Neuer Frankfurt-“Tatort“: Wenigstens nicht weihnachtlich
Zum Fest beschenkt sich die „Tatort“-Redaktion selbst – mit einer Kapitulation. Am Ermittlerduo liegt das nicht, schuld ist die gestelzte Story.
Eine Kombination aus Zufall und der Unveränderlichkeit der Dinge hat dazu geführt, dass ich seit 2015 eingeplant bin für die Wochenendkrimirezension, die rund um die Weihnachtstage hier erscheint. Liegt am verlässlichen Vier-Wochen-Rhythmus, in dem diese Kolumne programmiert ist. Will sagen: Ich bin leidlich gut im Bilde über die Krimi-Auswahl der ARD für die Festtage. Vor genau 364 Tagen habe ich rund um die missratene BR-Folge „Mord unter Misteln“ ein paar Zeilen über die Event-„Tatorte“ der vergangenen Jahre genölt und will mich wirklich nicht wiederholen.
Aber die HR-Folge „Kontrollverlust“ mit dem Duo Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) aus Frankfurt am Main, die nun am Dienstag läuft, ist in dieser Tradition eine echte Überraschung. Nicht nur, weil die Story nichts mit Weihnachten zu tun hat (Gott sei’s getrommelt und gepfiffen!). Und nicht nur, weil es kein „Tatort“ ist, der strack auf Event gebürstet ist.
Nein: Dieser Film an diesem Tag überrascht, weil er so schlecht ist. Weil schon nach fünf Minuten die Frage im Raum steht, ob die ARD-„Tatort“-Redaktion einfach kapituliert hat. Als hätten sie beschlossen, dass sie besser etwas versenden, bei dem nicht schlimm ist, dass es sowieso niemand sieht.
Weil: Der erwähnte „Mord unter Misteln“ hatte eine historisch desaströse Einschaltquote – mit einem Publikum von 4,09 Millionen. Selbst die übers gesamte Jahr niedrigen Zahlen, die die dpa gerade vermeldete, zeigen: Keine der bis vor zwei Wochen gesendeten Erstausstrahlungen sahen so wenig Leute wie die Feiertagsausgabe 2022 – die schlechteste Quote lag bei 6 Millionen („Azra“ aus Wien).
Alles macht mehr Sinn
Im vergangenen Jahr empfahl ich vorab, lieber eine VHS-Kassette mit einem alten „Tatort“-Mitschnitt rauszukramen oder einen der roten Goldmann-Krimis aus dem Regal zu ziehen. Und auch wenn über die Jahre meine Beißhemmung stärker geworden ist, Verrisse zu schreiben – schließlich steckt viel Mühe und Zeit und Geld in jedem Projekt: Ich könnte es heute nicht besser formulieren. Alles macht mehr Sinn, als am 2. Weihnachtsfeiertag nach der „Tagesschau“ den Fernseher anzulassen.
„Kontrollverlust“, Di., 26. 12., 20.15 Uhr, ARD (Mediathek)
Der Ordnung halber sei kurz angerissen, wieso. Es liegt nicht an Broich und Koch, die wunderbar gelassen spielen und sprechen wie immer. Auch nicht an der bemerkenswerten Musik von Bertram Denzel, Max Knoth und Jana Poser. Nein, „Kontrollverlust“ unter der Regie von Elke Hauck, die zusammen mit Sven S. Poser auch das Buch geschrieben hat, ist schlicht eine ziemlich verquaste Story über eine Künstlerin (Jeanette Hain) und ihren gewaltbekannten Sohn (Béla Gábor Lenz, der frappierend Marek Harloff ähnelt, den die Älteren hier aus der Weihnachtsserie „Der Schattenmann“ kennen können – nur dass der besser spielt).
Sohn und andere gehören zur Gaming-Community, eine junge Frau der Runde wird ermordet. Genauer: Sohn steht in Minute 2:50 zu Hause nachts im Bad, blutverschmiertes T-Shirt, sagt zur Mutter: „Mama, ich habe ihr nichts getan, ich weiß nicht, was passiert ist. Das ist Karas Blut. Sie ist tot.“ Darauf die Mutter, ihm übers Haar streichend, in aller Ruhe: „Du musst mir jetzt nichts sagen.“ Die restlichen 84 Minuten werden nicht besser.
Der quotenschwächste „Tatort“, „soweit unsere Aufzeichnungen zurückreichen“, schrieb der Mediendienst DWDL vor einem Jahr nach „Mord unter Misteln“. Vielleicht reicht’s dieses Jahr ja für einen neuen Rekord!
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