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Die Aktualität nomadischen DesignsVom wenig romantischen Jurtenleben

Die Hamburger Ausstellung „Jurte jetzt!“ erklärt zwar schön nomadische Symbole. Aktuelle Probleme zentralasiatischer Menschen deutet sie aber nur an.

Schwarze Schuhe, durch Fäden verbunden, symbolisieren Gemeinschaft: „Unity“ von Altynai Osmoeva Foto: Ph. Shapo/Arte Laguna Prize Venice

Hamburg taz | Man betritt diese Kunst-Jurte, natürlich auf Socken, und fühlt sich gleich wohl. Der rote Teppich, aus mehrlagigem Filz gearbeitet, wirkt überraschend warm auf dem kühlen Museumsboden. In der Mitte des roten Runds, analog zur Feuerstelle, liegt ein Spiegel, Symbol des Zentrums im kosmischen Raum, der Einbindung in Natur und Leben.

„Unity“ hat die kirgisische Multimedia-Künstlerin Altynai Osmoeva ihre Installation betitelt, zu sehen derzeit in der Ausstellung „Jurte jetzt! Nomadisches Design neu gelebt“ in Hamburgs ethnografischem Museum MARKK. Wie seine Vorbilder ist der Teppich wie gemacht für die Jurten der Nomaden Zentralasiens mit seinen eiskalten Wintern und extrem heißen kontinentalen Sommern.

Kirgisen, Kasachen, Turkmenen, Usbeken und Mongolen: Sie alle nutzen Filz als Bodenbelag, aber seit Jahrhunderten auch für die Außenhaut der Jurten. Dann ruht das Material auf einem ausgeklügelten Holzgestänge ohne einen einzigen Nage. Drei-, viermal jährlich wird das Ganze ab- und aufgebaut, wenn die Hirten ihren Rindern, Ziegen, Schafen auf Sommer- beziehungsweise Winterweiden folgen.

Außer zerdrücktem Gras bleibt dann nichts zurück – und genau diese Nachhaltigkeit hat die Künstlerin gereizt. Lange wusste Osmoeva dabei selbst nicht, warum sie stets mit Filz arbeitete. Irgendwann begriff sie: „Das ist Teil meiner Kultur, meiner Identität“, hat sie 2021 gesagt. Seither versuche sie eine „Reinterpretation meiner Kultur durch das Prisma zeitgenössischer Kunst“.

Künstlerin ist auch Sozialunternehmerin

Für die Künstlerin, die auch ein erklärt nachhaltiges Modelabel gründete und kirgisische Frauen alte Filztechniken lehrt, ist das einerseits eine ökologische Botschaft. Daneben hat eine Arbeit wie „Unity“ auch eine politische Facette: „Je mehr Gäste, desto mehr Segen“, lautet übersetzt der Untertitel. Den erwähnten roten Teppich rahmen etliche schwarze Schuhe, verbunden wiederum durch rote Fäden, die einen spitz zulaufenden Vorhang bilden.

Erstmals gezeigt hat Osmoeva „Unity“ im Jahr 2020 in Bischkek, „zwei Monate nach der dritten Revolution in Kirgisistan“, erzählt sie. „Die Leute waren die politischen Unruhen, die strauchelnde Wirtschaft leid – und dazu die Pandemie. Das war der perfekte Moment, die Leute durch diese Jurte zur für Reflexion über kulturelle Identität und Gemeinsamkeit zu animieren.“

In der Hamburger Ausstellung bildet Osmoevas Installation eine Verbindung zwischen zwei echten Jurten aus den Beständen des lange der „Völkerkunde“ gewidmeten Hauses: Neben einer rudimentär erhaltenen kasachischen steht da auch eine prächtige kirgisische aus den 1970er-Jahren; das MARKK bekam sie 2017 geschenkt. Abgebildet sind Tier- und Pflanzenornamente, die für Wohlstand, Gesundheit, Segen stehen. Einige sind an der Saalwand erklärt, und es macht Spaß, beim Ausstellungsbesuch Symbole auf der Jurte zu „entziffern“.

Kein Spaß ist das Nomadenleben, das durch sowjetische Kollektivierung – und seit 1990 die Marktwirtschaft – zunehmend verschwindet. In einem Video-Interview erzählen eine junge Kirgisin und ihr Neffe von Kindheitsferien in der Jurte, dem häufigen Auf- und Abbau, einem mühsamen Alltag. Heute studieren und arbeiten die beiden in Deutschland und scheinen nicht ins Nomadenleben zurück zu wollen.

