Klimawandel im Bild: Ansichten der Extreme
André Lützen hat mit „Khartoum – A Tale of Three Cities“ eine Bildband-Trilogie vollendet: Es geht um das Leben unter verschärften Klimabedingungen.
Dann gebe es noch den Gang am späteren Nachmittag, aber so dicht am Äquator falle Schlag 18 Uhr eben die Sonne, falle das Licht, es werde richtig dunkel: Es werde schwarz. „Zwei T-Shirts schwitzt du mindestens am Tag durch, stehst da am Waschbecken mit deiner Saptil-Tube“, sagt er noch.
Gerade ist sein neues Fotobuch erschienen: „Khartoum“. Veröffentlicht in seinem eigenen Verlag, realisiert durch ein Crowdfunding. Wir schauen auf zwei Männer in ihren Gewändern, einer sitzt, einer liegt, sie schauen auf ihre Handys und die Zeit vergeht; wir schauen auf zwei Waschbecken, darüber ein wandfüllendes Gemälde mit einer Hütte, einer Wiese und Wald, als wäre man im Allgäu.
Der Band ist der Abschluss einer Trilogie, die nicht als Trilogie geplant war: „Living Climate“, Leben in extremen Klimazonen, so könnte man den Titel übersetzen.
Man atmet den Regen
Zehn Jahre ist es her, da fliegt Lützen in die nordrussische Stadt Archangelsk am Weißen Meer, für ein Fotoprojekt über die Außengrenzen Europas. Es ist Februar, es sind um die minus 25 Grad. Bewusst hatte er sich für den Winter entschieden, der hier gute sechs Monate dauert. Die Nördliche Dwina, der örtliche Fluss, ist zugefroren, den Hafen, militärisch und ökonomisch wichtig, versucht man mit allen Mitteln eisfrei zu halten.
Und die Menschen? Wie leben sie in dieser kalten Welt? Lützen zieht gemeinsam mit einem russischen Kollegen und Übersetzer durch die Stadt – und fotografiert die Menschen in ihren Wohnungen: in klassischen Plattenbauten, in traditionellen Holzhäusern, von Schnee und Eis umstellt, während sie davon vordergründig unbeeindruckt in T-Shirt und kurzer Hose auf dem Sofa liegen.
„Zhili Byli“ der Buchtitel, ist die russische Eingangsformel für Märchen: „Es lebten und es waren“, lässt sie sich übersetzen. Zwei Jahre später geht es nach Südindien, in die Stadt Kochi, eingeladen zu einer Foto-Triennale. Es ist absolute Monsun-Zeit, man atmet den Regen förmlich ein, auch dies bewusst gewählt: „Inside Out Kochi“ entsteht, eine fotografische Reise durch das Innere von Häusern, in die sich die Menschen scheinbar ohne Trotz zurückgezogen haben, gehüllt in erstaunlich mildes Licht.
Damit hat Lützen also das Leben in der Kälte eingefangen, und das Leben in der Nässe; wozu es passt, dass er als Nächstes nach Khartoum eingeladen wird, in die Hitze, um dort zu unterrichten und ein Foto-Festival aufzubauen.
André Lützen, Fotograf
Immer wieder eine Herausforderung: Zugang ins Innere zu bekommen. „Die Sudanesen, mit denen ich gearbeitet habe, haben mich mitgenommen und so bin ich in die unterschiedlichen Häuser und Wohnungen gekommen“, sagt er. Gleichzeitig ist es nicht einfach, sich als Fotograf durch die Stadt zu bewegen. Es ist noch die Zeit des Endlosherrschers Umar al-Baschir.
Ein Beispiel: Er steht eines Abends unter einer Brücke, die über den Nil führt. „Hier war ein Café oder ein Teehaus, es standen 50 Plastikstühle herum, es war ein wenig Licht, und ich dachte ‚Ja, das ist ein Bild‘ und baute mein Stativ auf.“ Im Nu wird er angesprochen, das sei eine Brücke, ein militärisches Objekt, absolut verboten zu fotografieren. „‚Nein, das ist das Café‘, ‚Nein, das ist eine Brücke‘, so ging das hin und her – und dann haben mich meine Leute da irgendwie rausdiskutiert“, erzählt er.
