Gewalt gegen Frauen: „Es geht um Macht und Kontrolle“
Anuscheh Amir-Khalili vom Flamingo e.V. über die Theaterperformance „Trennung Impossible“. Das Stück beschäftigt sich mit Gewalt bei Trennungen.
taz: Frau Amir-Khalili, am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen zeigt das Projekt „Growth – Mütter gegen Gewalt“ des Flamingo e.V. – Netzwerk für geflüchtete Frauen und Kinder – die Theaterperformance „Trennung Impossible“. Worum geht es im Stück?
Anuscheh Amir-Khalili: Es geht um Trennungsgewalt aus der Sicht von Müttern, wenn gemeinsame Kinder da sind und es zu einer Trennung kommt. Das Stück thematisiert die Gewalt durch den Expartner, die in der Trennungssituation oft zunimmt. Vor allem geht es um die institutionelle Gewalt, mit denen die Frauen konfrontiert sind. Erzählt werden vier Perspektiven von Betroffenen, vom Kampf der Mütter vor Gericht, im Jugendamt und in den eigenen vier Wänden. Auch die Perspektive eines Kindes ist dabei.
45, ist Mitinitiatorin des Projekts „Growth – Mütter gegen Gewalt“ und leitet den Flamingo e.V.
Was passiert denn vor Gericht?
In Familiengerichten finden Verhandlungen um Sorge- und Umgangsrecht hinter geschlossenen Türen statt. Wenn sich unverheiratete Paare mit Kindern trennen, können die Väter seit einer Gesetzesänderung 2013 ohne großen Aufwand das gemeinsame Sorgerecht erlangen. Diese rechtliche Gleichstellung würde ich gar nicht verurteilen, wenn dadurch auch die unbezahlte Sorge- und Lohnarbeit, sowie die Rentenpunkte gerecht verteilt wären. Aber wir leben im Patriarchat.
Aber es gibt doch Schutz vor Gewalt gegen Frauen?
Die Istanbul-Konvention schützt Frauen vor Gewalt, wird aber de facto in Deutschland gar nicht umgesetzt. Wir reden von Trennungsgewalt – für die Mütter gibt es keinen besonderen Schutz vor gewalttätigen Männern, im Gegenteil. Lange konnten Außenstehende überhaupt nicht nachvollziehen, unter welchem Druck Frauen stehen. Es gibt Frauen, die haben sich Hilfe bei Flamingo e.V. gesucht, weil sie Angst vor dem Expartner hatten und sich unbedingt trennen wollten. Der normale Weg ist, sich beim Jugendamt Hilfe zu holen. Doch die Sozialarbeiter*innen sind oft nicht geschult im Umgang mit Gewalt, betroffene Frauen werden zum Austausch mit dem Expartner gezwungen. Da geht es ganz oft um Macht und Kontrolle. Laut einer Statistik ist die gefährlichste Phase für Femizide die Trennungsphase. Innerhalb dieser Periode sterben in Deutschland wöchentlich drei Frauen. Dazu kommt eine Vielzahl versuchter Morde.
Warum sind geflüchtete Frauen besonders gefährdet?
Wenn eine Familie nach Deutschland flüchten will, kommt der Mann oft zuerst, um Frau und Kinder über die Familienzusammenführung nachzuholen. Laut Gesetz hängt der Aufenthaltstitel der Frau dann vom Mann ab. Hat der also den Aufenthaltstitel bekommen, kann die Frau aufgrund seines Status dableiben. Wird er aber gewalttätig und sie will sich aus diesem oder anderen Gründen trennen, verfällt ihr Status. Oft muss die Frau dann Angst vor einer Abschiebung haben. Und wenn der Mann quasi gekränkt ist, hat er alle Mittel in der Hand. Er kann sagen: Du willst dich trennen? Ja, mach doch! Und die Kinder bleiben dann natürlich beim Vater. Deswegen bleiben Frauen ganz oft beim gewalttätigen Mann. Viele gewalttätige Väter haben das Recht auf ihrer Seite, da wird schnell argumentiert: Er kann die Kinder weiterhin sehen, die Gewalt richtet sich ja nur gegen die Mutter. Die Kinder wiederum kriegen gespiegelt: Es ist okay, dass Mama geschlagen wird. Das Problem wird in die kommenden Generationen weitergetragen.
Was kann man dagegen tun?
Es muss Schulungen für Sozialarbeiter*innen in den Jugendämtern und auch Richter*innen geben. Die Istanbul-Konvention muss durchgesetzt werden! Die setzt sich genau dafür ein, dass die Rechte für Frauen gestärkt werden, die von Gewalt betroffen sind. Leider wird das in den Verhandlungen der Familiengerichte oft umgekehrt. Es gibt Fälle, wo die Frauen das Sorgerecht verloren haben, weil sie für einen großen „Familienkonflikt“ gesorgt haben. Wir hatten gerade eine Entführung am Hamburger Flughafen. Danach wurde in allen Medien geschrieben: Der Mann hat das Kind wegen eines Sorgerechtsstreits entführt. Aber ein Kind zu entführen und alle mit einer Waffe zu bedrohen ist kein Sorgerechtsstreit, sondern Gewalt. Und alles, worauf die Regierung kommt, ist: Wir müssen die Zäune am Flughafen besser schützen. Wie wäre es mit mehr Schutz für Frauen und Kinder?
„Trennung Impossible“ wieder am 25. November 2023, 19 Uhr, Spore-Initiative, Hermannstraße 86; Eintritt frei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!