Schwammiges Wir-Gefühl: Protest der Herzen

Die wütenden Bauern erfahren eine Solidarität, von der Linke nur träumen können. Um die Sache geht es dabei nur am Rande.

Ein Traktor fährt auf einer Straße

Der wütende Bauer, hier auf der Bundesstraße 5 unterwegs in Richtung Berlin, ist auch eine Projek­tions­fläche Foto: Patrick Pleul/dpa

Manchmal sind’s die kleinen Dinge. Ein freundlicher Gruß, ein Lächeln, kleine Geschenke, die die Freundschaft erhalten, wie man sagt. Und weniger behaglich gilt das Gleiche auch im Klassenkampf, wo die gereckte Faust der Umstehenden ganz ähnliche Glücksgefühle auszulösen vermag – und vielleicht sogar das rhythmische Hupen derer, die am Demozug vorbei tuckern und es offensichtlich gut meinen mit den Verkehrsbehinderern im Ausnahmezustand.

Was Solidaritätsbekundungen angeht, können sich die deutschen Bauern dieser Tage kaum beklagen. Das Internet quillt über von kämpferischen Memes, KI-Bilder etwa, die den Aufzug als martialische Front von Bikern und Treckern zeigen. Auch draußen auf der Straße stehen die Zeichen auf Sturm. Zwar faktisch weit entfernt vom Generalstreik fühlt es sich mitunter doch so an. Und auch wenn es für die wasserdichte Empirie noch zu früh sein mag, darf man als Lin­ke:r trotzdem schon ein bisschen neidisch werden auf den Rückhalt der Proteste in der Bevölkerung.

Vielleicht sind auch die Bauern selbst ein bisschen überrumpelt, dass es diesmal so heiß zugeht

Front gegen die Regierung

Vielleicht sind auch die Bauern selbst ein bisschen überrumpelt, dass es diesmal so heiß zugeht, während man zu vergangenen Kämpfen (gegen Milchkartelle etwa) doch recht allein auf weiter Flur stand. Inzwischen fordern sie es sogar ausdrücklich ein, wie bei den Blockaden von Aldi und Amazon Anfang der Woche vor Hamburg, die Solidarisierung erzwingen sollten – als Stärkung der Front gegen die Regierung.

All das wirkt auch emotional: Bernhard Bolkart, Präsident beim Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband, sagte etwa der Bild: „Dieses Gefühl des Miteinanders unter den Bauern hatten wir so seit Jahren nicht mehr. Jedes Mal, wenn ich die Blinklichter der Traktoren und die Mahnfeuer gesehen habe, bekam ich Gänsehaut.“

Und was die Empirie angeht: Wer in den vergangenen Wochen auf dem Land unterwegs war, wird Szenen wie diese erlebt haben, die sich vergangenen Montag bei einer (sehr zähen) Fahrt über den niedersächsischen Teil der Bundesstraße B51 zugetragen haben. Also gar nicht an der großen Route nach Berlin, sondern einfach irgendwo am Acker.

Ortsumgehung Bassum: Das Hupkonzert entgegenkommender Lkws wird lauter als die Demo selbst. Es sind fast zehn in Reihe, Trucker Uwe hat neben dem Nummernschild mit seinem Namen einen „Für Euch“-Zettel in die Scheibe gelegt. Station Twistringen: Ein kleiner Junge rennt von der Tankstelle an die Straße, um Schokolade auf einen der Trecker zu reichen. Beim Sportplatz am Ortsausgang applaudieren zehn Männer in Outdoorkleidung, die dafür sogar ihren Bollerwagen beiseite schieben. In Barnstorf steht einer auf der Verkehrsinsel und schreit in einer Tour „Ey“. Auch das klingt sonderbar freundlich. Und in der Mitte des Kreisverkehrs vor Diepholz steht „Nieder mit der Ampel“ auf einem Schild.

Woher kommt das? Oder wie der aktivistisch motivierte Vergleich gerade in Dauerschleife klingt: Was ist dran an Subventionskürzungen in der Landwirtschaft, das Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen nicht haben?

Die Bauern als Versorger

Für Protestforscher Felix Anderl von der Uni Marburg liegt es unter anderem an der Nähe von Land­wir­t:in­nen und Bevölkerung. Als Versorger bringen Bauern das regionale Essen auf Tisch. Das verstehe die Bevölkerung und nehme sie deshalb ernst. Eine rationale Überlegung, findet Anderl. Das Verständnis käme aber noch woanders her: Denn der Protest findet ja nicht im leeren Raum statt, wo allein rational über Probleme nachgedacht wird. Im Gegenteil.

Daneben, was hier gesagt wird, geht es eben auch darum, wer hier eigentlich spricht. Einige Akteure würden als se­riöser wahrgenommen, andere als weniger nachvollziehbar, vielleicht sogar als störend. „Das hat erst mal gar nichts mit guten Argumenten zu tun, sondern mit Macht“, sagt der Protestforscher. Das seien lange eingeübte Strategien.

Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen zum Beispiel würden in der Tendenz kritisch befragt, Bauern und Bäuerinnen hingegen ernst genommen. Das führt laut Anderl dazu, dass auch rechte Landwirtschaftsverbände als seriöse Akteure gelten. „Da lässt sich schon von einem Rechtsdrall in der gesellschaftlichen Debatte sprechen.“

Natürlich sind nicht alle Bauern rechts. Selbst über die Mehrheitsverhältnisse lässt sich seriös nicht urteilen. Und auch bei den sattsam bekannten rechten Demo-Transparenten mag es sich am Ende vielleicht doch eher um die lautesten Akteure handeln – und nicht um die meisten.

Anderl will von „den Bauern“ gar nicht erst reden. Bei den Protesten fänden sich vielmehr verschiedene bäuerliche Gruppen, mit verschiedenen Produktionsweisen, verschiedenen Hof-Größen, verschiedenen Problemen. In einer Sache jedoch seien sie sich einig: So wie jetzt geht es nicht weiter. „Land­wi­rt:in­nen sind trotz aller Unterschiede einhellig der Meinung: Wir arbeiten hart und hätten gern die entsprechende Entlohnung, die Anerkennung.“ Unmut, ohne Agenda.

Klar, da gibt es die Diskussion um Dieselsubvention, aber die allein haben nicht die Proteste verursacht. Wie oft konnte man die letzten Wochen hören: „Es reicht.“? Die Gründe aber sind divers, auch wenn sie nun alle zusammen ein Zeichen setzen.

Das „Wir“, für das die Bauern hupen (und behupt werden), ist also ein schwammiges, das gar nichts Konkretes fordert, das keine agrarsystemischen Fragen stellt, sondern erst mal ein zutiefst verärgertes.

Projektionsfläche für den eigenen Frust

Und die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen – an B51 und anderswo? Für die ist „der Bauer“ ganz sicher auch eine Projektionsfläche für den eigenen Frust. Und da konkurrieren sehr unterschiedliche und bisweilen auch widersprüchliche Traditionslinien. Über Bezüge auf die extrem rechte Landvolkbewegung ist in den vergangenen Wochen viel geschrieben worden – fast schon wieder vergessen hingegen ist, dass bis zur Jahrtausendwende auch Linke mit größter Selbstverständlichkeit bäuerliche Kämpfe im folkloristischen Repertoire führten. Keine Castor-Demo ohne Folkpunk-Band, und „Arg muss sich der Bauer quälen“. Auch wenn die Linke politische schon sehr, sehr lange keinen Fuß auf den ländlichen Boden bekommen hat.

All das gilt für Deutschland. Historisch und global gesehen gibt es durchaus linke Bauernproteste. Anderl verweist etwas auf La via Campesina. Die internationale kleinbäuerliche Bewegung sei eine der größten sozialen Bewegungen überhaupt, sagt er.

In Deutschland steht der Protestdiskurs heute im Zeichen sich auflösender politischer Koordinatensysteme. Zwischen rechts und links passt immer noch ein Frust gegen „die da oben“. Und der Hass auf „die Regierung“ ist ohnehin notwendigerweise unpolitisch. Wahrscheinlich müsste man sich als De­mo­kra­t:in vielmehr darum Sorgen machen, als um die genaue Anzahl von Reichbürgerflaggen an den Treckern.

Was nicht heißt, dass sich in diesem kollektiven Zorn auf das Abstrakte – aufs städtische Leben, auf die Vermittlungsinstanzen politischen Handelns – nicht auch Rechtes manifestiert. Anderl etwa erklärt die Projektion aufs Bäuerliche mit einem nostalgischen Bezug zur Landwirtschaft, der Vorstellung von einem einfacheren und faireren Deutschland, nach dem sich ein Teil der Bevölkerung sehne. Der Traum vom deutschen Boden, deutschen Schweinen und deutschem Käse. Von Heimat.

Merz lässt twittern

Das weiß sich auch die Opposition zunutze zu machen, falls sie nicht ohnehin längst mitträumt. Auf X (Twitter) ließ Friedrich Merz sein Team schon Mitte Dezember posten: „Landwirte produzieren unsere Lebensmittel, landwirtschaftlich genutzte Flächen prägen unser Landschaftsbild.“ Wen der CDU-Chef mit seinem „uns“ meint, hat er immer wieder deutlich gemacht: Deutsche, die ein verloren geglaubtes Deutschland wollen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Anderl bezweifelt, dass es dieses Deutschland überhaupt je gab. Die Verlusterzählung, die aber gebe es, und die könne jeder und jede mit den individuellen Problemen und eigenen Sehnsüchten füllen.

Bemerkenswerterweise träumen selbst Mitglieder der Regierung von einem Deutschland, in dem noch alles in Ordnung war. Vor den buhenden Bauern am Brandenburger Tor schiebt Finanzminister Lindner (FDP) die Schuld für Misere denen in die Schuhe, die für „das Nichtstun bezahlt werden“.

Der Finanzminister sehnt sich nach einem freien Markt, dem seine eigene Regierung zu viel Einhalt böte. „Geradezu ironisch“, sagt Anderl. „Das Hauptproblem der Landwirtschaft ist doch der freie Markt.“

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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