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Stille Nacht, dunkle Nacht

Kurze Adventszeit, steigende Standmieten, hohe Auflagen und zu viel Bürokratie. Die Bedingungen für Weih­nachts­markt­be­trei­be­r*in­nen und Schau­stel­le­r*in­nen sind herausfordernd

Lichterfroher Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz Foto: Jens Kalaene/dpa

Von Lilly Schröder

Die vor Kurzem erfolgte Besetzung des Bezirksamts Spandau durch eine aufgebrachte Gruppe von Schau­stel­le­r*in­nen endete nicht nur in einem juristischen Nachspiel. Der Protest gegen verkürzte Öffnungszeiten auf einem Weihnachtsmarkt gewährt einen Einblick in die weitreichenden Probleme, mit denen die Branche zu kämpfen hat.

Traditionell beginnen die Weihnachtsmärkte erst in der Woche nach dem Totensonntag, dem letzten Sonntag vor dem Ersten Advent. Wegen der verkürzten Adventszeit öffneten jedoch einige Be­trei­be­r*in­nen ihre Pforten schon früher, um mögliche Umsatzeinbußen auszugleichen. So konnten Be­su­che­r*in­nen bereits Ende Oktober bei 12 Grad und Sonne in der „Winterwelt“ am Potsdamer Platz rodeln gehen und sieben Wochen vor Weihnachten gebrannte Mandeln im „Winterzauber“ an der Landsberger Allee verputzen.

Das finden einige geschmacklos früh. Kritik kommt unter anderem von den Kirchen, die beklagen, dass der November ein stiller Monat des Gedenkens und der Einkehr sei. „Wir sind in Trauer. Erst danach kann umgeschaltet werden“, so die Pfarrerin der Gedächtniskirche, Dr. Kingreen. Sie plädiert dafür, dass die Märkte erst nach dem Totensonntag öffnen. Einige umgehen diese Bitte der Kirchen, indem sie sich bis zum Totensonntag als „Wintermärkte“ und erst danach als „Weihnachtsmärkte“ betiteln.

Ganz gleich, ob Winter- oder Weihnachtsmarkt: Besinnlichkeit und Ruhe sind auf diesen Veranstaltungen in der Regel Mangelware. Aufgrund immens gestiegener Gema-Gebühren können sich einige Ver­an­stal­te­r*in­nen nicht mehr leisten, Musik auf ihren Märkten abzuspielen. Für gebührenpflichtige Titel rechnet die Gema neuerdings nicht nur die räumliche Größe der Beschallung rund um die Bühne oder den jeweiligen Lautsprecher an, sondern die Größe des gesamten Veranstaltungsbereichs. Auf die Gema-Anpassungen reagieren einige Weihnachtsmärkte mit einem abgespeckten Musikangebot. Auch auf dem Weihnachtsmarkt am Schloss Charlottenburg wird es in diesem Jahr keine Musik aus den Lautsprecheranlagen geben. Dafür aber Live-Musik mit Ak­kor­de­on­spie­le­r*in­nen und Blechbläser*innen, die für Gema-freie weihnachtliche Klassiker sorgen, sagt Marktleiter Sebastian Buchmann. Die Regelung der Gema gibt es schon seit 2018, sie wird bloß jetzt erst konsequent durchgeführt. Einige Be­trei­be­r*in­nen haben das Glück, davon bislang nicht betroffen zu sein. „Aber wenn diese kommen, müssen wir die Musik ausfallen lassen“, so Holger Zahn, Betreiber des Weihnachtsmarkts in den Späth’schen Baumschulen. Er fordert vom Senat, sich dafür stark zu machen, dass die „unsinnige“ Gema-Regelung nicht durchgesetzt wird.