„Die drei Bücher sind eher über den Prozess entstanden als über eine Idee“, sagt Lützen. Und das mit dem Klima – tja: Er zögert. „Der Klimawandel hat ohne Frage eine Brisanz und verändert das Leben auch dort, aber Wohnraum in extremen Klimazonen gab es schon immer“, sagt er. Es sei eben anders mit der Kälte als mit der Hitze zu leben und präge jeweils das Leben der Menschen. Genau das zu zeigen, sei jeweils sein Anliegen gewesen.
Immer wieder wichtig für ihn: über Fotografie zu sprechen, zu unterrichten: „Die Fotografie ist das demokratischste Medium, das wir haben. Jeder kann es benutzen, jeder kann fotografieren.“ Weshalb er nicht nur in für uns extrem unterschiedlichen Gegenden lehrend unterwegs ist, sondern auch in Hamburg, oft in Kooperation mit den Hamburger Deichtorhallen – vom dreistündigen „Fotoklub“, wo man seine Bilder vorstellen kann oder dem zweieinhalb-tägigen Workshop „Hamburg durch die Bank“, denn überall in Hamburg stehen Bänke, nur warum und was sieht man von dort?
„Ob ich einen Fotokurs mit Erwachsenen, mit Jugendlichen oder mit Kindern mache, es ist immer dieselbe Frage und dasselbe Thema: ‚Welche Bilder machst du eigentlich noch?‘“, sagt er. Es sei doch schon alles 10-, 20-mal fotografiert worden! Er frage entsprechend: „‚Was macht ihr mit den Bildern, die in euren Telefonen sind? Benutzt ihr die, schickt ihr die jemanden, ladet ihr die überhaupt noch hoch?‘“
Fotos als Notizen
Eine Art Arbeitshypothese seinerseits: „Die meisten Fotos, die heute gemacht werden, sind keine Bilder mehr, sondern ich mache sie, weil ich mir etwas merken will; es sind visuelle Notizen.“
Sind seine Khartoum-Bilder ebenfalls Notizen? Lützen lächelt: „Dazu habe ich viel zu viel an der Gestaltung und Komposition der einzelnen Bilder wie an der Zusammenstellung der Bilder zu einem Buch gearbeitet.“ Die Frage sei: Was hast du für Bilder vom Sudan, wie sieht es aus? Und wie kann man diese Bilder-Vorstellungen aufbrechen und ein paar Grade weiterdrehen? „Mir geht es darum, nicht mit dem zu arbeiten, was du sowieso erwartest, sondern mit dem, was du nicht erwartest“, sagt er.
Apropos Sudan: Mit Ausbruch des Bürgerkrieges mussten die meisten, mit denen er zuvor zusammengekommen war und zum Teil Freundschaft schloss, die Stadt und überhaupt das Land verlassen. „Sie leben jetzt in Ägypten, in Uganda, in Katar und in den Arabischen Emiraten“, erzählt er. „Was du in meinem Buch siehst, ist also teilweise Geschichte; die Straßenzüge, auf die man schaut, sind heute oftmals zerstört“, sagt er.
Weshalb es jetzt, da sein Hitze-Buch in der Welt ist, womöglich wieder Zeit für ihn wird, ein gerade ruhendes Projekt zu reaktivieren: „Postcards from Khartoum“. „Es gibt vom derzeitigen Bürgerkrieg im Sudan keine Bilder außer irgendwelche Rauchwolken in der Ferne“, beschreibt er die Ausgangslage. Und also suchte er mit den sudanesischen Fotografen, die er von seinen Aufenthalten her kennt, nach Bildern aus dem von Krieg und Flucht geprägten Alltag, derzeit erst einmal gesammelt auf seiner Homepage. Mal schauen, was daraus noch wird.
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