Drogenkrieg in Mexiko: Das Grauen ist allgegenwärtig

Der Drogenkrieg hält Mexiko in Schach. Die Mafia hat überall Gefolgsleute. Dagegen richtet nicht mal Präsident Andrés Manuel López Obrador etwas aus.

Ein älterer Mann hält eine Rede.

Mexikos Präsident Andres Manuel López Obrador im Nationalpalast in Mexiko-Stadt, 10. Januar 2023 Foto: Fernando Llano/ap

Eigentlich wollte er nicht mehr schreiben. „Die Welt ist des Wortes nicht würdig, das ist mein letztes Gedicht“, erklärte Javier Sicilia, nachdem 2011 sein Sohn von Mafiakillern ermordet wurde. „Die Poesie in mir existiert nicht mehr“, ergänzte er damals.

Jahre später setzte sich der mexikanische Autor in seinem Buch „El Deshabitado“ (Der Verlassene) doch noch mit dem Tod des Sohnes auseinander, zunächst widmete er sich dem Kampf gegen die grenzenlose Gewalt in seinem Land. In der „Bewegung für einen Frieden in Gerechtigkeit und Würde“, die er mit ins Leben rief, zogen Tausende gegen den Terror durch Mexiko und die USA.

Der heute 67-Jährige ließ nie Zweifel an seinem Hass auf die korrupte politische Klasse, die für die Verhältnisse mitverantwortlich ist. Angesichts von unzähligen Todesopfern, die der vom damaligen Präsidenten erklärte „Krieg gegen die Mafia“ schon vor 15 Jahren verursachte, stieß er auf offene Ohren.

Tägliche Bedrohungen

Viele hofften, dass durch die Mobilisierungen das Morden, das Verschwinden und die täglichen Bedrohungen eingedämmt werden. Doch passiert ist: nichts. Die Gewalt nahm zu, immer mehr Regionen wurden von der organisierten Kriminalität kontrolliert.

Sicilia war nie optimistisch. Dennoch schöpfte er Hoffnung, als 2018 Andrés Manuel López Obrador zum Präsidenten gewählt wurde. Mit Ver­tre­te­r*in­nen der Zivilgesellschaft und der neuen Regierung arbeitete er Konzepte aus, um Gerechtigkeit zu schaffen, die Straflosigkeit zu überwinden und die Gewalt einzudämmen. Doch passiert ist wieder: nichts. In seiner Antrittsrede erwähnte der linke Staatschef das Projekt nicht einmal, von einer Schwächung der Mafia kann nicht die Rede sein.

Seither teilt der Dichter mit recht unpoetischen Worten gegen den „Verräter“ López Obrador aus. „Am Ende der Legislaturperiode bist du gescheitert wie deine Vorgänger, und wie die Mehrheit der Kriminellen in Mexiko kommst du straflos davon“, schrieb er vergangene Woche. Egal, für welche Partei man bei den dieses Jahr anstehenden Wahlen stimme, man wähle die Mafia.

Tausende wurden vertrieben

Es ist Wahlkampf, und wer die Äußerungen des Präsidenten verfolgt, kann Sicilias Wut gut nachvollziehen. López Obrador spielt die Lage im Bundesstaat Chiapas herunter, während dort zwei Kartelle die Bevölkerung in Schach halten, Tausende ihre Heimatorte verlassen mussten.

Er scheut nicht davor, Menschenrechtsorganisationen zu denunzieren, um damit auf Kosten der Angehörigen von 43 verschwundenen Lehramtsstudenten auf Stimmenfang zu gehen. Und er hält an der Politik der „alternativen Fakten“ fest. „Wir können nicht erkennen, dass sich die politische Gewalt hinsichtlich der Wahl entfesselt“, sagte er vor Kurzem.

Diese Arroganz ist bemerkenswert. Wenige Tage zuvor wurde ein Lokalpolitiker in der Region Veracruz ermordet, fast gleichzeitig traf es zwei Angehörige des Gouverneurs im Bundesstaat Zacatecas. Laut einem jüngst veröffentlichten Bericht der Organisation Laboratorio starben seit Juni 2023 bereits 16 Politiker, die sich um ein Amt bewarben, eines gewaltsamen Todes. Bis Bür­ge­r*in­nen im Juni wählen, wird die Zahl erheblich größer sein.

Der Einfluss, den die Kriminellen auf die Wahlen nehmen, ist schon jetzt ein Thema in den Medien. So beschreibt Ex-Geheimdienstchef Guillermo Valdés Castellanos im liberalen Magazin Letras Libres, wie die Mafia gewaltsam dafür sorgt, dass Rathäuser mit „ihren Leuten“ besetzt werden.

Sicilia klingt verzweifelt. Er habe verhindern wollen, dass andere dasselbe Schicksal erleiden wie sein Sohn. „Es gibt keinen politischen Willen, kein Bewusstsein, nichts“, resümiert er. „Wir können uns nur auf Grauen stützen.“ Damit spricht er vielen Angehörigen von Gewaltopfern aus dem Herzen.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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