Schulbesuch geflüchteter Kinder: Unterricht kriegen manche nicht

Junge Geflüchtete in Bremen und Niedersachsen warten oft Monate auf einen Schulplatz, kritisieren Flüchtlingsräte. Die Ursachen sind mannigfaltig.

Zwei Schüler in einer Klasse von hinten fotografiert; die beiden betrachten offenbar gemeinsam etwas auf ihrem Pult

Gemeinsam in der Schule arbeiten – dieses Grundrecht auf Bildung wird für geflüchtete Kinder oft erst nach Monaten realisiert Foto: Uli Deck/dpa

BREMEN taz | Geflüchtete Kinder und Jugendliche müssen oft monatelang auf einen Schulplatz warten – diese Kritik äußern mehrere Flüchtlingsverbände. Auch in Bremen und Niedersachsen würden die Schulpflicht und das Schulrecht der Geflüchteten auf diese Weise verletzt, so die Flüchtlingsräte der beiden Länder. Bis zu einem Jahr lang müssten einzelne geflüchtete Jugendliche auf einen Schulplatz warten, heißt es etwa aus Bremen.

Der Evangelische Pressedienst (EPD) hatte am Donnerstag die Kritik von Flüchtlingsräten aus mehreren Bundesländern zu Verstößen gegen die Schulpflicht zusammengetragen. Demnach scheinen die Verstöße länderübergreifend üblich: Aus Nordrhein-Westfalen, aus Berlin, aus Niedersachsen und Bremen kommt die Kritik. Besonders Großstädte scheinen betroffen zu sein.

Die Gründe dafür sind unterschiedlich – es hängt vielfach davon ab, in welcher Familiensituation und mit welchem Flüchtlingsstatus die jungen Geflüchteten untergebracht sind. Aber: „Alle minderjährigen Flüchtlinge können davon betroffen sein“, betont Holger Dieckmann vom Bremer Flüchtlingsrat.

Zweifel an der Minderjährigkeit

Ein ganz grundlegendes Problem, so Dieckmann: Es gibt nicht genug Plätze für alle. In Bremen sollen junge Geflüchtete entweder in den noch recht jungen Willkommensschulen unterkommen – oder aber von Anfang an im Klassenverbund von Regelschulen mitlernen. Parallel dazu müssen sie dann Deutschkurse besuchen. In der Praxis aber seien die Wartezeiten auf solche Deutschkurse manchmal extrem lang – und ohne Kurs gebe es keine Einschulung in die normale Klasse.

Schwierig ist es auch für junge Geflüchtete, denen die Behörde nicht abnimmt, dass sie minderjährig sind: So lange es Zweifel gibt, werden sie üblicherweise nicht beschult. Eine Altersfeststellung durch die Behörde – beispielsweise durch das umstrittene Handknochen-Röntgen – dauere normalerweise nur wenige Tagen bis Wochen, so der Sprecher der Bremer Sozialbehörde, Bernd Schneider. Dem widerspricht der Flüchtlingsrat – schließlich gibt es immer wieder Situationen, in denen am Ende ein Gericht über die Frage entscheiden muss.

Viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete haben besondere Hürden für den Schulbesuch: Wenn die Behörden sie in speziellen Einrichtungen vorläufig in Obhut nehmen, ist ein Schulbesuch für sie gar nicht vorgesehen. Die Erklärung: Die Jugendlichen sollen in diesen Häusern nur bleiben, bis entschieden ist, wie es für sie weitergeht – das kann in Bremen oder auch in einem anderen Bundesland sein.

Länger als einen Monat soll diese Übergangsphase nicht dauern. „Das ist zwar gesetzlich so vorgeschrieben, faktisch dauert es aber auch mal acht Monate“, sagt Dieckmann. In der gesamten Zeit blieben die Jugendlichen unbeschult.

Es fehlt an Daten

Auch wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Gründe gibt es in Bremen keine klaren Zahlen dazu, wie viele schulpflichtige Geflüchtete aktuell ohne Schulplatz dastehen.

Auch in Niedersachsen sind die Landesbehörden über die Lage nicht voll im Bilde. Innen- und Kultusministerium hatten jegliche Probleme dem EPD gegenüber bestritten: Ein Sprecher teilte der Nachrichtenagentur mit, dass es in dem Bundesland „prinzipiell kein Kind und keinen Jugendlichen ohne Schulangebot und Schulplatz“ gebe.

Das ist jedoch falsch. Wie auch in Bremen gibt es unbegleitete minderjährige Ausländer, die sich noch in der Clearingphase befinden, also übergangsweise in staatlicher Obhut, bevor klar ist, wo sie längerfristig bleiben. Auch in Niedersachsen ist für sie kein regulärer Schulbesuch vorgesehen, obwohl auch hier in Zeiten überlasteter Jugendhilfe die sogenannte Clearingphase länger als die vorgesehenen vier Wochen dauert.

„Wir peilen acht Wochen an, aber das wäre schon ein guter Wert“, erklärt eine Sprecherin der Region Hannover, die als staatliche Stelle unbegleitete Minderjährige in Obhut hat. „Die Jugendlichen in dieser Zeit gut unterzubringen, ist fast nicht zu schaffen.“ Sprich: Mehrere Monate ohne Schulbesuch kommen schon so zustande.

Überfüllte Notkurse

Am späten Nachmittag ergänzt die Kultusbehörde ihr Statement gegenüber der taz um einen weiteren Punkt: Für Geflüchtete beginnt die Schulpflicht in Niedersachsen erst nach dem Wegfall der Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen – also nach der Verteilung auf die Kommunen. Die Kinder und Jugendlichen hätten aber nichtsdestotrotz das Recht, vom ersten Tag an eine Schule zu besuchen.

Dass das in der Praxis nicht ganz so leicht ist, weder für Jugendliche in der Aufnahmestelle noch für solche, die in ihrer Zielkommune angekommen seien, erklärt wiederum die Sprecherin der Region Hannover. Jugendliche, die älter als 15 Jahre sind, sollen im Zweifel in Berufsschulen untergebracht werden – für die aber gebe es lange Wartelisten. Gerade für Familien, die während des laufenden Schuljahres kämen, könne es einige Zeit dauern, bis ein Platz frei würde.

Aber gibt es nur die Schule? Das Kultusministerium in Niedersachsen verweist auf Ersatzunterricht für alle, die aus verschiedenen Gründen nicht beschult werden können. Tatsächlich werden in den Unterkünften oft Angebote externer Bildungsträger angeboten – Sprachkurse etwa.

Mit regelhaftem Schulunterricht sei das allerdings nicht zu vergleichen, so die Sprecherin der Region Hannover und der Flüchtlingsrat Niedersachsen. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen spricht von „unzureichenden Sprachlernkursen und Notkursen, die noch dazu oft völlig überfüllt“ seien.

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