Demos gegen rechts: Was heißt Nie wieder?
Bei den Demos gegen rechts ziehen Menschen immer wieder historische Vergleiche. Auch wenn sie zunächst einleuchtend erscheinen, bergen sie Gefahren.
„AfD wählen ist voll 1933“, steht auf einem Plakat. „Damit auf die 1920er nicht 1933 folgt“, auf einem anderen. Und immer wieder die Parole: „Nie wieder ist jetzt“. Ein wesentlicher Mobilisierungsmotor der aktuellen Proteste gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck und das Erstarken der AfD sind Referenzen auf die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Denn, so die durchaus einleuchtende Überlegung: Wenn erneut eine rechtsextreme Partei in diesem Land an die Macht kommt, dann werden Hass und Hetze zu repressiver Politik gegen Minderheiten und Andersdenkende. Mal wieder. Diese durchaus berechtigte Sorge bringt derzeit Hunderttausende auf die Straße.
Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, aber auch die Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern lassen Schlimmes ahnen. AfD-Politiker*innen streben ein starkes, völkisches Deutschland an. Und zu dieser Fantasie gehören Ausschluss und Vertreibung.
Wiederholt sich die Geschichte an dieser Stelle also? Nein. Vielmehr bergen historische Vergleiche – wenn sie schief sind, Geschichtskenntnis fehlt oder sie aus dem Kontext gerissen werden – Gefahren.
Schon die Enthüllung des Recherchezentrums Correctiv über ein rechtsextremes „Geheimtreffen“ im November in Potsdam, die die aktuellen Massenproteste auslöste, weckte die Assoziation der Wannseekonferenz, die „knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel“ stattfand, wie es im Artikel heißt. Das Treffen, bei dem AfDler, Identitäre und Mitglieder der Werteunion von einem „Masterplan für Deutschland“ samt „Remigrations“-Fantasien träumten, wird seitdem immer wieder als „Wannseekonferenz 2.0“ bezeichnet. Correctiv schreibt, die Idee des Identitären Martin Sellner erinnere an die Deportationspläne der Nationalsozialisten.
Entkontextualisierung von „Nie wieder ist jetzt“
Aber: Am Wannsee wurde seinerzeit nicht die Vertreibung und Ausbürgerung geplant, die war lange schon im Gang. Unter Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich trafen sich ranghohe Nationalsozialisten, um die Vernichtung der europäischen Juden besser zu organisieren. Protokoll führte Adolf Eichmann. Die Deportationen waren ein Mittel zum Zweck des systematischen Massenmords. Das Treffen am Wannsee im Winter 1942 ist die Konferenz des eliminatorischen Antisemitismus. Der Vergleich ist insbesondere dann schief, wenn der gegenwärtig grassierende Antisemitismus nicht ins Verhältnis dazu gesetzt wird.
Dass der Nationalsozialismus nicht Geschichte ist, sondern durchaus zurückkehren kann, ist kein neuer Gedanke. Theodor W. Adorno fragte schon in den 1950er-Jahren, ob wir den Nationalsozialismus wirklich überwunden haben. Dennoch stehen wir aktuell nicht „kurz vor 1933“, dem Jahr der Machtübergabe, des Verbots der Gewerkschaften, der Bücherverbrennungen, der Gründung des KZ Dachau und der Einführung des „Ariernachweises“.
Ab 1933 konnten Jüdinnen und Juden nicht mehr als Beamte oder öffentliche Angestellte arbeiten. Innerhalb weniger Wochen wurde damals die Opposition ausgeschaltet, Minderheiten drangsaliert und das deutsche Volk auf das nationalsozialistische Projekt eingeschworen. So weit sind wir 2024 nicht. Und trotzdem ist das kein Grund zur Entwarnung.
Die Entkontextualisierung von „Nie wieder ist jetzt“ auf den aktuellen Anti-rechts-Demos birgt die Gefahr, dass die Antisemitismuskritik des Satzes nicht mehr gesehen wird. Denn die Parole wurde nicht als Antwort auf den Rechtsruck in Deutschland eingeführt, wenngleich sie jetzt passgenau erscheint. Sie entstand als Reaktion auf die genozidale Gewalt der Hamas am 7. Oktober in Israel. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern folgte auf diese Gewalt eine Welle des Antisemitismus, die bis heute anhält.
Rechtsextreme sind rassistisch und auch antisemitisch
Bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag am 31. Januar beendete die Shoah-Überlebende Eva Szepesi ihre Rede mit den Worten „Nie wieder ist jetzt“. Ihre Rede zeigt genau den Zusammenhang auf, der auf den aktuellen Großdemonstrationen untergeht. Szepesi erzählte von ihrer Zeit in Budapest, von ihrer Verhaftung und Deportation, von der Selektion in Auschwitz-Birkenau, der Ermordung ihrer Mutter – und schließlich von ihrer Befreiung und dem Leben danach. Dann spannte sie den Bogen in die Gegenwart, zum 7. Oktober 2023, dem Tag, „der für uns Juden auf der Welt alles veränderte“.
Mit Blick auf die über 130 Geiseln, die noch immer in der Hand der Terrororganisation Hamas sind, forderte sie: „Bringt sie nach Hause, jetzt!“ Das ist die Situation, auf die der Satz „Nie wieder ist jetzt“ antwortet, auf den tödlichsten Tag für Jüdinnen und Juden seit der Shoah.
Sicher, auch Szepesi sprach danach noch über Deutschland, darüber, dass eine rechtsextreme Partei nie wieder so stark werden dürfe, dass sie die Demokratie gefährde. Sie mahnte: „Wir sind kurz davor.“ Ihre Rede zeigte dennoch explizit den Zusammenhang zwischen der Shoah, dem 7. Oktober und der Gefahr durch den deutschen Rechtsextremismus.
Will „Nie wieder ist jetzt“ keine hohle Phrase sein, verlangt es Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Auf den Massendemonstrationen gegen rechts ist dies nicht immer präsent. Teils liefen Israelhasser*innen auf diesen Demos mit, verhielten sich aggressiv gegenüber Ordner*innen und anderen Demoteilnehmenden. Für Jüdinnen und Juden ein fatales Signal.
Rechtsextreme sind sowohl rassistisch als auch antisemitisch. Wer sie nachhaltig bekämpfen will, muss sich mit beiden Phänomenen auseinandersetzen. Um die Gegenwart mitgestalten zu können, muss sich mit der Vergangenheit beschäftigt werden. Ohne historische Superlative. Und mit mehr Solidarität gegenüber Jüdinnen und Juden.
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