Haushaltsbeschluss im Abgeordnetenhaus: An der Abbruchkante

Kahlschlag? Spendier-Etat mit Wahlgeschenken trotz Milliardenlochs? Selten wurde ein Haushalt so kontrovers diskutiert wie der Etat für 2024 und 2025.

Das Bild zeigt ein Sparschwein, aus dessen offenem Bauch ein 20-Euro-Schein ragt. Davor liegen weitere Schein und zahlreiche Münzen.

Beim Haushaltsplan für 2024 und 2025 geht die schwarz-rote Koalition an die letzten Reserven Foto: dpa

BERLIN taz | Der Haushaltsentwurf, der diesen Donnerstag im Abgeordnetenhaus Gesetz werden soll, lag noch gar nicht vor, als die taz „Angst vor dem Schwarz-Rot-Stift“ konstatieren musste: Freie Träger und Hochschulen ängstigten sich im Sommer vor den erwarteten Finanzplänen von CDU und SPD. Was der Senat als Entwurf kurz danach tatsächlich beschloss, lief eher unter „Mehr Geld für alle“. Bald war sogar von überzogenen Ausgaben und zu wenig Sparwille die Rede – bis nun noch einmal Protest in den Bezirken aufbrandete, man werde kaputt gespart (siehe Text unten). Selten, vielleicht noch nie, wurde ein Landeshaushalt bis zum Schluss so kontrovers diskutiert wie der jährlich rund 40 Milliarden schwere Entwurf, den das Parlament nun für 2024/25 beschließt.

Auf fast 3.900 Seiten ist in 29 Einzelplänen aufgeschrieben, wie dieses Geld auszugeben ist. Umgelegt auf die 159 Mitglieder des Abgeordnetenhauses, das den Entwurf seit dem Spätsommer diskutiert hat, sind das rein rechnerisch knapp 25 Seiten für jeden und jede. Tatsächlich aber hing das, was als „Königsrecht des Parlaments“ gilt, vorrangig an den 31 Mitgliedern des Hauptausschusses. Die mussten durchgehen, was hunderte Mitarbeiter der Senatsverwaltungen zusammentrugen und was der Finanzsenator im Entwurf bündelte. Wobei das seine Grenzen hat: „Wir können natürlich im Haushalt nicht jeden Titel diskutieren und beraten“, sagte der CDU-Abgeordnete und langjährige Haushaltskenner Christian ­Goiny jüngst im taz-Interview.

Was aber durchaus möglich war: Schwerpunkte setzen – und Wahlversprechen einlösen. Bei der SPD war das vor allem die Besonderheit des auf Berlin beschränkten 29-Euro-Tickets parallel zum bundesweit gültigen 49-Euro-Ticket. Das hatte die SPD im Wahlkampf versprochen, im Frühjahr gleich am ersten Koalitionsverhandlungstag der CDU abgerungen und nun auch im Haushalt durchgesetzt. Über 300 Millionen soll das pro Jahr kosten. Grüne und Linkspartei hatten günstigere Varianten vorgerechnet, die Industrie- und Handelskammer sieht in einem Verzicht auf das Ticket eine einfache Sparmöglichkeit.

Denn ohne Sparen – da ist man sich im Parlament weitgehend einig – wird es künftig nicht gehen. Die Linksfraktion prägte für die aktuelle Situation Berlins den Begriff der „Abbruchkante“: Das Land leistet sich einen Haushalt in Rekordhöhe, doch nach und mit diesem Doppelhaushalt ist kein klarer Finanzpfad mehr erkennbar. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) konnte es sich bei der ersten Haushaltsberatung im Parlament nur deshalb leisten, seinen Entwurf als „Kraftpaket“ zu bezeichnen, weil er ihn mithilfe sämtlicher Rücklagen finanziert hat.

Die Rücklagen sind erschöpft

Die sind nun erschöpft, Berlin ist künftig allein auf Steuereinnahmen und die Finanzhilfen anderer Bundesländer angewiesen. Parallel dazu steht das große Projekt des schwarz-roten Senats in Frage, ein 5 Milliarden Euro schweres Klima-Sondervermögen einzurichten. Auf Bundesebene hat das Bundesverfassungsgericht ein solches Projekt gekippt, weil dafür frühere Kredite einfach umetikettiert werden sollten. Evers hatte gleich danach mitteilen lassen, das Urteil betreffe Berlin nicht – nun soll aber doch erst ein Gutachten die Rechtslage klären.

Und während auf Bundesebene CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz eisern die Schuldenbremse verteidigt, ruft sein Berliner Parteifreund Kai Wegner zumindest nach einer Reform. Ihre jetzige Ausgestaltung hält der Regierende Bürgermeister sogar für gefährlich, Kredite für Investitionen für dringend nötig. Dafür gab es noch am Samstag beim Grünen-Landesparteitag Lob von deren Bundeschefin Ricarda Lang.

In dieser Gemengelage verläuft die Konfliktlinie nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch zwischen Senat und Bezirken. Das wiederum fußt auf einer der vielen Besonderheiten Berlins als Stadtstaat. Denn Pankow etwa wäre zwar einwohnermäßig die sechszehntgrößte Stadt Deutschlands. Rein rechtlich aber ist der Bezirk weit weniger eigenständig als etwa die 20.000-Einwohner-Gemeinde Luckenwalde, Rudi Dutschkes Jugendstadt südlich von Berlin.

Bezirke haben keine eigenen Steuereinnahmen, bekommen das Geld für ihre Aufgaben vom Land zugewiesen und haben darum rein rechtlich auch keine Parlamente, auch wenn der sperrige Begriff der „Bezirksverordnetenversammlung“ gern darauf verkürzt wird. Der Streit darüber, wie viel Geld die Bezirke für ihre Aufgaben wirklich brauchen, währt seit Jahrzehnten – und im Zweifel hat der Senat das letzte Wort.

Vorgabe für Einsparungen

Mit den Etatberatungen der jüngsten Monate kursierte prominent auch ein früher nur Experten bekanntes Kürzel: die PMAs, die Pauschalen Minderausgaben – eine Vorgabe an eine Senatsverwaltung oder einen Bezirk, soundso viel Euro einzusparen, ohne zu sagen wo. Das betrifft nicht bloß ein paar Millionen, sondern in den nächsten beiden Jahren rund vier Milliarden Euro – also jeden 20. Euro im Haushalt.

So kontrovers die Debatte war, so kontrovers geht sie in die Parlamentsabstimmung: Während Berlins Sozialverbände am Mittwoch wegen der PMAs erneut tiefe Einschnitte befürchteten, mochten die führenden Köpfe der Koalitionsfraktionen von einem sozialen Kahlschlag nichts wissen.

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