„Cap Arcona“ am Theater Lübeck: Mit Spott gegen das Schweigen
Schorsch Kameruns „musiktheatrales Spektakel“ zur „Cap Arcona“ nimmt das Erbe des NS ernst – und macht daraus einen bemerkenswert munteren Abend.
Nachmittags zufällig gesehen: Im nicht ganz so pittoresken Lübeck, nördlich des Hauptbahnhofs in der Ziegelstraße, wirbt der Lübecker Tennis- u. Hockey- Club e.V. für seinen Schnuppernachmittag ohne Anmeldung. Einfach kommen, Sportschuhe mit glatter Sohle genügen! Abends dann, auf der Bühne des Großen Hauses im Theater Lübeck, wird auch Tennis gespielt; werden Körper und Geist aber gleich noch auf andere Weise zugerichtet. Dabei spielt Turnvater Jahn eine erwartbarere Rolle, als es, unter anderem, Klaus Lage und Bata Illic tun.
Erst mal aber sitzen da diese zwei Typen in Trainingshosen und Cricket-Pullovern links am Bühnenrand, vor einem noch heruntergelassenen Vorhang aus Wellblech. Der eine scheint ein Klavier, na, mehr zu stimmen als darauf zu spielen, das ist PC Nackt, bürgerlich: Patrick Christensen.
Der andere ist Schorsch Kamerun, Autor, Regisseur, Impresario dieses Abends, ins Mikrofon mehr hauchend und flüsternd. Ab und zu spricht er dann auch mal laut und deutlich genug, sodass man ihn versteht: „Stefanie“, sagt er etwa, als es allmählich losgeht, aus dem Freistil-Prolog das Stück sich herauszuschälen scheint: Um kurz nach halb acht öffnet sich im Wellbech eine Tür, und, eben, „Stefanie alias Feuersalamander“ (Luisa Böse) zeigt sich: die Hauptfigur.
Kein Dokumentartheater
Die Beschäftigung mit der titelgebenden Schiffskatastrophe ganz am Ende des Zweiten Weltkriegs rahmt Kameruns „musiktheatrales Spektakel“ mit einer sehr heutigen Handlung. Die dabei, weil autobiografisch begründet, auch schon wieder einige Jahre auf dem Buckel hat. So wie auf der Bühne nun Stefanie und ihre bunte Clique es tun, so triggerte ein junger Schorsch Kamerun einst selbst die Abwehrreflexe aus dem Lehrerzimmer. Indem er, als Schüler im westdeutschen Ostseeörtchen Timmendorfer Strand ein Theaterprojekt anregte zum Massengrab vor der eigenen Haustür. Überreste von mehreren Tausend zu Tode gekommenen Häftlingen vor allem aus dem KZ Neuengamme lagern ja bis heute in der flachen Lübecker Bucht.
Dass in den ersten Nachkriegsjahren das Wrack der „Cap Arcona“ selbst noch gut zu sehen war, übers Eis erreichbar und bequem zu plündern; dass die Aale einige Zeit lang besonders fett in der Ostsee schwammen, aber niemand recht Lust hatte, sie zu essen: All das kommt nun zum Vortrag. Die Frage, wie viel Schuld an der Katastrophe die schlechte Kommunikation innerhalb der britischen Streitkräfte hatte, wirft das Programmheft auf; das aber erfreulich frei von der Schuld-Projektion, in die sich manche Deutsche heute wieder so nassforsch flüchten.
Leichen vor der Haustür
Mindestens so viel Raum wie das Geschehen im Mai 1945 bekommt im Stück, was später erleben konnte, wer nach den Leichen fragte in den Kellern dieser zunehmend auf touristische Verwertung hin sich optimierenden Region: Kamerun konzentriert das opportune Leugnen im wiederholten Satz: „Welche 'Cap Arcona’?“ Den sagen dann die drei buntgesichtigen Lehrer:innen-Figuren (Jan Byl, Sonja Cariaso, Will Workman), die damit gleich noch ganz andere autoritäre Autoritäten repräsentieren dürften.
Es ist aber auch keine 1980er-Jahre-Punk-in-der-Provinz-Recherche geworden: In den Text eingeflochten sind Verweise etwa auf CDU-Chef Friedrich Merz’ Zahnarzt-Ausspruch oder gezielt jugendliche Ohren attackierende Vertreibungs-Akustik in (zunächst britischen) Einkaufszentren. Und natürlich erinnern Stefanie alias Feuersalamander und ihre „1312“ taggenden Freund:innen auch an – zum Beispiel „Eichhörnchen“ sich nennende – Klimaschutz-Aktive. Dass sich nicht gleich wieder irgendwer am Bühnenboden festklebt, bekundet Kameruns Gespür dafür, wann aus Genau-richtig ein Zuviel wird.
„Welche 'Cap Arcona’?“ – vom versuchten Beschweigen also handelt der sehr musikalische Abend; neben Kamerun und PC Nackt gibt es mit Urs Benterbusch, Jonathan Göring, Edgar Herzog und Peter Imig auch noch eine richtige Band. Da scheinen dann auch allerlei Epochen Kamerun’schen Musikschaffens auf, wiederholt kommt es zu Szenenapplaus. Ein Stück wie „Die Menschen aus Kiel“ von 1996 zeigt sich bestens geeignet, das Lübecker Publikum aufs Glatteis inner-schleswig-holsteinischen Revierdenkens zu locken (und auflaufen zu lassen).
„Cap Arkona“: Vorstellungen am 17. 2. sowie 1. und 9. 3., jeweils um 19.30 Uhr und 17. 3., 16.30 Uhr, Theater Lübeck, Großes Haus
Und was hat es nun mit Klaus „Tausendundmalberührt“ Lage und Schlager-Star Bata Illic auf sich? Sie sind, neben der Landeshymne und dem „Weißen Rössl“, Teil eines gruseligen Medleys, mit dem die Autoritäten, wissenschaftlich fundiert, die jungen Leute einzunorden suchen – und das im Saal für allerbeste Stimmung sorgt. Denn bei aller Schwere des Stoffs, den die Inszenierung stets ernst nimmt: Es bleibt ein munteres Spektakel.
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