Auch aus der mongolischen Steppe flüchten Hirten in die Stadt: Der Klimawandel bringt mehr harte Winter und schwere Dürren, sodass ihre Herden sterben. Zudem gieren in Steppe und der Wüste Gobi, dem Lebensraum der Nomaden, internationale Investoren nach Kohle, Kupfer, Gold, Uran, Erdöl, Seltenen Erden.

Eine Folge: Drei Viertel der mongolischen Nomaden sind in den vergangenen Jahren in die Hauptstadt Ulan Bator gezogen. An deren Rand bietet der Staat jedem ein kostenloses Grundstück, um dort eine Jurte – auf Mongolisch: Ger – zu errichten. Dadurch sollte die Kritik daran eingedämmt werden, dass der mongolische Staat seien profitablen Zecnen für ausländische Investoren öffnete. Geklappt hat das nicht. Auch die Forderung, die verarmte Bevölkerung am Gewinn aus den Bodenschätzen zu beteiligen, wird weiterhin erhoben.

Rund um Ulan Bator, das zeigt eine Luftaufnahme in der Ausstellung, sind riesige Ger-Siedlungen entstanden. Etwa 800.000 Menschen leben hier, das sind 70 Prozent der Stadtbevölkerkung. An Wasser-, Strom- und Heizungsnetz angeschlossen sind diese Siedlungen nicht, geheizt wird mit Kohle, das Wasser muss, wie einst in der Steppe, von weither geholt werden.

Videos in der Schau zeigen dieses mühsame Leben: Ein alter Mann sagt, er würde eine moderne Wohnung bevorzugen, aber das sei teuer. Eine junge Frau erzählt, die Städter blickten herab auf die Ger-Leute. Daher achte sie darauf, sich „nicht merkwürdig zu kleiden“, um nicht als Frau vom Land erkennbar zu sein.

Stadtleben als „Kulturschock“

Ein weiterer „Kulturschock“ für die Nomaden ist das Zusammenleben auf engen Raum und das Einzäunen von Grundstücken. Für eine „Gemeinschaft“ jenseits der Familie existiert unter den weit verstreut lebenden Nomaden nicht mal ein Wort. Und weil sie als Kulturpraxis nicht eingeübt sind, gibt es jetzt auch nur wenige nachbarschaftliche Beziehungen in den Ger-Siedlungen.

Herausgefunden hat all dies das „Rural Urban Framework“ (RUF), ein Forschungs- und Designkollektiv um Joshua Bolchover and John Lin. Es will sich „in der ländlich-städtischen Transformation in China und der Mongolei engagieren“, unter anderem durch Bauprojekte, Forschung und Ausstellungen, so steht es auf der Homepage. Als Non-Profit-Organisation kooperiere RUF mit Wohltätigkeitsorganisationen, chinesischen Regierungsabteilungen und Universitäten. „Auch die Architekturfakultät der Universität Hong Kong ist beteiligt“, ist da zu lesen.

Von der Beteiligung des chinesischen Staates erfährt man in der Ausstellung und der begleitenden Broschüre nichts. Dafür findet sich, überschrieben mit „Urbanisierung nomadischer Architektur“, das Modell eines von RUF entworfenen Apartmenthauses, in dem drei Ger durch Gemeinschaftsräume verbunden sind – Appell und Chance, Gemeinschaft zu üben. Andere Modelle nutzen mehrlagige Wände, um Wärme besser zu speichern und so Kohle zu sparen. Dass solche Innovationen vom eigentlichen Problem der fehlenden infrastruktuellen Anbindung ablenken, beleuchtet die Ausstellung nicht.

Kolonialfotos aus der Zarenzeit

Immerhin verweist sie auf die Kolonisation durch das zaristische Russland: Der Ethnograf Samuil Dudin hat 1899 in staatlichem Auftrag kasachische Nomaden fotografiert. Einige dieser Fotos aus dem Museumsbestand hängen in der Schau. Fern, winzig und anonym sieht man Jurten, Karren, Menschen am Horizont. Anderswo sitzen Nomaden wie Objekte aufgereiht da, mit starrem Blick in die Kamera.

Und obwohl das MARKK seit einiger Zeit nicht nur seine Bestände, sondern auch seine Präsentation auf den kolonialen Blick hin befragt: In dieser Ausstellung wird er eher reproduziert: Wie Kostüme hängen nomadische Hosen, Mützen, Schmuck da in Vitrinen. Zum Erkenntnisgewinn tragen sie in ihrer vermeintlichen Exotik wenig bei – so wenig wie die ganze, unentschlossen wirkende Schau.

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