Regierung in Nordirland: Die Kraft symbolischer Bedeutung

Zum ersten Mal steht an der Regierungsspitze in Nordirland eine Politikerin der Sinn Féin. Die DUP-Unionisten haben ihren Boykott aufgegeben.

Eine Frau mit blonden Haaren steht vor einer dunklen Limousine und winkt

Michelle O'Neill stammt aus einer Arbeiterfamilie und ist nun die erste Regierungschefin der Sinn Féin Foto: Peter Morrison/ap

DUBLIN taz | Auf den Tag genau zwei Jahre lang musste Nordirland auf seine Regionalregierung warten. Nun übernimmt Michelle O’Neill das Amt der Ersten Ministerin. An der nordirischen Regierungsspitze steht damit zum ersten Mal ein Mitglied von Sinn Féin, dem ehemaligen politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA).

So hatte das die britische Regierung nicht geplant, als sie vor gut hundert Jahren die Grenze durch Irland so zog, dass die protestantisch-unionistische Bevölkerung die deutliche Mehrheit stellte. Die bisherigen elf Premierminister waren alle Unionisten. Doch bei den Wahlen 2022 wurde Sinn Féin stärkste Partei – vor allem, weil die Unionisten zerstritten waren.

Eine Sinn-Féin-Regierungschefin hat vor allem symbolische Bedeutung, denn ihre Stellvertreterin ist Emma Little-Pengelly von der Democratic Unionist Party (DUP). Beide sind laut Friedensabkommen vollkommen gleichberechtigt. Durch diese Eigenheit des politischen Systems Nordirlands sollen beide Konfessionen eine Einheitsregierung bilden, in der keiner stärker ist. Aber Symbole spielen in der nordirischen Politik, wo die Farbe Grün für das irisch-katholische Lager steht und die Farbe Orange für das britisch-protestantische, seit jeher eine große Rolle.

O’Neill stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in dem Dorf Clonoe in der Grafschaft Tyrone auf. Mit 16 bekam sie eine Tochter. Damit O’Neill sich auf ihren Schulabschluss konzentrieren konnte, übernahm ihre Mutter die Erziehung. Wegen des „Fehltritts“ beteten Mitschülerinnen und das Lehrpersonal für sie.

Michelle O’Neill betont, „Erste Ministerin für alle“ sein zu wollen

Ob IRA- oder Königinnen-Beerdigung

Ihr Vater war Mitglied der IRA und saß eine Weile im Gefängnis. Sie selbst trat 1998 in Sinn Féin ein, nachdem das Belfaster Friedensabkommen unterzeichnet worden war. Seit 2018 ist sie stellvertretende Parteichefin.

Die 47-jährige Michelle O’Neill gilt als Vertreterin einer neuen Generation, die mit der IRA nichts zu tun hat. Trotzdem nahm sie an Beerdigungen von IRA-Kämpfern teil. Allerdings fuhr sie auch nach London zur Beerdigung von Königin Elisabeth II. und zur Krönung von König Charles III. In ihrer Antrittsrede am Samstag betonte O’Neill, dass sie eine „Erste Ministerin für alle“ sein wolle – auch für die Unionisten.

Die sind nach wie vor misstrauisch. Während sie Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen, strebt Sinn Féin eine Vereinigung Irlands an – das genaue Gegenteil.

Vor zwei Jahren hatte die DUP die Regierung durch ihren Austritt zu Fall gebracht, weil ein Zusatzprotokoll zum Brexit-Vertrag von 2019 Sonderregelungen für Nordirland enthielt: Die Provinz blieb im EU-Binnenmarkt. Das hieß: keine Grenzkontrollen in Irland, aber zwischen Nordirland und Großbritannien.

DUP umschifft Wirtschaftsprobleme

Damit die DUP in die Regierung zurückkehrt, vereinbarte die britische Regierung 2023 mit der EU eine Neuregelung: keine Kontrollen für Waren, die aus Großbritannien nach Nordirland kommen – außer, die Waren gehen weiter in die Republik Irland, also in die EU. Dann sind Kontrollen nötig. Eine weitere Nachverhandlung über strittige Details ermöglichte es DUP-Chef Jeffrey Donaldson, den Boykott zu beenden.

Nach der Wahl von O’Neill und Little-Pengelly bestimmten die Parteien ihre Minister reihum. Sinn Féin sicherte sich das Wirtschaftsministerium. Danach war die DUP dran, wählte aber das Bildungsministerium statt des erwarteten Finanzministeriums – das nun Sinn Féin übernommen hat. Es kommen gewaltige wirtschaftliche Probleme auf die Regierung zu. Michelle O’Neill wird unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, um Geld heranzuschaffen.

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