piwik no script img

Befreiung im Finale

Aryna Sabalenka zeigt bei den Australian Open in einem einseitigen Endspiel neue Stärken. Die 25-jährige Belarussin lässt sich kaum noch verunsichern

Von Klaus Bellstedt

Als sie schließlich alle Wünsche der Fotografen erfüllt hatte und jedes noch so nervige TV-Interview mit Bravour hinter sich gebracht hatte, saß Aryna Sabalenka auf dem Podium im überfüllten Media Room No 1 und gönnte sich einen kleinen Schluck Champagner. Sie hatten ihr extra ein Glas hingestellt. Das ist guter Brauch am Ende eines langen Grand-Slam-Turniers: Die Sieger bekommen etwas Feines kredenzt.

Sabalenka hatte gerade zum zweiten Mal nach 2023 die Australian Open gewonnen. Es war ein einseitiges Finale bei diesem ersten großen Tennis-Turnier des Jahres. Gegen die Chinesin Qinwen Zheng gewann Sabalenka in nur 76 Minuten mit 6:3 und 6:2. Das war, wenn man so will, die logische Konsequenz. Die 25-jährige Belarussin war von Beginn an die dominierende Spielerin dieses Events gewesen. Sie gab bei ihrem Husarenritt am Yarra River im Melbourne Park nicht einen einzigen Satz ab.

Zum Start des Turniers fertigte sie gar die Deutsche Ella Seidel mit 6:0 und 6:1 ab. In der dritten Runde verhängte sie gegen Lesia Tsurenko beim 6:0 und 6:0 die Tennis-Höchststrafe. Nur gegen Coco Gauff im Halbfinale wurde sie ein bisschen gefordert. So bequem der sportliche Weg auf dem Weg zu Sabalenkas zweiten Grand-Slam-Titel war, so überraschend schwer war es für die 25-Jährige im Kopf. „Es fühlt sich gut an und auch ein Stück befreiend“, kommentierte sie sehr ehrlich nach dem erlösenden Schampus-Schluck. Selbst in diesem Augenblick trug sie die spe­ziel­le Last eines sehr komplizierten Tennisprofis mit sich herum. Sabalenka ist eine gnadenlose Spielerin. Auf dem Platz steht sie immer unter Strom und zerstört ihre Gegnerinnen mit ihrem wuchtigen Spiel. Ihre Schläge klingen wie Peitschenhiebe. Dazu stöhnt sie laut auf. Die Geräuschkulisse bei Sabalenka-Matches ist immer extrem hoch. Bezeichnend für ihren Stil – und das konnte man wieder gut im Finale erkennen – ist die sogenannte Eins-Zwei-Kombination. Die Grundlage ist der Aufschlag, es folgt meist eine Vorhand cross über das Netz geschlagen. Spätestens da ist es oft schon passiert und der Punkt gemacht.

Sabalenka beherrscht dieses Hochrisikospiel wie keine Zweite auf der Frauen-Tour. Selbst die Nummer eins der Welt Iga Swiatek hat in ihren Duel­len mit Sabalenka häufig damit zu kämpfen. So selbstsicher und grausam ihr Spiel auch sein kann, Sabalenka hat auch eine sehr fragile Seite. In der Vergangenheit ist sie immer mal wieder an ihren Emotionen gescheitert. Gegen Zheng flatterte sie auch, allerdings nur ganz am Ende. Beim Stand von 6:3 und 5:2 hatte sie drei Matchbälle, führte 40:0. Man könnte denken, es sei das Leichteste dieser Welt, das jetzt nur noch über die Ziellinie zu bringen. Aber was ist schon leicht in so einem Augenblick? Sabalenka war blockiert. So wie früher. Sie vergab die Matchbälle, sogar noch einen Vierten. Plötzlich wirkte sie unwirsch und verärgert. Es kochte in ihr. 60 Sekunden später hatte sie es doch geschafft.

Sie gab bei ihrem Husarenritt im Melbourne Park nicht einen einzigen Satz ab

Man verstand jetzt, was sie meinte, als sie später im Presseraum von „Befreiung“ sprach. Sabalenka hat einen großen Schritt in ihrer Entwicklung gemacht. „Sie kann sich besser kon­trol­lieren und ihre Emotionen in gewisser Weise verstecken“, erklärte Anton Dubrov, ihr Coach, hinterher. Sie habe sich auch mehr geöffnet. Es gab Zeiten, als Sabalenka davon überzeugt war, keine externe Hilfe annehmen zu müssen. „Ich bin meine eigene Psychologin“, sagte sie 2023 einmal am Rande des Turniers. „Ich habe verstanden, dass keiner außer mir selbst mir helfen kann.“

Aber damit ist es vorbei. Ihr Fitnesstrainer Jason Stacy berichtete nach dem Finalerfolg, dass er ihr „Routinen“ beigebracht habe. Auf diese würde sie jetzt in den „Alles-oder-nichts“-Situationen zurückgreifen. „Aryna versteht jetzt besser, was mit ihr passiert. Sie weiß genau, wann sie wieder die Kontrolle über sich übernehmen muss“, sagte Stacey. Und er sagte auch, dass das ein „Prozess“ sei und die Spielerin das nicht „über Nacht“ gelernt habe. In Melbourne war das deutlich zu erkennen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen