Liebeskummer als Energiequelle: Weinen unterm Schreibtisch

Es tat sehr weh, trotzdem möchte ich meinen Liebeskummer nicht missen. Er machte mich offen und kreativ wie lange nicht.

Graffiti eines großen rotes Kerzes mit Schattenseite

Wo Schatten ist, ist auch Licht Foto: Martin Schroeder/imago

Liebeskummer hat einen schlechten Ruf. Er „lohne“ sich nicht, „my darling“, heißt es in einem 60 Jahre alten Hit, dessen Kernaussage gültig geblieben ist: „Schade um die Tränen in der Nacht“. Dabei fließen die Tränen meistens auch tagsüber, Gefühle lohnen sich nie, weil sie nicht tauschbar sind, und: Liebeskummer ist ein wunderbarer Zustand.

Ja, doch, ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass ich das, was ich vor ein paar Monaten unbedingt loswerden wollte, fast ein bisschen vermisse. So wie die Geburten meiner Kinder oder andere Zeiten, die nicht leicht, aber voller Leben waren.

Ich bin nicht alleine mit dieser Erfahrung. Zwei Künst­le­r:in­nen sagten mir, sie hätten besonders viele neue Ideen gehabt in Zeiten heftigen Liebeskummers. Die Datingagentur Elite-Partner spricht auf ihrer Homepage gar von „einer schöpferischen Phase von ungeahnter Kreativität“. Ich habe zwar nichts geschaffen in meinem Kummer, aber oft die Spur gewechselt. Ich ging mehr tanzen als sonst, trat einem Chor bei und nahm an Workshops teil, unter anderem zu fairem Raufen – ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass ich mich gerne mit Fremden balge.

Es ging nicht nur um Ablenkung. Ich war bereit, mich auf Neues einzulassen. So hatte ich bisher beim Yoga den Handstand gemieden – und stand plötzlich in einer Stunde so lange und so oft auf den Händen wie in den vergangenen zehn Jahren zusammen. Andere ändern zu solchen Anlässen ihre Frisur, schaffen sich ein Haustier an oder lernen ein Instrument.

Im Körper geschieht dasselbe wie bei einem Drogenentzug: Man muss von den Glücks- und Bindungshormonen erst mal wieder runterkommen

Die beiden Künst­le­r:in­nen und ich rätselten, woran das liegen könnte. Der eine vermutete, es habe etwas mit der Umbruchsitua­tion zu tun, die andere schob den Kreativitäts­flash auf überschüssige Energie, die zuvor in die Liebesbeziehung geflossen war. Wissenschaftliche Literatur zu positiven Begleiterscheinungen des Liebeskummers fand ich nicht, dafür einiges (sich widersprechendes) darüber, ob Männer oder Frauen stärker leiden und warum sich der Schmerz so furchtbar anfühlt: Weil im Körper dasselbe geschieht wie beim Drogenentzug.

Schmerzmittel sollen helfen

Genau so ging es mir: Von den unter anderem beim Sex ausgeschütteten Glücks- und Bindungshormonen musste ich erst mal wieder runterkommen. Schmerzmittel sollen übrigens helfen. Oder eine neue Liebe. Das hatte eine Studie aus dem Jahr 2014 ergeben, die sogenannte Rebound-Beziehungen untersucht hatte.

Längst hatte ich zu googeln begonnen, wie ich mich des leidigen Gefühls entledigen könnte. Die Intensität hatte stetig zugenommen, als sackte die Trauer über den Verlust immer tiefer in meiner Seele. Sobald ich nicht schwer beschäftigt war, weinte ich. Vor den Kindern, auf dem Fahrrad, unterm Schreibtisch. Ich konnte schlafen, aber nicht arbeiten und aß höchstens halb so viel wie sonst.

Bei meiner Suche nach Erklärungen stieß ich auf Elena-Katharina Sohn, die vor zehn Jahren eine auf Liebeskummer spezialisierte Beratungsagentur gegründet hat. In einem Podcast erklärt sie: „Im Liebeskummer steckt ein unglaubliches Potenzial für eine Persönlichkeitsentwicklung.“ Viele Menschen hätten ihr gesagt, es sei eine harte Zeit gewesen, auf die sie aber nicht hätten verzichten wollen.

Nicht verzichten möchte ich neben all den neuen Impulsen und vielen freudvollen Momenten auf das Mitgefühl, das mir entgegenschlug. Selbst von denen, die die Geschichte schon 100-mal gehört hatten. Hätte ich über eine ernsthafte Erkrankung oder den Tod eines geliebten Menschen gesprochen, hätte es betretenes Schweigen geben können.

Aber alle wissen: Es fühlt sich anders an – aber an gebrochenem Herzen sterben nur sehr wenige. Liebeskummer geht vorbei, früher oder später. In meinem Fall endete er nach zwei Monaten von einem Tag auf den anderen, wie es eine Bekannte vorausgesagt hatte. „Wann hört es auf, weh zu tun?“, nölte ich, als ich sie zufällig traf. „Wenn du das entscheidest“, sagte sie.

Ein Kollege hatte mir sogar gratuliert. „Oh, wie toll!“, sagte er, „freu dich, dass du so empfinden kannst!“ Ich sah ihn zweifelnd an. „Es gibt nur eine schlechte Nachricht“, sagte er noch, „du wirst es wieder tun.“ Ich hoffe, nicht so bald. Aber ich glaube, das ist eine gute Nachricht.

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Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

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