Obdachlosigkeit im Winter: Zurückgeschickt in den Schnee

Die Obdachlosenunterkünfte sind voll, viele Menschen werden abgewiesen. Immobilien für Notunterkünfte sind immer schwerer zu finden.

An einer Hauswand liegen Matrazen und Decken im Schnee, als Nachtlager für Obdachlose.

Foto: Paul Zinken/dpa

Am Kottbusser Tor in Kreuzberg unter der Hochbahn sitzen am Mittwochmittag zwei Männer zusammengekauert auf dem Boden. Sie zittern vor Kälte, einer versucht, eine Crack-Pfeife zu stopfen. Warum sie nicht im U-Bahnhof Unterschlupf suchen? „Kein Bock auf den Stress“, sagt der eine. Da seien immer so viele Leute, die Ärger machten, sagt er und zeigt auf seine Pfeife. Abends kämen viele Obdachlose unter die Brücke, wo er gerade sitzt. Er selbst schlafe bei seiner Frau, die habe eine Wohnung.

Sein Freund erzählt, er übernachte im U-Bahnhof. Er habe keine Adresse und glaubt fälschlicherweise, deshalb nicht in eine Notunterkunft gehen zu können. Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Kältehilfe hätten sie noch nie gesehen. Auch Mario, der rauchend neben seinem Zelt ein paar Meter weiter steht, geht abends nicht in eine Notunterkunft. Dort habe er schon öfter Ärger gehabt – auch weil er schlecht Deutsch spreche. „Hier können wir zu zweit sein und es gibt keine Probleme.“

Der Winter hat Berlin fest im Griff und der Mangel an Notschlafplätzen wird immer offenkundiger. Zwar wirbt die Sozialverwaltung auf Twitter für die Kältehilfe mit dem Slogan „Unser Motto: Wer ein Bett braucht, bekommt auch eins!“ Doch zumindest aktuell stimmt dies offensichtlich nicht.

„Seit einigen Tagen können unsere Fahrer ab 23 Uhr abends die Menschen nicht mehr in Kältehilfeeinrichtungen unterbringen, weil alles voll ist“, berichtet Barbara Breuer, Sprecherin der Stadtmission, am Mittwoch der taz: „Sie müssen sie auf der Straße mit heißem Tee und Schlafsäcken versorgen.“ Die Stadtmission betreibt mehrere Notübernachtungen und zwei Kältebusse, die nachts herumfahren und Obdachlose versorgen und in die Notschlafstellen fahren.

Auch Elisa Lindemann vom AK Wohnungsnot, einem Zusammenschluss von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, berichtet, dass es derzeit immer wieder vorkomme, „dass Personen von Notübernachtungen und Nachtcafés aufgrund fehlender Platzkapazitäten abgewiesen werden müssen, regelmäßig leider auch ohne Alternativen in anderen Einrichtungen“.

Dramatische Überbelegung der Unterkünfte

Laut Sozialverwaltung gab es in der vergangenen Woche im Mittel 1.030 Notübernachtungsplätze in der Kältehilfe, von denen im Schnitt 996 belegt waren. Eine Woche zuvor waren es noch 1.079 Plätze, von denen durchschnittlich 1.007 belegt waren. Mitten im Kälteeinbruch fallen also sogar Notschlafplätze weg. Zudem musste vorige Woche eine reguläre 24/7-Obdachloseneinrichtung mit 88 Plätzen schließen.

Dieses Jahr sei es wirklich „dramatisch“, bestätigt Sebastian Peters, Sprecher der LIGA Berlin, einem Zusammenschluss der freien Wohlfahrtsverbände. „Wir haben eine flächendeckende Überbelegung, nicht wie sonst nur in der Innenstadt.“ Wo es geht, würden Schlafplätze aufgestockt, „aber wir kommen an unsere Grenzen.“ In der größten Einrichtung der Stadtmission in der Lehrter Straße in Mitte gibt es 125 Plätze – inzwischen schliefen dort jede Nacht 150 bis 160 Menschen, berichtet Breuer.

Das Problem hatte sich schon zu Beginn der Kältehilfesaison angekündigt: Es werde Jahr für Jahr schwieriger, Immobilien für Notunterkünfte zu finden, sagte Ende September die Geschäftsführerin der LIGA, Ursula Schoen. „Wir erleben es in nahezu allen Bereichen von Jugend- bis Eingliederungshilfe, dass der soziale Immobilienmarkt an Grenzen stößt.“ Dadurch funktioniere die Winternothilfe praktisch nicht mehr.

Davon weiß auch Breuer von der Stadtmission ein Lied zu singen: „Viele Gebäude sind zu teuer oder marode und müssten erst aufwändig saniert werden.“ Stefan Strauß, Sprecher von Sozialsenatorin Cancel Kiziltepe (SPD) erklärt, dass der Senat andauernd neue Objekte suche, die für Notübernachtungen in der Kältehilfe geeignet sind. Elf Stück habe man dieses Jahr geprüft, „übrig geblieben sind zwei Objekte, die anderen erwiesen sich als ungeeignet“.

Neue Unterkunft soll öffnen

Eine gute Nachricht hat Strauß dennoch zu verkünden: In Charlottenburg-Wilmersdorf soll noch vor Weihnachten eine Unterkunft mit 140 Plätzen eröffnen, barrierearm und mit acht Plätzen für Menschen im Rollstuhl. Eine weitere Unterkunft mit 20 Notschlafplätzen für obdachlose Frauen solle im Dezember eröffnen.

Für Rollstuhlfahrer sei die Lage besonders schwierig, sagt Breuer, denn für sie gebe es keine geeigneten Unterkünfte in der Kältehilfe. Die Traglufthalle in Lichtenberg sei immerhin „barrierearm“, aber auch dort könnten Rollstuhlfahrer, die sich nicht selbst versorgen können, nicht untergebracht werden. „Diese Menschen müssen unsere ehrenamtlichen Helfer leider abweisen, was ihnen sehr schwer fällt.“

Was also tun? Die Linke fordert, bis die Kältehilfe ihre Plätze aufgestockt habe, solle die BVG nachts „einige“ U-Bahnhöfe öffnen – wie sie es bis 2017 jeden Winter getan hatte. Die BVG lehnt dies ab: Das sei zu gefährlich wegen des Starkstroms im Gleisbett, auch gebe es keine sanitären Anlagen, sagte ein Sprecher.

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