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Sänger Olli Schulz über Zeitgeist„Es ist alles sehr ernst geworden“

Der Musiker Olli Schulz erzählt, warum er die AfD auf dem neuen Album nicht mit Protestsongs bekämpfen will – und dennoch an eine bessere Welt glaubt.

Kann Rampensau, Blödelheini und Nachdenker zugleich: Olli Schulz Foto: Winson
Konstantin Nowotny
Interview von Konstantin Nowotny

Wer den Podcast „Fest und flauschig“ von Olli Schulz und Moderator Jan Böhmermann kennt, weiß von Schulz’ Vorliebe für gute Küche, die er mal so zusammengefasst hat: „Essen ist der Sex des Alters.“ So lädt der zum zweiten Mal Vater gewordene Musiker zum Interview in ein Berliner Restaurant. Er empfiehlt Senfeier, wählt selbst „Strammer Max“ und setzt – gut gelaunt und genüsslich kauend – das Gespräch fort.

taz: Herr Schulz, der Song „Falsch erzählt“ ist für Journalisten interessant: Es geht darum, dass immer andere Leute die eigene Geschichte erzählen werden. Kann man die Kontrolle über die eigene Geschichte behalten?

Olli Schulz: Ich glaube, dass man nichts dagegen machen kann, dass Leute nie den ganzen Teil einer Geschichte kennen. In der ersten Hälfte des Songs geht es ja um eine Trennung. Wer das schon mal durchgemacht hat, der kennt das: Rudelbildung, die gemeinsamen Freunde werden aufgeteilt. Das gleiche, was es in diesem Kleinen gibt, gibt es ja auch in großen Geschichten: Der Fußballer, der den Elfer vergeigt und am nächsten Tag von allen fertig gemacht wird – niemand weiß, dass er gerade verlassen wurde oder etwas anderes passiert ist.

Im selben Song singen Sie auch von einen „Ding mit Frau Brockmann“ – was hat es damit auf sich?

Die Geschichte ist über 20 Jahre alt. Frau Brockmann hat damals die Polizei gerufen, als ich mich mit meiner Freundin gestritten hab. Du machst die Tür auf. Und dann stehen da zwei Leute, und man stellt fest: Was machen wir hier eigentlich gerade? Da schämst du dich wirklich in Grund und Boden. Ich wollte aber explizit, dass „Falsch erzählt“ nicht irgendwelchen Querdenkern in die Hände fällt, die sagen können: Endlich sagt’s mal einer. Es geht darum, dass es manchmal ungerecht ist, was für ein Urteil über Menschen gefällt wird. Andererseits sind viele auch selbst schuld, wenn sie etwa private Beziehungen in der Öffentlichkeit aushandeln.

Im Podcast „Fest und flauschig“ erzählen Sie ja auch gern mal Privates, anders als etwa Ihr Podcast-Partner Jan Böhmermann. Finden Sie, Sie erzählen da manchmal zu viel?

Wahrscheinlich schon, obwohl auch ich dazu neige, zwischendurch immer mal Bullshit einzufügen. Das liegt an den unterschiedlichen Positionen, die wir in der Öffentlichkeit haben. Jan ist jede Woche im Fernsehen. Er hat sich dafür entschieden, sich sozusagen als Kunstfigur zu schützen, so wie es viele gemacht haben, etwa Stefan Raab. Ich bin gern im Podcast, ich bin auch gern Musiker, aber ich hab für mich vor ein paar Jahren entschieden, dass mir eine Omnipräsenz im Fernsehen wahrscheinlich nicht guttun würde.

Hätten Sie rückblickend mal einen Song anders geschrieben, wenn Sie schon am Anfang Ihrer Karriere gewusst hätten, wie es weitergeht?

Ich mag deftigen Humor, früher vielleicht noch lieber als jetzt – da gab es eine Veränderung. Man kann vor den richtigen Leuten mal einen guten Pimmelwitz bringen, und wenn das Timing stimmt, lachen Männer und Frauen. Was das angeht, hätte ich aber auf der letzten Platte das Lied Schmeckt, wie Pisse riecht“, nicht mehr veröffentlicht. Der Song ist etwas infantil und hatte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits 20 Jahre auf dem Buckel. Die Übertragung des Humors hat nur bedingt geklappt und ist mir im Nachhinein unangenehm. Ich hab’ ein paar witzige Sachen, die ich auch immer noch gut finde: Halt die Fresse, krieg’n Kind [Originaltitel: „H.D.F.K.K.“, Anm. d. R.], war eigentlich ein Song gegen Männer und Frauen, gegen alle, die sehr selbstmitleidig sind. Heute darfst du nicht mehr zu jemanden sagen: Du bist aber sehr weinerlich. Es ist alles sehr ernst geworden.

Es ist schwieriger geworden, humorvoll zu sein?

Zumindest waren Comedians früher mehr in der Lage, Leute zusammenzuführen. Aber auf Otto Waalkes können sich immer noch alle einigen.

Aber auch nur, weil der so harmlos ist.

Und weil er sich immer wiederholt. Ich glaube, dass sich Leute mittlerweile sehr schnell angegriffen fühlen von Humor. Ich finde Mario Barth jetzt auch nicht geil, aber ich sehe ihn nicht als Gefahr für die Gesellschaft. Wenn der nicht wär, würden die jemand anderen gut finden, der auch scheiße ist. Die Leute wollen einfach Scheiße gut finden, das ist nun mal auch ein großer Teil unserer Gesellschaft.

