Zurück aus der Hauptstadt: Berlin, die Stadt des Mangels

Endlich ist unser Autor wieder umgeben von Dohlen und Dorfgaragen. Nachdem er sich in Berlin den Rest seines Hasses auf die Stadt abgeholt hat.

Leeres Gemüseregal im Supermarkt

Überfluss geht anders: Leere Regale in einem Berliner Supermarkt Foto: Christoph Soeder/dpa

Ich bin wieder zu Hause: nicht als schnöde Ortsbestimmung, sondern in feuchtwarmer Glückseligkeit gesagt. Ich bin raus aus der Stadt, in der ich ein paar Tage zu arbeiten hatte, und wieder draußen auf dem Land. Just komme ich aus dem Garten, der zwar noch etwas trist aussieht, wo man aber gut sitzen und in die verhältnismäßige Weite bis zur nächsten Hecke gucken kann. Und lauschen, zum Beispiel nach dem nervenzehrenden Schaben und Klappern hinter dem Zaun, ob es nun von den Dohlen stammt, die irgendwas zerhacken – oder ob sich der Nachbar wieder an seiner gemeingefährlichen Eigenbau-Solarmaschinerie auf dem Garagendach zu schaffen macht.

Außerdem gibt es hier draußen endlich wieder was zu essen. Und fließendes Wasser und halbwegs stabiles Internet mit Glasfaser­anschluss. In der Hauptstadt war das gestern noch anders. Es mag schon sein, dass das Gegenteil die populärere Erzählung ist, aber ich habe Berlin immer als eine Stadt des Mangels erlebt.

Zum Teil ist das sicher meiner spartanischen Reiseausrüstung geschuldet, unglücklichen Zufällen und mangelndem Metropolen-Knowhow – aber es ist schon ein irgendwie bedrückender Dauerzustand, der sich da jedes Mal wieder entfaltet zwischen ausgeplünderten Supermärkten, mit Bauzäunen verrammelten U-Bahn-Stationen und dem dann eben doch einzigen Späti in der Nähe, dessen Betreiber seit Stunden „gleich wieder da“ ist.

Leere im Überfluss

Obwohl sich in der Großstadt ganz sicher alles – irgendwo – finden lässt, fahre ich unterm Strich doch sehr viel besser in der Peripherie, wo es zwar alles nur je einmal gibt, es dafür aber wirklich da ist. Ich glaube auch, im Herzen geht das jedem und jeder so, weshalb gerade in Berlin ständig die Rede ist vom „besten Soundso-Laden der Stadt“.

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Ob nun Gemüsedöner, Currywurst, Brotbackstube: Immer gibt es einen künstlich verknappenden Grund, auch für allerbanalsten Kram stundenlang durch die Stadt zu gurken. Neulich sollte ich für „legendäres“ Sushi eine Fahrzeit auf mich nehmen, mit der ich aus meinem niedersächsischen Domizil die Zentren von gleich zwei verschiedenen Großstädten hätte erreichen können. Und nicht mal das mache ich gerne.

Psychologisch ist die Sache klar. Menschen richten sich eben in ihren Umständen ein, und irgendwann merkt man’s dann nicht mehr. Auch ökonomisch lassen sich die montags ausgeplünderten Hauptstadtsupermärkte und immer irgendwie kaputten Bahnen erklären. Es ist ja tatsächlich ein ziemlicher Akt, so eine Riesenstadt zu versorgen und ihren Kram instand zu halten. Wahrscheinlich schlägt sich Berlin sogar noch verhältnismäßig wacker.

Selbst dass beim gerade überstandenen Besuch tatsächlich kein Wasser aus der Leitung kam, hat vermutlich gute Gründe und liegt auch nur zum Teil an Ei­gen­tü­me­r:in­nen mit zu viel Eigentum, denen im Zweifel ganz egal ist, wenn da irgendwo irgendwer irgendwann mal kurz die Miete mindert.

Eine extreme Kluft

Also: Es gibt Zwänge, die total einleuchten. Aber die sind mir egal. Jedenfalls waren sie mir egal, als ich vorgestern beim verranzten Discounter endlich eine zwischendurch mal angetaute Tiefkühlpizza aus dem Eis brechen konnte, um dann an der Kasse festzustellen, dass „mit Karte heute nicht geht“. Wahrscheinlich ist das auch der Punkt meines Unbehagens: diese extreme Kluft zwischen sieben Sorten Milch im Straßencafé am einen Ende der Stadt – und einer völlig zerschossenen Grundversorgung am anderen.

Ich erinnere mich noch, wie aufregend ich früher genau das an Berlin fand. Als ich noch freiwillig herkam. Einmal bin ich von der Bruchbude meiner Neuköllner Gastgeberin (dauerkaputte Heizung, aber ein Mietvertrag von 1991) zum ein paar Tage vorher eröffneten ersten deutschen Starbucks in den Hackeschen Höfen gelaufen: eine ganze Welt auf fünf oder sechs Kilometern, in der schwer zu sagen ist, welches Ende der Strecke das ungemütlichere war. Heute, wo das für die ganze Stadt gilt, habe ich nur noch wenig Lust, das herauszufinden.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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