: Mit seiner Füße Arbeit
Vor dem Länderspiel gegen Russland schwärmt Jürgen Klinsmann einmal mehr von Michael Ballack, dem einzigen international anerkannten Qualitätsfußballer der deutschen Nationalmannschaft
VON ANDREAS RÜTTENAUER
Jetzt haben sie also wieder ihre witzigen Übungen gemacht, die deutschen Nationalspieler, diesmal sogar mit Musik. Die besten deutschen Fußballspieler tanzten Fitnessballett und alle waren fröhlich. Das ist Jürgen Klinsmann eigentlich immer – auch wenn es wenig Grund dazu gibt. Das Spiel seiner Nationalmannschaft gegen Nordirland kann er nicht wirklich so schön gefunden haben, wie er es nach dem Abpfiff geredet hat. Immerhin steht nach dem 4:1 ein weiterer Sieg für die fröhlichen Klinsmänner zu Buche. Das Spiel gegen Russland heute Abend in Mönchengladbach (20.45 Uhr) dürfte indes weniger leicht zu gewinnen sein. „Die Russen sind ein anderes Kaliber“, vermutete Nationalkapitän Michael Ballack vor der Partie.
Ja, wenn Michael Ballack das sagt, dann muss es ja stimmen. Er ist er unumschränkte Star der Nationalmannschaft, er ist die spielende Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Ballack-Kritiker mögen anmerken, dass es nicht schwer ist, in einer unterirdischen Mannschaft zu strahlen, wenn man nur halbwegs gut Fußball spielen kann. Doch Ballack spielt nicht nur im Nationalteam überragend. Auch bei Bayern München fällt er positiv aus dem Rahmen. Das ist durchaus bemerkenswert. Denn noch vor einem Jahr hatte man ihn in München heftig kritisiert, grantig gemutmaßt, dass wohl nie ein Führungsspieler aus ihm werde. Jetzt ist Ballack Herrscher im Mittelfeld des Meisters, in dem der Nationalmannschaft war er es schon länger. Und er ist es aufgrund seines Spielverständnisses, seiner Übersicht, seines technischen Könnens, seiner Torgefährlichkeit. Bei den Bayern hat er sich angewöhnt, in wichtigen Spielen fies aufzutreten, Gegenspieler im Mittelfeld erst einmal niederzumähen, bei Kopfballduellen den Ellenbogen auszufahren. So als hätte er es nötig, die Gegner mit Imponiergehabe Effenberg’scher Prägung zu beeindrucken. Deshalb ist er sicher nicht von der Uefa als einer der zehn wertvollsten Spieler dieser Champions-League-Saison ausgezeichnet worden. Auch nicht wegen seiner dauernden Diskussionen mit den Schiedsrichtern. Er scheint noch nicht daran zu glauben, dass er allein mit seiner Füße Arbeit Dominanz ausüben kann. Doch genau das zeichnet ihn aus. Er ist einfach ein guter Fußballer – Deutschlands derzeit bester.
Dass er mit Abstand der beste ist, das ist das eigentliche Problem von Jürgen Klinsmann. Eine Theateraufführung, bei der ein einziger Schauspieler alle anderen an die Wand spielt, auch diejenigen, die eine tragende Rolle übernommen haben, gilt gemeinhin als nicht gelungen. Eine Fußballmannschaft, die auf die Fähigkeiten eines einzigen Spielers setzen muss, funktioniert für gewöhnlich nicht. Jürgen Klinsmann schwärmt nach jedem Spiel seiner Mannschaft aufs Neue von seinem „echten Leader“. Doch es vermag dem Anführer niemand so recht zu folgen. Ballack kann ein Weltstar werden – ob Deutschland Weltmeister werden kann, ist genau deshalb fraglich.
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