Im Interview: Olli Schulz

Jahrgang 1973, ist Singer-Songwriter, Entertainer und betreibt den berühmten Podcast „Fest und flauschig“ mit dem TV-Moderator Jan Böhmermann. Sein neues Album „Vom Rand der Zeit“ erscheint am 9. Februar.

In dem Song „Bessere Version“ geht es darum, dass es möglich ist, dass Dinge auch besser werden können. Meint das die Welt oder erst mal nur Sie?

Es war eigentlich mal ein Trennungslied, das hab ich komplett umgeschrieben. Es ging erst darum, dass ich meine Exfreundin und mich, „uns“ schon mal in einer besseren Version gesehen habe. Ich finde, wenn man jung ist, arbeitet man mehr an sich. Und wenn du älter wirst, denkst du dir oft: So bin ich jetzt. Das ist ein Lied an mich selber, dass ich nicht so bequem werde. Ich habe Kinder und darf nicht anfangen, so zynische Meinungen in die Welt zu tragen. Es war mir auch wichtig, dass ich auf der neuen Platte kein zynisches Bild über die Welt abgebe. Auch mit Blick auf das Erstarken der AfD. Wenn ich da einen Protestsong singen würde, würde meine Crew bestimmt sagen: geiles Statement, Olli. Aber ich würde nicht einen von denen abholen.

Wie wird denn Ihrer Meinung nach dann die Welt zu einer besseren?

Das ist jetzt sehr mellow, aber es ist die einzige Hoffnung, die ich habe: Dass man mit ein bisschen Gefühl und Liebe die Leute wieder zurückholen kann. Und wenn man ihnen zeigt, wofür man steht.

Im Song „Silvester“ geht es darum, dass Sie vor kurzem zum zweiten Mal Vater geworden sind. Hat der Fakt, Vater zu sein, Ihre Musik verändert?

Es hat mein Spektrum erweitert. So einen Song wie „Silvester“ kann man ja nur schreiben, wenn man so etwas wirklich erlebt.

Der Song bringt Ihre Freude zum Ausdruck und hat eine gewisse Tragik.

Es war mir wichtig, kein zynisches Bild über die Welt abzugeben

Die Message ist: Du freust dich, dass dieses Kind auf die Welt kommt. Und je mehr die Tage voranschreiten, desto mehr denkst du: Ich hab dieses Leben erzeugt, und ihm damit aber auch den Tod geschenkt. Und dann guckst du dir diese Welt gerade an, die Zukunftsperspektiven, die dieses Kind haben wird, in den nächsten Jahrzehnten, die es hoffentlich auf diesem Planeten herumläuft. Dann kriegst du manchmal Angst.

Kann man ein richtig gutes Lied nur über etwas schreiben, das wirklich passiert ist?

Nein, vieles ist mir auch nicht passiert. „Koks und Nutten“ ist keine Geschichte, die genau so passiert ist. Es ist aber die Geschichte von meinen Hamburger Freunden, mit denen ich gelebt hab, Musik gemacht hab, und die an irgendeinem Punkt nicht mehr weiter gemacht haben. Solche Geschichten sind aber auch auf der neuen Platte, zum Beispiel in „Am Rand der Zeit“…

… ein Song über einen Verlorenen, der viel in der Kneipe herumhängt.

Als ich vor 18 Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich hier kaum Freunde, und ich wollte die Stadt kennenlernen. Ich bin dann mit dem Auto und der Bahn herumgefahren und bin in Altberliner Kneipen gegangen, im Wedding, im Marzahn, und hab da etliche Leute kennengelernt. Ich war damals im Wedding in der „Schultheiß-Klause“ oder so, die gibt’s schon lange nicht mehr, und dann war da so ’n betrunkener, dünner 60-Jähriger, so ’n Kneipenverrückter. Irgendwann kam er zu mir und sagte zu mir: Ich war schon mit meinem Papa hier! Den Rest dazu habe ich mir ausgedacht, aber das hat mich sehr berührt damals. Kneipenkultur ist auch ein soziales Auffangbecken, und jetzt ist sie fast weg. Wir sind dabei, ganz viel Aware­ness zu schaffen, aber genau solche Leute vergessen wir irgendwie.

Gibt es auch etwas, dass Ihnen Hoffnung macht?

Hoffnung habe ich, wenn ich mir die Generation meiner Tochter angucke.

Warum?

Teenager sind so desinteressiert an Sachen, von denen ich dachte, sie sind eine Gefahr. Ich glaube, dass die Menschen wieder besser werden, aber wir sind verflucht.

Wir“, Sie meinen …

… die Generation, die erstmals mit Social Media und der Informationsflut konfrontiert wurde. Wir sind ganz schön durchgepeitscht von der Welt, zu wütend, zu radikal teilweise, zu engstirnig. Wir gehen nicht gut miteinander um. Ich glaube, es wird wieder eine Generation geben, die mit mehr Liebe aufeinander zugeht, als wir das gerade tun.

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1 Kommentar

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  • Schöne Abschlussworte. Hoffentlich hat er recht.