RAF-Festnahme: Last des Schweigens
Nach 30 Jahren Fahndung wird die frühere Linksterroristin Daniela Klette in Berlin-Kreuzberg gefasst. Angehörige von Opfern hoffen nun auf Aufklärung.
Sie hätte sich gewünscht, es nicht aus den Medien zu erfahren, sagt Carolin Emcke: Dass Daniela Klette, die frühere RAF-Terroristin, nach 30 Jahren Fahndung, mitten in Berlin, im linksalternativen Kreuzberg festgenommen wurde. Die Nachricht sei „erstmal ein Schock“ gewesen, sagt die Publizistin. „Es kamen sofort wieder die Bilder und der Schmerz hoch.“
Carolin Emcke war 22 Jahre alt, als ihr Patenonkel starb, ermordet von der RAF: Alfred Herrhausen. Am 30. November 1989 hatte eine via Lichtschranke gezündete Bombe den Mercedes des Chefs der Deutschen Bank zertrümmert. Herrhausen verblutete auf der Rückbank, sein Chauffeur überlebte schwer verletzt. Man habe den „mächtigsten Wirtschaftsführer in Europa“ hingerichtet, erklärte die Rote Armee Fraktion in ihrem Bekennerschreiben. Der 59-Jährige war eines der letzten Mordopfer der RAF, eines von insgesamt 34.
Carolin Emcke eilte damals zum Tatort. Erst 22 Jahre später konnte sie darüber schreiben, in ihrem Buch „Stumme Gewalt“. Jetzt, sagt die Autorin der taz, hoffe sie, dass es nun „saubere, rechtsstaatliche Ermittlungen und Aufklärung“ gebe. „Alles, wonach ich mich sehne, ist endlich, endlich ein Ende des Schweigens.“
Das Schweigen der RAF, es liegt nicht nur über Alfred Herrhausen. Die Verantwortlichen für das Attentat konnten nie ermittelt werden – wie bei vielen anderen Taten der Linksterroristen. Bis heute kennen die Ermittler nur wenige aus der dritten und letzten RAF-Generation, die den Herrhausen-Mord und neun weitere verübte, beim Namen.
Europe’s Most Wanted
Daniela Klette soll dazugehört haben. Die gebürtige Karlsruherin war in den Siebzigerjahren in der Anti-Nato-Bewegung und der Roten Hilfe aktiv. In den Untergrund soll sie 1989 gegangen sein – kurz nach dem Herrhausen-Attentat. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Beteiligung an drei Anschlägen vor. 1990 wurde eine Bombe vor der Deutschen Bank in Eschborn deponiert, die jedoch nicht zündete. Ein Jahr später wurde die US-Botschaft in Bad Godesberg mit 250 Schüssen attackiert. 1993 sprengte die RAF die im Bau befindliche JVA Weiterstadt. An allen Tatorten fand sich DNA von Klette, in Weiterstadt auch von den mitbeschuldigten RAF-Leuten Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub.
Seitdem wurde nach Klette gefahndet. Erst von der Bundesanwaltschaft, dann vom LKA Niedersachsen – weil Klette, Garweg und Staub von 1999 bis 2016 auch noch sechs Raubüberfälle in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verübt haben sollen, mit zwei Millionen Euro Beute, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren. 150.000 Euro waren für Hinweise ausgelobt, das Trio wurde auf die Liste der „Europe’s Most Wanted“ gesetzt. Erfolglos, bis Montagabend.
Dann klingelten Zielfahnder an einer kleinen Wohnung, oben in einem grauen, siebenstöckigen Wohnhaus in Berlin-Kreuzberg – und Klette öffnete. Seit Jahren soll die heute 65-Jährige dort schon gelebt haben, unter dem Namen Claudia Ivone. Der Name steht nicht an der Klingel. Aber im November hatte das LKA einen Hinweis aus der Bevölkerung bekommen, die Wohnung danach observiert. Klette leistete bei der Festnahme keinen Widerstand.
Tagelang wurde Klettes Wohnung penibel durchsucht, das Haus für eine Nacht auch evakuiert, weil die Ermittler auf Teile einer Panzerfaustgranate, eine Kalaschnikow, eine Maschinenpistole, eine Kurzwaffe und Munition stießen.
