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Vierschanzentournee-AuftaktDegradierter Flieger

Die deutschen Skispringer sind prächtig in Form. Nur beim sechsfachen Weltmeister Markus Eisenbichler klappt nichts. Er muss zuschauen.

Markus Eisenbichler auf der Suche nach seinen fraglos außergewöhnlichen Fähigkeiten Foto: imago

Die Verlosung von zwei VIP-Tickets für das Neujahrsspringen verheißt der oberste Eintrag auf dem Instagram-Kanal von Markus Eisenbichler. Das Problem daran: Der sechsmalige Weltmeister wird bei der zweiten Station der 72. Vierschanzentournee im deutschen Aufgebot ebenso fehlen wie bei allen anderen Springen des Skisprung-Grand-Slams, wie der Deutsche Skiverband (DSV) am Rande des Tournee-Auftakts in Oberstdorf bestätigte. Der einstige Überflieger trainiert stattdessen im slowenischen Planica mit seinem Heimtrainer Christian Leitner.

Mitten im grandiosen Aufschwung der deutschen Flieger, die mit Andreas Wellinger, Pius Paschke und Karl Geiger gleich drei Anwärter auf den ersten deutschen Vierschanzentournee-Gesamtsieg seit 22 Jahren stellen, erlebt Eisenbichler also eine der schlimmsten Krisen seiner Karriere. Der Routinier aus Siegsdorf wurde in diesem Winter noch für keinen Weltcup nominiert. Nicht einmal für die zweite Liga des Skispringens reicht es momentan mehr, für den Continentalcup am 27. und 28. Dezember im schweizerischen Engelberg wurden sechs andere, durchweg jüngere deutsche Springer nominiert.

Begleitet wird diese Degradierung von teilweise heftigen Vorwürfen. „Markus ist nicht gut genug gesprungen, er hat diese Chance verpasst. Skispringen ist manchmal ein schwieriger Sport“, sagt Bundestrainer Stefan Horngacher. Im deutschen Team zähle Leistung, „egal wie viele Medaillen man um den Hals hängen hat“.

Eisenbichler habe sich im Training ein paar Freiheiten herausgenommen und „wahrscheinlich auch ein paar Fehler gemacht.“ ARD-Experte Sven Hannawald legte daraufhin im Interview mit seinem Haussender nach und warf Eisenbichler Beratungsresistenz vor: „Er denkt immer, nur er selbst ist auf dem richtigen Weg.“

Unzufriedener Grantler

Tatsächlich haben es die Trainer mit dem „schwierigen Charakter“ (Hannawald) Eisenbichlers extrem schwer. In den letzten Wintern lieferte der begnadete Flieger immer weniger Argumente dafür, warum die Extrawürste für ihn berechtigt sind. Den letzten seiner insgesamt sechs Weltmeistertitel holte Eisenbichler vor knapp drei Jahren im Tournee-Auf­takt­ort Oberstdorf, noch etwas länger ist sein letzter Weltcup-Sieg her.

Vierschanzentournee

Der Wettbewerb Gesprungen wird traditionell in Oberstdorf (29. Dezember), Garmisch-Partenkirchen (1. Januar), Innsbruck (3. Januar) und Bischofshofen (6. Januar).

Die Favoriten Stefan Kraft gewann in dieser Saison fünf von acht Wettbewerben. Hinter dem Österreicher zählen die Deutschen Andreas Wellinger, Karl Geiger und Teamsenior Pius Paschke zum engeren Favoritenkreis. Die Tournee-Gewinner der vergangenen Jahre, Halvor Egner Granerud aus Norwegen und der Japaner Ryoyu Kobayashi, zeigten bislang nicht ihre Glanzform.

Frauentournee Eine Vierschanzentournee für Skispringerinnen soll kommen. Doch wann? Mit der „Two Nights Tour“ wollen sich die Springerinnen weiter annähern. Erstmals tragen sie um den Jahreswechsel Weltcups auf den Tournee-Schanzen in Garmisch-Partenkirchen (30. Dezember) und Oberstdorf (1. Januar) aus.

In den Jahren seitdem ließ Eisenbichler nur in Einzelsprüngen und Teamwettbewerben bei Großereignissen seine große Klasse aufblitzen, viel häufiger war er als unzufriedener Grantler zu erleben. Es darf bezweifelt werden, ob das besonders hilfreich für die ansonsten harmonische Atmosphäre im deutschen Team war – vermutlich ein weiterer Grund, warum Eisenbichler momentan komplett raus aus dem Nationalteam ist.

Sein Flugkumpel Karl Geiger findet es trotzdem „sehr schade“, dass Markus Eisenbichler momentan fehlt: „Schließlich sind wir im Doppelzimmer ein eingespieltes Duo. Er tut sich aber momentan schwer, findet seine Form nicht richtig. Es läuft derzeit einfach nicht nach Plan für ihn.“ Auf die Frage, ob er einen Rücktritt seines Kollegen Eisenbichlers erwartet, antwortet der Tournee-Mitfavorit Geiger zweideutig: „Ich hoffe nicht.“ Hannawald wird deutlicher: Für Eisenbichler gelte es nun, „entweder aufzuwachen oder beim eigenen Weg zu bleiben. Dann wird aber das Karriereende relativ nah sein.“

Eisenbichler selbst wirkte zumindest in diesem Sommer so, als würde er sich schon auf die Zeit nach seiner sportlichen Karriere einstimmen. In einem Video für einen Sponsor bewirtete der eingefleischte Bayer in Tracht die bereits zurückgetretene Biathlon-Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick mit einer Brotzeit auf einer Berghütte. Dazu absolvierte er die Ausbildung für den gehobenen Dienst in der Sportschule der Bundespolizei. „Davon haben wir ihm auch abgeraten, das muss auch nicht unbedingt sein. Das wollte er unbedingt durchziehen“, berichtet Horngacher. So hat Eisenbichler nun zwar den Titel als Kommissar in der Tasche, ist aber momentan kein Weltklasse-Skispringer mehr.

Ist sein Abschied also nah? Stefan Horngacher hält dem „fanatischen Skispringer“ zumindest eine Tür offen: „Wir geben Eisei natürlich die Zeit, die er braucht. Die Saison ist noch lang. Wenn er sich sortiert, ist ein Markus Eisenbichler immer eine sehr, sehr gute Option.“ Vielleicht bringt ihn ja das Trainingslager im Wohlfühlort Planica noch einmal auf den richtigen Weg zurück. Dort stellte der begnadete Flieger mit unglaublichen 248 Metern einst den deutschen Skiflug-Rekord auf. Nicht nur die VIP-Gäste waren damals begeistert.

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