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Kein Plädoyer fürs Leben

Letzte Dinge kühl verhandelt: Mit „Alices Reise in die Schweiz“ haben die 5. Autorentheatertage begonnen

Schwer verdauliche Themen scheinen es dem Schweizer Dramatiker Lukas Bärfuss angetan zu haben: In Der Bus schickte er eine junge Frau auf Wallfahrt nach Polen, in Alices Reise in die Schweiz nun, in Auftrag gegeben vom Theater Basel, auf eine Reise in den Tod. Als Auftaktinszenierung der 5. Hamburger Autorentheatertage war das Gastspiel am Sonnabend im Thalia zu sehen.

Gustav Strom heißt Alices Sterbehelfer. Die ganze Lebensenergie des Arztes (Edmund Telgenkämper) ist auf eine Leidenschaft gerichtet: den Menschen zu helfen, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen. Nicht nur unheilbar Kranken, jedem Sterbewilligen soll beim Suizid geholfen werden. Lange, leidenschaftliche Plädoyers hält Strom ans Publikum gerichtet. Irritierend nur, dass dieses Engagement sich im Umgang mit seinen Klienten nicht widerspiegelt: Abweisend begegnet er dem Todeskandidaten John (Graham F. Valentine), der noch etwas plaudern möchte. Und als dieser, mittlerweile hilflos im Rollstuhl, zum dritten Mal vor dem entscheidenden Schritt zurückscheut, wird Strom rabiat.

Kein Plädoyer für oder gegen Sterbehilfe ist dieses Stück, das im Untertitel „Szenen aus dem Leben des Sterbehelfers Gustav Strom“ heißt. Steif klingt das, und hölzern geht es zu: In einem kaum an Nüchternheit zu übertreffendem Ambiente werden kühl die letzten Dinge verhandelt – von Personen, die Konstrukte sind. Wer heute sagt, er wolle unter diesen oder jenen Umständen nicht mehr leben, mag morgen ganz anders darüber denken. Doch dann könnte die Todesmaschine bereits unwiderruflich angelaufen sein.

Strom verkörpert diesen konsequenten Apparat. Alice (Susanne-Marie Wrage) fragt er in ihren letzten Minuten, ob sie die Plastiktüte im Sitzen oder im Liegen auf den Kopf stülpen möchte. Formalia, Unterschriften und Erklärungen statt Nähe, Beistand, Trost. Bei Alice, deren Krankheit nur angedeutet ist, wird klar: Sie will nicht sterben. Nur fehlt ihr – außer Mutter Lotte (Iris Erdmann), die putzt und pusselt, statt Alices Leid ernst zu nehmen – jemand, der mit ihr leben will. So geht es hier eigentlich nicht ums Sterben, sondern ums Leben. Zum Plädoyer dafür fehlt Bärfuss‘ Stück aber das Wichtigste: lebendige Figuren. Karin Liebe

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