Engagiert im Kulturverein
Mit einem Hubschrauber wurde Klette nach Bremen geflogen, in einem gepanzerten Wagen zum Amtsgericht Verden gefahren – als wäre sie heute noch eine Top-Terroristin. Dann wurde ihr die U-Haft für die vorgeworfene Beteiligung an den sechs Raubüberfällen verkündet. Seitdem soll Klette im Frauengefängnis in Vechta sitzen.
Von einem „Meilenstein der Kriminalgeschichte“, jubelte Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD). LKA-Chef Friedo de Vries betonte, man habe „nie locker gelassen“. Aber Klette lebte in Berlin gar nicht so versteckt. Sie gab laut Nachbarn Nachhilfe. Sie pflegte ein Facebookprofil, auch unter dem Namen Claudia Ivone, auf dem sie Fotos von sich postete. Sie engagierte sich lange in einem brasilianischen Kulturverein in Berlin, in Tanz- und Capoeira-Gruppen, gab dort Kindern Unterricht, posierte auch hier offen auf Fotos, tanzte vorneweg auf dem Karneval der Kulturen, soll mit der Gruppe nach Brasilien oder Frankreich gereist sein.
Als freundlich, und fast ein bisschen verhuscht, habe sie „Claudia“ beim Tanzen kennengelernt, berichtet eine frühe Mitstreiterin aus dem Kulturverein. „Claudia“ habe fließend Portugiesisch gesprochen, einen Partner in Brasilien kennengelernt, der einige Monate mit ihr in Berlin lebte, dann hätten sie sich getrennt. Sie habe eher spirituell gewirkt, sich an Ritualen beteiligt, tranceartigen Tänzen, bei denen man sich eigentlich kaum verstellen könne.
An politische Gespräche kann sich die Mittänzerin nicht erinnern. Sie arbeite in der Altenpflege, habe „Claudia“ erzählt. Manchmal sei sie dafür ein paar Tage unterwegs und bekomme ab und zu von den Senioren etwas Geld zugesteckt. „Rückblickend kann man das natürlich anders deuten. Aber damals gab es überhaupt keinen Grund, stutzig zu werden.“ Später habe sich der Kontakt verloren.
Wie eine aufgespaltene Persönlichkeit
Auch den Capoeira-Verein verließ „Claudia“ vor einigen Jahren. „Niemals hätte ich das geglaubt, dass diese Frau Anschläge und Raubüberfälle begangen haben soll. Nichts ferner als das“, sagt die einstige Bekannte. „Da komme ich wirklich ins Zweifeln über meine Menschenkenntnis.“ Es wirke, als habe Klette eine „völlig aufgespaltene Persönlichkeit“ entwickelt.
Auf die Spuren, die Klette hinterließ, war am Ende auch ein ARD-Podcastteam gestoßen. Mit Hilfe einer Bildererkennungssoftware fanden sie Ende vergangenen Jahres Bilder von Klettes Capoeira-Verein. Doch auch sie erfuhren nur, dass Klette dort seit Jahren nicht mehr aktiv war, die Gesuchte fanden sie nicht. Für die Polizei gibt es rechtlich hohe Hürden, solche Bilderkennungssoftware zu nutzen. Die eigene Bilderdatenbank ist deutlich kleiner.
Das LKA setzte in den vergangenen Jahren vielmehr auf klassische Zielfahndung: Tausende Autovermieter und Tabakläden wurden aufgesucht, weil Staub als starker Raucher gilt, mögliche Tatorte für die Raubüberfälle wurden observiert, Zeitungsschnipsel in einem Tatauto und ein geortetes Handy ausgewertet, Briefe an die Familie von Garweg beschlagnahmt. Zuletzt erfolgten noch einmal Zeugenvorladungen von Angehörigen und möglichen früheren Bekannten des Trios – in denen Ermittler auch gesagt haben sollen, dass man zu einem Deal mit den Untergetauchten bereit sei.
Für Daniela Klette kommt das zu spät. Ihr drohen nun einige Jahre Haft. Bei einem der sechs Überfälle, in Stuhr, wurde auf Sicherheitsleute geschossen, Klette soll mit einer Panzerfaust gedroht haben – der Vorwurf lautet hier auf versuchten Mord. Auch die Bundesanwaltschaft ermittelt noch gegen Klette: Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist zwar verjährt, die Anschlagsvorwürfe aber sind es nicht.
