Obdachlosigkeit im Winter: Die soziale Kälte

Der Winter kann für Obdachlose schnell tödlich sein. Hilfe für Betroffene wäre möglich – aber dafür müsste die Politik es wollen.

Eine Hand, die einen Handschuh trägt reicht einen Pappbecher mit dampfender Suppe weiter

Geste gegen die Kälte Foto: Beata Zawrzel/NurPhoto/imago

Wenn man am Abend in Frankfurt, Leipzig oder Berlin durch die Business-Viertel spaziert und merkt, dass gut beheizte Büroräume leer stehen, während Menschen auf der Straße bei Minusgraden um ihr Leben bangen, versteht man schon, dass so einiges falsch läuft in dieser Gesellschaft. Schneestürme und Minustemperaturen machen derzeit in ganz Deutschland Tausenden von obdachlosen Menschen nicht nur Angst, der Wintereinbruch bedroht ihr Leben. Wieder mal.

Hilfsorganisationen berichten, dass Notunterkünfte überbelegt sind. Obdachlose drängen sich dort auf Böden und Bänken, um zu überleben. Lieber unbequem als tot. Erst Ende des Monats schloss eine 24/7-Unterkunft in Berlin-Mitte ersatzlos. Allein in Berlin fehlen laut der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege mehr als 400 Plätze für Obdachlose. In anderen Städten sieht es proportional ähnlich aus. Dabei gäbe es pragmatische Lösungen, die unverzüglich greifen würden, um die Menschenwürde zu wahren.

Vereine und Initiativen, die sich um Obdachlose in deutschen Großstädten kümmern, sind nicht ausreichend finanziert. Es kann nicht sein, dass die Bereitstellung dieser überlebenswichtigen Infrastruktur auf Spendengelder angewiesen ist. Ja, es ist Adventszeit. Viele Menschen öffnen ihre Portemonnaies, um zu geben – und Spenden von der Steuer abzusetzen.

Geld- und Sachspenden können natürlich weiter geleistet werden, aber vor allem die Landespolitik, die in Deutschland zu einem großen Teil den sozialen Bereich zu verantworten hat, sollte dafür sorgen, dass Obdachlosenhilfe ausreichend Mittel bekommt: um Personal zu bezahlen, Gebäude anzumieten, Betten bereitzustellen, warme Mahlzeiten und Gesundheitsversorgung anzubieten, Menschen zuzuhören und sie auch mal in den Arm zu nehmen.

Für die abends und am Wochenende leer stehenden Büros gibt es ebenfalls eine Funktion: In Paris – wo derzeit Obdachlose vertrieben werden, damit es für Olympia 2024 schön aussieht – gibt es eine Initiative namens „bureaux du cœur“. Sie vermittelt obdachlose Menschen an (Klein-)Unternehmen, die ihre Räume außerhalb ihrer Geschäftszeiten als feste Übernachtungsmöglichkeit anbieten. Endlich eine gute Idee, mit der sich Unternehmen mal für etwas Gutes einsetzen können. In deutschen Städten sollte es ebenfalls so ein Programm geben.

Mehr Geld für soziale Projekte

Dass schnell und unbürokratisch Nothilfe geleistet werden kann, zeigte die Deutsche Bahn vergangene Woche. Als der Münchner Hauptbahnhof wegen des Wintereinbruchs seinen Betrieb einstellen musste, stellte sie beheizte Züge bereit, in denen gestrandete Passagiere übernachten konnten. Wie wäre es, wenn an jedem größeren Bahnhof so ein Zug oder vielleicht auch zwei stünden, damit Obdachlose dort zumindest die Nacht verbringen könnten? Kältebusse fahren schon durch die Städte und sammeln teilweise Menschen auf, die bei –15 Grad auf dem Asphaltboden kauern.

Mehr Geld für Kältebusse anstatt sozialer Kälte bei Haushaltsdebatten würde dieser Gesellschaft gut tun. Oft wird in Deutschland mit technischen und juristischen Argumenten verhindert, dass Hilfe bereitgestellt wird. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, Bahnhöfe, städtische Sanitäranlagen oder leer stehende Wohnhäuser (oft Spekulationsobjekte des menschenfeindlichen Immobilienmarkts) für obdachlose Menschen zu öffnen – mit dem Verweis auf eine akute Notlage.

Mehr Geld für soziale Arbeit samt Sprach­mitt­le­r*in­nen und Angebote für verschiedene obdachlose Gruppen könnten nachhaltige Lösungen bieten. Menschen, die aus den verschiedensten Gründen auf der Straße gelandet sind, verdienen Respekt. Und es braucht eine Wohnpolitik, die pragmatisch Wohnraum für alle bereitstellt. Es ist nicht zu spät, den Wohnraummangel zu beseitigen und Wohnungen – auch für dann ehemals Obdachlose – bereitzustellen.

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Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.

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