Psychothriller „Eileen“ im Kino: Eine junge Frau mit Abgründen

„Eileen“ ist ein Psychothriller als surrealistische Groteske. Ottessa Moshfegh schrieb das Drehbuch für die Verfilmung ihres gleichnamigen Romans.

Dr. Rebecca Saint John (Anne Hathaway) und Eileen (Thomasin McKenzie) tanzen lächelnd vor einer Jukebox.

Eileen (Thomasin McKenzie, re) und Dr. Rebecca Saint John (Anne Hathaway) Foto: Universal Pictures

Wenn am Schluss ein feines, ungläubig triumphierendes Lächeln die Lippen von Thomasin McKenzie umspielt, will es einen frösteln. Man kann sich nämlich gut vorstellen, woran Eileen jetzt vielleicht denkt: an etwas, das ihr Vater zu ihr gesagt hat, der normalerweise stockbesoffen im Sessel liegt, manchmal aber nüchtern genug ist, um seine Tochter herunterzumachen.

In einer Schlüsselszene des Films sitzen beide nebeneinander auf der Couch, was eigentlich ein schönes Bild häuslicher Eintracht sein könnte. Doch auch diesen Moment lässt der Vater nicht ungenutzt verstreichen und erklärt seiner Tochter in bewährter Grausamkeit ihr Leben: Es gebe Menschen, sagt er, auf die alle schauten, solche, die Dinge in Gang setzten. Und dann gebe es die anderen, die einfach nur da seien, deren Existenz aber absolut keine Rolle spiele: „Und so eine bist du, Eileen.“ Natürlich ist es kein Wunder, dass Eileen ernsthaft glaubt, alle Menschen wollten insgeheim ihre Väter ermorden.

„Eileen“. Regie: William Oldroyd. Mit Thomasin McKenzie, Anne Hathaway u. a. USA 2023, 97 Min.

Die Autorin Ottessa Moshfegh, die gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Luke Goebel, das Drehbuch zu dieser Verfilmung ihres eigenen gleichnamigen Romans geschrieben und den Film auch mitproduziert hat, kennt sich aus mit Dingen, die Menschen sich im Geheimen wünschen, und hat diese dunkleren Triebe geradezu zum Markenzeichen ihres literarischen Schaffens gemacht.

„Eileen“ handelt von einer jungen Frau, die als Hilfskraft in einem Jugendgefängnis jobbt. Sie ist irgendwie hängengeblieben in ihrem Leben, existiert trübe vor sich hin, stopft bergeweise Schokotoffees in sich hinein, die sie zerkaut und wieder ausspuckt, und masturbiert während der Arbeit zu sexuellen Fantasien über die jugendlichen Gefangenen. Die Tristheit dieses ungelebten Mädchenlebens wird optisch noch verstärkt durch die sepiabraune, farblose Ästhetik der fünfziger Jahre, in denen die Handlung spielt, und durch die chronische Abwesenheit von Licht in praktisch jeder einzelnen Einstellung.

Es ist Winter in Massachusetts. Doch als eine neue Gefängnispsychologin ihren Dienst antritt, scheint in Eileens Leben eine hellere Ära angebrochen zu sein. Dr. Rebecca Saint John (Anne Hathaway), eine Frau mit Filmstaraura und knallbunten Klamotten, die im Knast wie ein Paradiesvogel wirkt, freundet sich mit Eileen an, umwirbt die unscheinbare junge Frau geradezu. Endlich fühlt Eileen sich gesehen und blüht auf. Aber diese Freundschaft unter ungleichen Vorzeichen kann selbstverständlich zu nichts Gutem führen.

Wie auf einem alten holländischen Gemälde

Thomasin McKenzie als Eileen ist eine Sensation, sie balanciert ihre Figur genau auf dem schmalen Grat zwischen jugendlicher Naivität und blankem Nihilismus. Anne Hathaway als Rebecca bringt es auf den Punkt, wenn sie sinngemäß sagt, Eileen habe ein Gesicht wie auf einem alten holländischen Gemälde, schlicht und doch abgründig. Hathaways Rebecca selbst wirkt aber nicht minder enigmatisch. Die Figur scheint wie aus einem David-Lynch-Film ausgeschnitten, zu blond und zu schön, als dass irgendetwas an ihr echt sein könnte, und eindeutig larger than life.

Ein Quäntchen surrealistischer Überhöhung und Übertreibung wird durchgehend auf jede einzelne Figur angewendet, auch auf Eileens Vater, den sadistischen Alkoholiker. Dieses Verfahren verleiht dem Psychothriller, der „Eileen“ der Handlung nach ist, die gestische Anmutung einer sinistren Groteske. Sowohl ästhetisch als auch konzeptuell passt alles perfekt ineinander; auch die Bilder sind großartig und scheinen wirklich mitunter Interieurs im Vermeer-Style nachempfunden. Dramaturgie und Tempo stimmen perfekt; die Spannung hält durchgehend bis zum überraschend abrupten Schluss.

Zweifellos ist Regisseur William Oldroyd ein Film gelungen, der seine Vorlage kongenial umsetzt. Und doch bleibt bei aller handwerklichen Brillanz am Ende ein blasses Fragezeichen im Hintergrund stehen, das nichts mit dem Film an sich zu tun hat, sondern mit Ottessa Mosh­feghs Verhältnis zu ihren Figuren.

Eines der künstlerischen Grundprinzipien der Autorin besteht darin, möglichst keine Identifikationsmöglichkeiten anzubieten. Ihre Charaktere sind verkorkst, verdorben, grausam oder mindestens total moralfrei. Es gibt, bei Lichte betrachtet, rein gar nichts Gutes in ihren fiktionalen Welten.

Der Verlust, den man als Mosh­fegh-RezipientIn durch diese Verweigerung jedes Identifikationsangebots erleidet, wird durch den großzügigen Einsatz von grimmigem Humor allerdings in der Regel wieder ausgeglichen. Das ist im Prinzip ein faires Angebot und funktioniert auch in dieser filmischen Variante einwandfrei. Aber wenn jetzt einer käme und sagte, alles prima gemacht und so, aber welchen Sinn hat dieser geballte misanthropische Nihilismus denn so auf Dauer als künstlerisches Prinzip, dann wäre diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten.

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