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Album und Tour von Jards MacaléNervöses Lächeln in der Dunkelheit

Jards Macalé blieb am Rand der brasilianischen Musikszene, obwohl er mit Stars arbeitete und Soloalben veröffentlichte. Nun kommt er erstmals hierher.

Exil in London, um 1970: Jards Macalé spielt auf dem Sofa, davor ist Caetano Veloso Foto: Pedro-Paulo Koellreutter

Als Jards Macalé 2013 Ehrengast beim Filmfestival „Première Brasil“ in Berlin war, wo das ihm gewidmete experimentelle Biopic „Jards“ gezeigt wurde, erklärte er auf der Premierenparty je­de*r Besucher*in, der er vorgestellt wurde, als Erstes ungefragt: „Ich bin kein Tropicalist!“

Kein was? Tropicalismo ist ja eine jener künstlerischen Bewegungen, die sich immer mehr in einen Nebel auflösen, je intensiver man ihnen nachspürt – fast so, als hätte sich der von solchartigen Bewegungen besonders nachhaltig faszinierte chilenische Schriftsteller ­Roberto ­Bolaño den ganzen Spuk ausgedacht.

In ihrem Zentrum steht das Album „Tropicália: ou panis et circensis“, eine 1968 erschienene Gemeinschaftsarbeit der brasilianischen Singer-Songwriter Caetano Veloso, Gilberto Gil und Tom Zé, der Sängerinnen Gal Costa und Nara Leão, der Band Os Mutantes, des Arrangeurs Rogério Duprat und des Dichters Torquato Neto.

Proteste gegen E-Gitarren

Ihr Werk war der Versuch, den verschiedenen Bestrebungen, Brasilien an die globalen Protestbewegungen und Avantgarden in verschiedenen Genres heranzuführen, ein gemeinsames Gefäß zu schenken. Gil und Veloso hatten bereits zuvor auf Soloalben den Ausbruch aus dem seit dem großen Bossa-Nova-Erfolg erstarrten brasilianischen Songformat gewagt – etwa indem sie E-Gitarren verwendeten, was ihnen wütende Proteste von rechts („Zerstörung unserer musikalischen Tradition“) wie links („Ausverkauf an die US-dominierte kapitalistische Kulturindustrie“) einbrachte.

Nach Veröffentlichung des Albums zerstob die Tropicalismo-Bewegung in alle Richtungen, was nicht zuletzt daran lag, dass die Militärdiktatur in Brasilien die Daumenschrauben anzog und Gil und Veloso ins Exil nach London zwang. Welche und wie viele andere Alben und Songs von welchen Künst­le­r*in­nen nun noch dem Tropicalismo zuzurechnen sind, darüber gibt es ungefähr so viele Auslegungen wie es Tropicalismo-Expert*innen gibt.

Immer präsent

Ähnlich verhält es sich mit der Zugehörigkeit von Jards Macalé zur Bewegung. Er war präsent. Schon Mitte der 1960er arrangierte und leitete der gebürtige Carioca die Band von Caetanos Schwester Maria Bethania, später komponierte er Songs und arrangierte für Gal Costa. Macalé ging nach London, als Gil und Caetano dort im Exil lebten, wurde Caetanos Bandleader und musikalischer Direktor von dessen 1972 veröffentlichtem Album „Transa“.

Ebenfalls 1972 erschien Jards Macalés Soloalbumdebüt, schlicht „Jards Macalé“ betitelt, das jetzt zu seinem 50. Geburtstag etwas verspätet vom Kölner Gourmet-Label Week-End Records wiederveröffentlicht wird. Es zeigt nicht zuletzt, was Macalé von den Tropicalisten unterscheidet: Der Mann war in erster Linie Musiker, er erörterte nicht nächtelang Kunst, Politik und die Weltlage mit Filmemachern, Malern und Dichtern wie es Caetano Veloso tat und was auch maßgeblich in seine Kunst einfloss.

Macalé hatte Piano, Gitarre, Cello, Orchestrierung und Musiktheorie studiert und wurde schließlich ein brillanter Gitarrist, der eine ganz eigene Art kreierte, die Konzertgitarre funky zu machen. Das Format des Albums ist ein Jamsession-Format – auch in der Song-zentrierten brasilianischen Musikwelt eher eine Seltenheit.

Zwar ist jeder Titel ein Song mit Text (von Tropicalismo-Dichtern wie Torquato Neto, Capinam und Waly Salomão), aber die Arrangements entwickelte Macalé in Sessions mit dem Schlagzeuger Tutty Moreno, heute vor allem bekannt als Gatte und Begleiter der Sängerin Joyce, und dem Gitarristen und Bassisten Lanny Gordin, seines Zeichens auch eine sagenumwobene Tropicalismo-Legende, der aufgrund einer chronischen Krankheit an einer kontinuierlichen Karriere gehindert wurde.

Verflossene Liebe

Zu dritt entwickeln sie trickreiche, Jazz-angehauchte funky Arrangements, wie sie auch für das zu jener Zeit musikalisch so ausgesprochen fruchtbare Brasilien eine Rarität blieben. Für Jards Macalé „erzählt jedes Album eine Geschichte“, verrät er in den für die Wiederveröffentlichung verfassten Linernotes. „Und diese war eine von verflossener Liebe und Abschieden, von Dunkelheit und nervösem Lächeln inmitten der klanglichen Wärme, die jene Gruppe von brillanten Musikern erzeugte, die sich mir für dieses Projekt anschlossen.“

Jards Macalé – Album und Tour

Jards Macalé: „Jards Macalé“ (Week-End/Kompakt)

Tour: 1. 3., Stadtgarten, Köln, 2. 3., Gretchen, Berlin, 3. 3., Domicil, Dortmund, 4. 3., Brotfabrik, Frankfurt, 9. 3., Theater, Bremen

Die Erstveröffentlichung erfolgte zu einem Zeitpunkt, 1971, „als Musikmachen in Brasilien extrem gefährlich war, weil die Militärdiktatur gegen jede Art von Kunst im Land arbeitete.“

Zum Starruhm der Tropicalisten reichte es bei Jards Macalé nicht, er blieb auch in Brasilien lange Zeit eher Underground. Für sein zweites Album, „Aprender a nadar“ (Schwimmen lernen), entwickelte er 1974 mit dem Dichter Waly Salomão seine eigene Bolaño-artige Bewegung namens „Morbeauty“ (zusammengesetzt aus „morbidity“ und „beauty“), die die Veröffentlichung nicht überlebte.

In jüngster Zeit sehr produktiv

Später arbeitete Macalé mit dem Percussionisten Nana Vasconcelos und widmete sich öfters den großen Samba-Poeten. Eine besonders aktive Zeit erlebt er seit 2015, regelmäßig veröffentlicht er neues Material. 2019 wurde sein Album „Besta fera“ für den Latin Grammy nominiert, 2021 erschien ein gemeinsames Doppelalbum mit der vergangenes Jahr verstorbenen Bossa-Legende João Donato („Sintese do lance“).

Vor wenigen Wochen kam dann das Album „Mascarada“, auf dem er sich unterstützt vom Sergio Krakowski Trio dem Samba-Urgestein Zé Keti widmet. Mit 81 Jahren ist Jards Macalé nun zum ersten Mal in Deutschland live zu erleben. Sein Weggefährte Caetano Veloso gibt dazu die Empfehlung: „Jeder, der Brasilien wirklich kennenlernen möchte, muss Jards Macalé hören und sehen.“

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