Roman: Krise einer Übersetzerin

Friede, Freude, Mutterkuchen: Unglückliche, einsame Erzähler gibt es viele in der Literatur. Slata Roschal mutet dies jetzt einer Erzählerin zu.

Schriftstellerin Slata Roschal.

„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“, Roman von Slata Roschal Foto: Georg Wendt/dpa/picture alliance

Eine Übersetzerin flieht vor ihrem Leben, sie landet in einem Hotel, einem Raum für sich allein, wo sie endlich eine Auftragsarbeit ausführen möchte. Es braucht nicht viele Worte, um den Plot von Slata Roschals neuestem Roman „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ zusammenzufassen. Doch um den Plot geht es nicht, vielmehr ums Sprechen und Verstummen.

Die Übersetzerin hat alles und nichts, ihr Leben wahlweise ein Traum oder eine Liste von Chiffren der Tristesse: ein Häuschen auf dem Lande in Meck-Pom, ein Mann, zwei Kinder, Friede Freude Mutterkuchen. Natürlich ist diese Frau unglücklich, umso mehr, als sie eben keine gefeierte Übersetzerin ist, sondern eine, die um jedes Stipendium betteln muss.

Nun soll sie die Briefe eines deutschen Auswanderers aus der Zwischenkriegszeit ins Englische übersetzen. Da schreibt ein Joe seiner Mary im Jahre 1927; er will sie aus Bayern zu sich nach Milwaukee holen. Einer, der nach Amerika ausgewandert ist und Deutschland hinter sich gelassen hat, noch vor dem Nationalsozialismus. Doch wo ist Mary, warum antwortet sie nicht?

Dem Buch ist das bekannte Amerika-Zitat aus Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ vorangestellt: „Und wenn man dich fragen sollte, dann sag nur, ich sei wohl nach Amerika gefahren.“ Doch folgt auf den Satz ein Selbstmord. Amerika als Fluchtpunkt für die Verbrecher und Verfolgten, die Hoffnungsvollen und Gescheiterten, displaced people.

Ein subjektiver Prozess

Slata Roschal: „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“. Claassen, Berlin 2024, 176 Seiten, 22 Euro

Die Übersetzerin tritt in den Dialog mit den Briefen, als könne sie nur hier zu einer eigenen Sprache finden, als wolle sie deutlich machen, was übersetzen ist: ein subjektiver Prozess. Vielleicht als Vermittlerin, die zwischen einem Schreibenden aus der Vergangenheit und einem zeitgenössischem Leser übersetzt.

Darunter liegt ein weiteres Thema, das der Sprachlosigkeit, des Versagens der Sprache, etwa im Dialog mit dem Ehemann: „Sprechen wir nun zueinander, vermeiden wir Blickkontakt und sagen etwas vor uns hin, in den Raum hinein, oder richten unsere Rede an das Kind, ekeln uns voreinander schon, […] und etwas groß zu sagen gibt es auch nicht mehr.“ Fragmente einer Sprache der Nicht-Liebe.

Die Erzählerin formuliert Kettensätze, Parataxen, die im Gedanken abbrechen, Ellipsen, die überleiten zu einem neuen Gedanken. „Vielleicht wird das Leben so vergehen, aufgebraucht für die Redaktion fremder Artikel, langweiliger Essays, für die Hoffnung auf E-Mails von morgens bis abends, was bin ich eigentlich wert und warum traue ich mich nicht, das zu machen, was ich will, weiß nicht mal, was ich will, will alles auf einmal, eine gute Stelle pro forma mit genug Geld, und dann endloses Schreiben, an meinen eigenen, endlosen Sätzen.“ Eine Sprache der Depersonalisation.

Gebrochenes Deutsch

Sie fragt sich, ob es eine glückliche Mutter überhaupt geben könne

Die Briefe im Text wiederum sprechen eine ganz andere Sprache, nicht nur, weil sie in einem gebrochenen Deutsch formuliert sind. Bruchstückhaft wird aus unbekannten Biografien erzählt, die Sprache einer Verwandlung unterzogen: Ein Deutsch mit englischer Grammatik, ein Spiel, gespielt mit dem gleichartigen Sound englischer und deutscher Phoneme: „Ich loveju Fahrwell und Remember mie kandl. Gruß an Hanni und Sepp Gruß an Vater wi schall see each other again“. Eigentlich zu schön, um vereinheitlicht und geglättet zu werden, ein babylonisches Sprachgewirr aus Sätzen und Halbsätzen.

Nun ist die Mutter-Tristesse der Übersetzerin, die hier erzählt wird, keine erheiternde Lektüre. Roschal kommentiert das sogar indirekt: „Habe mal die Idee, ein Buch zu schreiben, darüber, wie unsere Tage aussehen, wie viele schwärzeste Gedanken ich jeden Abend horte, […] und Gernot sagte, Wer würde das lesen, und ich, Aber das ist doch wahr, und er wiederholte, Wahr ist es schon, aber wer würde es lesen wollen.“

Diese Rezension ist eigentlich nicht der Ort, das Mutterbild der deutschsprachigen Literatur zu kommentieren. Rollengemäß sind sie dauerüberlastet, dauerunglücklich, dauerdepressiv. Geschenkt. Man schreibt eben nicht über glückliche Mütter, sie sind nicht Thema des Textes, der seine Erzählerin fragen lässt, ob es so etwas wie eine glückliche Mutter überhaupt geben könne und die die eigene Mutter im Buch für tot erklären möchte, bevor sie es wirklich ist.

Ob die Übersetzerin zurückkehrt, ob sie eine Flucht vorbereitet, eine Flucht aus einem Land oder aus dem Leben, das weiß man nicht genau zu sagen. Doch wenn die letzten Seiten immer atemloser dem Strom der Worte nachgeben, kein Punkt und Komma mehr kennen, keinen Anfang und kein Ende, wagt man gar nicht mehr nach dem Schluss zu fragen.

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