Vorwurf: versuchter Mord
Zwar hatte das Kommando in Weiterstadt vor der Sprengung das JVA-Wachpersonal gefesselt und in einem VW-Transporter vom Gelände gefahren. Durch die Explosion aber entstand ein Schaden von 123 Millionen D-Mark. Bei den Anschlägen auf die US-Botschaft in Bad Godesberg und die Deutsche Bank in Eschborn wurde zwar niemand verletzt, in beiden Fällen befanden sich aber Personen in den Gebäuden, weshalb auch hier der Vorwurf auf versuchten Mord lautet.
Die Rote Hilfe kritisiert dagegen eine „Verfolgungswut“ und ein „staatliches Rachebedürfnis“. Es sei zu befürchten, dass in einem neuerlichen RAF-Prozess „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen“.
Verdens Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer betonte zuletzt aber, dass auch Daniela Klette die Kronzeugenregelung offenstehe, wenn sie über die eigenen Tatbeiträge hinaus auspacke. Allein: Die 65-Jährige schweigt laut Ermittlern bisher – so wie fast alle früheren RAF-Mitglieder.
Es ist ein Schweigen, gegen das die Publizistin Carolin Emcke ankämpft. Man wisse zwar nicht, woran Klette tatsächlich beteiligt war, sagt auch sie. „Ich bin skeptisch, ob wir nun noch viel erfahren werden. Würde ich es mir wünschen? Ja, natürlich. Ich denke, dass es in der Lüge und im Schweigen kein Leben geben kann.“ Schon in ihrem Buch von 2008 plädierte Emcke für einen Strafverzicht, wenn RAF-Leute auspacken. Das vertrete sie weiterhin, so Emcke. „Ich weiß, dass einige Angehörige das anders sehen. Aber für mich persönlich ist die Aufklärung nach all den Jahrzehnten wichtiger als Rache oder Strafe.“ Aber Klette müsste dann „die Wahrheit eben auch sich selbst zumuten“.
Obszöne Berichterstattung
Emcke fordert Aufklärung auch von Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz ein. Alle Akten, alles Wissen sollten öffentlich gemacht werden. Dies sei auch für die gesellschaftliche Reflexion über den RAF-Terror entscheidend. Denn die Art, wie über Klettes Verhaftung berichtet werde, sei „obszön“, kritisiert sie. „Da gibt es zwischen politischem Triumph-Gestus bis zu RAF-Voyeurismus alles. Die Toten, die Gewalt, die Trauer der Angehörigen, die bleibt im toten Winkel dieser RAF-Faszination.“
Es gibt auch politische Stimmen, die hoffen. Die Verhaftung von Klette müsse „zur Aufklärung aller Hintergründe“ des Terrors der dritten RAF-Generation genutzt werden, sagt etwa der Grüne Konstantin von Notz. Auch Gerhart Baum, der FDP-Mann, der Ende der Siebziger als Bundesinnenminister die RAF jagte, hofft jetzt, zumindest ein wenig. Mit der Festnahme Klettes gebe es nun die „vage Möglichkeit“, die bislang gänzlich im Dunkel liegenden Morde der dritten RAF-Generation aufzuklären. „Das wäre eine Sensation. Wünschen würde ich es mir.“
Für die Opferfamilien jedenfalls sei es „eine ganz schlimme Situation, dass die Mörder ihrer Angehörigen weiter frei herumlaufen“. Wenn Klette wirklich reden wolle, sei eine Kronzeugenregelung denkbar. „Aber das entscheidet letztlich das Gericht und hängt davon ab, ob sie überhaupt was sagen kann.“
Tatsächlich ist bis heute unklar, welche Rolle Klette in der RAF spielte. Mit ihrem Einstieg 1989 stieß sie erst spät zu der Gruppe dazu. Jenseits der drei Anschläge fehlt den Ermittlern bei ihr Belastbares über ihre Verbindung zur Gruppe. Ihren Mitgesuchten Ernst-Volker Staub rechneten die Ermittler dagegen der RAF-Kommandoebene zu. Aber er bleibt, ebenso wie Burkhard Garweg, bis heute verschwunden. Eine Festnahme noch am Dienstag in Berlin entpuppte sich als Verwechslung. Zuletzt warnte das LKA, dass sich beide Männer ebenfalls in der Hauptstadt befinden könnten. Die Fahndung dort werde deshalb „intensiviert“.
Daniela Klette ist bei der Suche bisher keine Hilfe: Sie schweigt auch dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen