piwik no script img

Oligarchie in UngarnRegime und Familienunternehmen

Gastkommentar von Péter Techet

Ungarn ist ein postkommunistischer Mafiastaat, den Clan-Loyalität statt Ideologie zusammenhält. So ein System kann sehr effektiv sein – aber auch besonders fragil.

Protest vor dem Hauptquartier der Fidesz in Budapest nach dem Rücktritt der Präsidentin Katalin Novak am 16. Februar 2024 Foto: Bernadett Szabo/reuters

Ich will nicht, dass Ungarn ein Familienunternehmen wird“, sagte Péter Magyar, ein einflussreicher ungarischer Jurist, der bis vor Kurzem zu den innersten Machtzirkeln der Macht in Budapest gehört hatte.

Er trat aber von all seinen Posten zurück, nachdem die Staatspräsidentin Katalin Novák ihren Rücktritt wegen des Skandals um die Begnadigung eines Mittäters in einem Kindermissbrauchsfall bekannt gegeben hatte. Auch die frühere Justizministerin, Judit Varga, die mit Péter Magyar verheiratet war, musste sich aus der Politik zurückziehen, obwohl sie als sichere Spitzenkandidatin der Regierungspartei Fidesz für die kommenden Europaparlamentswahlen galt.

Der ganze Skandal wird freilich nicht zum sofortigen Sturz des Regimes führen. Péter Magyar sprach aber etwas an, was das Wesen des Regimes betrifft: Eine mafiaartige Clique bemächtigte sich des ganzen Landes. Ungarn ist im wahrsten Sinne des Wortes keine „Rule of Law“, sondern eine „Rule of Man“, nämlich die formalrechtlich abgesicherte Herrschaft eines einzigen Mannes.

Ungarn lässt sich in diesem Sinne als ein „postkommunistischer Mafiastaat“ beschreiben, wie die These von zwei ungarischen Soziologen, Bálint Magyar und Bálint Madlovics, lautet. Ein „Mafiastaat“ ist nicht ein Staat, wo die Mafia versucht, den Staat zu unterwandern. Ein „Mafiastaat“ ist vielmehr ein Staat, wo die Mafia selbst zum Staat wird, wo das Recht für kriminelle Zwecke gesetzt und angewendet wird.

Péter Techet

ist promovierter Jurist und Historiker, wissenschaft­licher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa in Wien.

In einem „Mafiastaat“ gibt es keinen Konkurrenzkampf zwischen unterschiedlichen Oligarchen. Alles ist einem einzigen kriminellen Machtzentrum unterworfen. Ein solches System funktioniert „feudalistisch“: Der „Herr“ steht an dessen Spitze, auch die „Oligarchen“ erhalten ihr Vermögen von ihm. Nicht eine Ideologie, sondern die Clan-Loyalität hält das System zusammen.

Ein solches System kann zwar sehr effektiv sein. Aber es kann auch sehr rasch zerfallen, wenn diejenigen, die an der Macht sitzen, die Loyalität aufkündigen und ihre Angst überwinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Hmmm, das kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich meine, über solch ein Phänomen habe ich bereits gelesen, es wurde auch in RUS, BELARUS ... beobachtet - leider mehr stabil als fragil.