, Aluminiumteilen und Kupferdraht. Der 1944 in Ghana geborene Künstler aber verbindet mit dem Verknüpfen des Materials auch eine Erzählung über Gemeinschaft, Kolonialismus und Sklavenhandel. 2019 widmete ihm das Haus der Kunst in München die erste Überblicksschau in Europa.

Auf zwei Ebenen präsentiert „Soft Power“ nebeneinander die Werke von mehr als 35 Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen und Kontexte. „Es war mir wichtig, dass alle Perspektiven vorkommen“, begründet Daniel Milnes die sehr breit angelegte Auswahl.

Soft Power macht Verflechtungen zwischen internationaler und lokaler Kunst sichtbar

Das Minsk, ein Museum für Kunst nach 1945, wurde 2022 in einem Gebäude der DDR-Moderne von der Hasso ­Plattner Foundation eröffnet. Das Kunsthaus in dem ehemaligen Terrassenrestaurant bemüht sich in seinem Programm um einen Dia­log und größere Aufmerksamkeit für die Werke von Künstlerinnen und Künstler der DDR. „Soft Power“ macht solche Verflechtungen zwischen internationaler und lokaler Kunst sichtbar.

Neben einer streng geometrisch konzipierten Patchwork Decke der Ostberliner Textilgestalterin Elrid Metzkes (1932–2014) präsentiert die Ausstellung auch zwei Arbeiten von Gabriele Stötzer. Die 1953 geborene Erfurter Schriftstellerin und Künstlerin arbeitet mit unterschiedlichsten Medien. Eine 1985 in herbstlichen Farben gewebte Wandarbeit zeigt einen erigierten Penis in leuchtendem Rot und Orange. Sie trägt den Titel „Der große Schwanz“. Auf dem Ölgemälde „Seher in der Wüste“ erscheint eine Gestalt vollständig von hellem Tuch verhüllt. Das Kleinformat entstand 1978 nach ihrer Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck.

Zirkel Textilgestaltung

Während der DDR existierte in Potsdam ein umtriebiger „Zirkel für künstlerische Textilgestaltung“. In einem Nebenraum der Ausstellung dokumentieren Filmausschnitte und eine Vitrine das Schaffen des ehemaligen Freizeit-Kollektivs – während ein Wandteppich derselben Gruppe mit Jagdszenen vor historischer Kulisse durch seine Biederkeit verblüfft.

Der Kontrast zu den Gee’s Bend Quiltmakers könnte nicht größer sein. Welten liegen dazwischen. Seit Generationen entwerfen die afroamerikanischen Frauen von Gee’s Bend, einer abgelegenen Gemeinde und ehemaligen Baumwollplantage im Süden Alabamas, Steppdecken aus Stoffresten in Handarbeit. Ihre eigenwilligen Quilts wurden in den 1970er Jahren von der Kunstwelt entdeckt. Die New York Times zählte sie zu den „wunderbarsten Werken moderner Kunst, die Amerika je hervorgebracht hat“. Ihre geometrischen, farbintensiven Muster sind nun auch in Potsdam zu sehen.

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