Debatte nach Urteil zu Schuldenbremse: Das Ende eines Doppelwumms
Wirtschaftsminister Habeck und die Länder wollen alle Projekte aus dem Klimafonds umsetzen. Zunächst beschloss die Ampel einen Nachtragshaushalt.
Die Verfassungsrichter:innen hatten vor knapp zwei Wochen der Bundesregierung untersagt, ursprünglich für Coronahilfen vorgesehene Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu verschieben. Damit hat der Fonds mehr als ein Viertel seiner Mittel verloren. Das Geld im KTF soll unter anderem in die Energiewende, die Gebäudesanierung und in Anschubfinanzierungen für grünen Stahl fließen.
„Der Handlungsdruck ist immens“, sagte Habeck. Die Projekte, die über den KTF finanziert werden sollen, beträfen „den wirtschaftlichen Kern“ Deutschlands. Viele Unternehmen hätten in Erwartung der Förderung bereits Vorleistungen erbracht, etwa Bagger bestellt oder Grundstücke gekauft. Ob innerhalb der Regierung alle Projekte des KTF weiterhin unumstritten sind, ist unklar. Unmittelbar nach dem Urteil aus Karlsruhe hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt, der bisherige Wirtschaftsplan des KTF werde zügig überarbeitet.
Auf einer Linie befindet sich Habeck zumindest mit seinen Länderkolleg:innen. „Es gibt eine gemeinsame Suche, jetzt Wege zu finden“, sagte Habeck.
Grünen-Gegner bestärkt Habeck
Der Vorsitzende der Wirtschaftsministerkonferenz der Länder, Hubert Aiwanger (Freie Wähler), stärkte Habeck den Rücken. Bei den Vorhaben, die der KTF finanzieren soll, handele es sich um „unverzichtbare Projekte“, sagte der erklärte Grünen-Gegner. „Wir brauchen noch vor Weihnachten Antworten“, sagte Aiwanger.
Auch der sachsen-anhaltische Energieminister Armin Willingmann (SPD) sprach sich dafür aus, an allen im KTF vorgesehenen Projekten festzuhalten. „Zum jetzigen Zeitpunkt ein Ranking zu erstellen, schließt sich aus“, sagte er. Ein großer Teil der KTF-Mittel soll in den Osten fließen, etwa in den Bau von Chipfabriken.
Das Karlsruher Urteil hat auch Konsequenzen für den kreditfinanzierten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sowie den Bundeshaushalt. Aus dem WSF fließen unter anderem die Preisbremsen für Strom und Gas. Eingerichtet wurde er 2022 als „Doppelwumms“, um die Energiepreisschocks abzufedern, die der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst hatte. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätten die dafür genehmigten Kredite aber nicht mehr für die Preisbremsen im Jahr darauf genutzt werden dürfen. Diese summieren sich auf rund 43,2 Milliarden Euro. Betroffen sind auch die in diesem Jahr ausgezahlten Wiederaufbauhilfen für die Flutopfer im Ahrtal in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, die aus einem im Jahr 2021 eingerichteten Notstandstopf stammen.
Haushalt für 2024 könnte sich hinziehen
Um diese Summen nun rechtlich abzusichern, beschloss die Bundesregierung am Montag einen Nachtragshaushalt mit neuen Schulden. Sie wird dem Bundestag zugleich vorschlagen, für dieses Jahr erneut die Notlage zu beschließen, damit der Staat von der Schuldenbremse gehen kann. „Unbestritten sind der Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Energiepreisschock auch noch im Jahr 2023 deutlich spürbar“, so die Begründung. Der Bundestag soll den Nachtragshaushalt im Dezember beschließen.
Auf diesen Schritt hatte sich die Ampel vergangene Woche geeinigt. Spannend bleibt, wie der Haushalt für 2024 aussieht und ob er bis Jahresende beschlossen wird. Regierungssprecher Steffen Hebestreit deutete am Montag an, die Verabschiedung könnte sich auch bis in den Januar ziehen. Zwar halte die Regierung an dem Plan fest, den Etat noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen – doch sei dies ein „sehr ambitionierter Zeitplan“.
Denn ob und wie die Energiepreisbremsen weiterfinanziert und die Lücken im KTF gefüllt werden, darüber streitet die Ampel derzeit. Während FDP-Generalsekretär Djir-Sarai am Montag verkündete, es werde nicht ein Cent an neuen Schulden gemacht, warben SPD-Spitzenpolitiker dafür, die Schuldenbremse auch 2024 auszusetzen. Der „Doppelwumms“ steht nicht mehr zur Verfügung, er wird zum Jahresende aufgelöst.
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