Diese Regelung sei jedoch nur ein weiterer Tropfen auf den anderen, so Thilo-Harry Wollenschlaeger, Betreiber der Märkte „Family-Wonderland“ und „Wintermarkt am Schlossplatz“. Es würde nämlich an allen Ecken gespart. So auch am Licht. Während die Senatsverwaltung die 4,2 Kilometer lange Weihnachtsbeleuchtung am Kurfürstendamm 2021 noch mit 250.000 Euro bezuschusste, trägt sie 2023 nur noch 100.000 Euro bei, so die Arbeitsgemeinschaft City e. V. (AG City). Nur mithilfe der Unterstützung zahlreicher Spon­so­r*in­nen konnten weitere 330.000 Euro eingesammelt werden, um die diesjährige Beleuchtung zu sichern. Darüber, ob 140 Kilometer lichtverschmutzender – wenn auch nach Angaben der AG City „effizienter und stromsparender“ – Lichterketten in Zeiten des Klimawandels und der Energiekrise notwendig sind, lässt sich diskutieren. Für das Geschäft der Weih­nachts­markt­be­trei­be­r*in­nen sind sie jedoch unentbehrlich, da sie unzählige Tou­ris­t*in­nen und Ber­li­ne­r*in­nen zum Weihnachtsshopping anziehen. Ein Wegfall des Lichterteppichs würde für den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz mit erheblichen Umsatzeinbußen einhergehen.

Es sind nicht nur kurze, leise und dunkle Weihnachtsmärkte, die den Be­trei­be­r*in­nen und Schau­stel­le­r*in­nen in diesem Jahr Probleme bereiten. Sie kämpfen zudem mit enormen Preissteigerungen. „Die Kosten gehen für alles explosionsartig in die Höhe“, beklagt Wollenschlaeger. Michael Roden, Vorsitzender des Schaustellerverbandes Berlin e. V., berichtet, dass die größten Mehrkosten durch die drastische Erhöhung der Strom- und Gaskosten entstünden. „Während wir im letzten Jahr zwischen 30 und 35 Cent pro Kilowattstunde gezahlt haben, zahlen wir jetzt 69 Cent pro Kilowattstunde.“

Der Umgang mit den gestiegenen Kosten variiert je nach Betreiber*in. Einige heben die Standmieten für Schau­stel­le­r*in­nen an, die wiederum die Preise für Be­su­che­r*in­nen erhöhen. Andere verlangen mehr Eintritt aus Sorge, Schau­stel­le­r*in­nen mit zu hohen Standmieten zu verschrecken. Holger Zahn etwa berichtet, die Standgebühren nicht zu erhöhen, dafür aber den Eintritt im letzten Jahr von 5 Euro auf 8 Euro angehoben zu haben.

Sowohl das Abwälzen der gestiegenen Kosten auf die Schau­stel­le­r*in­nen als auch auf die Be­su­che­r*in­nen führe langfristig dazu, dass Weihnachtsmärkte aussterben, so Michael Roden. Ihm sei es wichtig, den traditionsreichen Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz fortzuführen, „aber wenn der Glühwein 10 Euro kosten muss, dann funktioniert das nicht mehr“. Das kritisiert auch Wollenschlaeger: „Wir sind am oberen Level einer Preisspirale angekommen. Es ist kein Volksfest mehr, wenn das Volk es sich nicht leisten kann.“

Schließlich kritisieren Be­trei­be­r*in­nen erhöhte Auflagen. Ob Sicherheits- oder Schutzauflagen, Straßennutzungsgebühren oder Genehmigungen für Lärm- und Lichtemessionen – sie würden immer höher und schwieriger zu erreichen, so Roden. „Wenn das so weitergeht mit den Auflagen, dann stößt man an seine Grenzen.“

Viel problematischer als die Auflagen seien jedoch die langwierigen Genehmigungsverfahren, die keine Planungssicherheit ermöglichen, klagt Roden. Er bemängelt zu viel Bürokratie und die Einbindung zu vieler Ämter, An­rai­ne­r*in­nen, Verkehrsbetriebe und weiterer Parteien in die Genehmigungsprozesse. „Es gibt keine kurzen Wege mehr. Je mehr Menschen etwas dazu zu sagen haben, desto mehr Probleme entstehen“, so Roden. Das Land Berlin mache es den Ver­an­stal­te­r*in­nen nicht leicht.

Erfreuliche Nachrichten für frustrierte Schau­stel­le­r*in­nen und Be­trei­be­r*in­nen überbringt das Bezirksamt Neukölln auf Anfrage der taz: Zwar werden die Auflagen immer mehr, aber „dagegen ist das coronabedingte Hygienekonzept entfallen, das ja auch hohe Anforderungen an die Veranstalter setzte“. Die Be­trei­be­r*in­nen können sich also doch glücklich schätzen, dass sie in stillen und dunklen Zeiten keine pandemiebedingten Hygienekonzepte auferlegt bekommen.

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