Ausstellung mit Videokunst in der Schirn: Zerstörung als erhabenes Schauspiel

John Akomfrah verdichtet in der Frankfurter Schirn Fragen um Postkolonialismus und das Anthropozän. Identität bleibt in seinen Filmen komplex.

Ein schwarzer Mann in kolonialer Uniform steht in einer Landschaft wie von Caspar David Friedrich

Der freigelassene Sklave Olaudah Equiano in John Akomfrahs „Vertigo Sea“ von 2015 Foto: Smoking Dogs Films, courtesy Smoking Dogs Films and Lisson Gallery

Auf dem Weg in die Innenstadt. An der Straßenecke warten Tagelöhner auf Arbeit, rumänische Wortfetzen. Gegenüber öffnen und schließen sich lautlos die Schranken zur Einfahrt der Europäischen Zentralbank, abgedunkelte Limousinen. Lastenfahrräder mit Kindergarten-Kindern, Flaschensammler mit geübtem Blick in die Abfallkübel, am Mainufer Nil-Enten und ihre glibbrigen Exkremente. Laubbläser, an den Wänden Graffiti, Suchbilder entlaufener Katzen, Konzertplakate. Am Domeingang posiert eine indische Besuchergruppe für Instagram.

Aus solch einem synchronen Erleben kann man in der Frankfurter Schirn Kunsthalle den „Space of Empathy“ betreten. Ein Karussell von Bildern und Tönen des ghanaisch-britischen Künstlers John Akomfrah. Mit der Eintrittskarte darf man erneut hinein, ein Hinweis darauf, dass man die drei gezeigten Arbeiten „The Unfinished Conversation“ (2012, 46 Minuten), „Vertigo Sea“ (2015, 48 Minuten) und „Becoming Wind“ (2023, 32 Minuten) kaum auf einmal schaffen, geschweige denn verarbeiten kann.

Die Schirn zeigt häufig Videoarbeiten von John Bock über Doug Aitken und Aernout Mik bis Elizabeth Price. Das Publikum nimmt sie auch gerne an, aber nicht immer bleibt es bis zum Ende dabei. Dass die Show mit dem obligaten Dreisatz „Rassismus“, „Gender“, „Umweltzerstörung“ angekündigt ist, schärft die Erwartungen nicht, ebenso wenig Akomfrahs Büchertisch im Eingangsbereich, an dem man sich bei James Lovelock, Achille Mbembe und Queer-Readern festlesen könnte.

2024 bei der Venedig-Biennale

Auf fünf großen Leinwänden wird „Becoming Wind“ gezeigt, das jüngste Werk Akomfrahs, der in diesem Jahr zum Ritter des British Empire ernannt wird und 2024 Großbritannien bei der Venedig-Biennale vertreten wird. Diese Arbeit ist nun erstmals in Deutschland zu sehen – „elegische Szenen allegorischer Darstellungen des Gartens Eden“ nennt sie Schirn-Direktor Sebastian Baden.

„A Space of Empathy“: John Akomfrah, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 28. Januar 2024

Akomfrahs Choreografie von Foto-Stills, Dokumentarfilmen und Sound ist mehr als das. Das Kinderlied „Funkle, funkle kleiner Stern“ begleitet Slow-Motion-Aufnahmen von einem Strand, an dem sich junge Frauen vergnügen und junge Männer Strandholzskulpturen erklimmen. Extrem scharfe Makroaufnahmen von Pflanzen, Hölzern, Steinen, Händen, Vögeln und einer Schlange (Akomfrahs Angstobjekt) wechseln mit verschwimmenden Lichtabstraktionen und Warnhinweisen auf die drohende Katastrophe: „The thing to come“, „It moves among us“, „We are slow, we need to be quick“. Dazwischen von Akomfrah oft verwendete surreale Uhren, historische Aufnahmen von Sklaven und aktuelle von Polizeigewalt gegen People of Colour.

Wenn man zu genau hinschaut, überhört man eventuell den Klang: Stücke von Thelonius Monk, Blätterrascheln, knisternde Feuer und Windgeräusche, meist elektronisch hergestellt als Pendant zu den Texturen der Bilder. Inserts propagieren „Verankerung“, „Widerstand“, „Schutz“ und „Immunität“.

Akomfrah liefert eine Momentaufnahme des Anthropozän, die stets, wie bei den großen sozial- und umweltdokumentarischen Fotografen Sebastiao Salgado („Genesis“) oder Edward Burtynsky („Anthropocene“), in der Versuchung steht, die Komplettzerstörung der natürlichen Welt durch den Menschen als erhabenes Schauspiel in Szene zu setzen. Akomfrah vermeidet den erhobenen Zeigefinger ebenso wie den üblichen Öko-Kitsch, er zeigt die oft beunruhigende Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen.

„Schwarzes Leben beruht auf dieser schwebenden oder verzögerten Gegenwart. Mir ist aufgefallen, dass dieser Sinn für die unmöglichen Identitäten der Zukunft auf eine Weise auch zu den ökologischen Räumen passt, die wir brauchen. Wir müssen fast zu etwas Windartigem werden, um dorthin zu gelangen“, kommentiert er sein Verfahren im Gespräch mit der Kuratorin Julia Grosse.

Unterwerfung der Natur

Weit schwerer auszuhalten ist die ozeanische Drei-Kanal-Installation „Vertigo Sea“ von 2015, einem atemberaubenden Wechsel von Bildern großer Schönheit von Vogel-, Fisch- und Schmetterlingsschwärmen aus dem Naturfilm-Archiv der BBC mit visuellen Zeugnissen von Massakern an Menschen und Tieren. Diese machen klar, wie sehr die Unterdrückung von Menschen und die Unterwerfung der Natur, hier der marinen Umwelt, einer analogen Verachtung, Verwertung und Ausrottung unterliegen.

Akomfrah zitiert einen Ausspruch des (hochdekorierten und nie zur Verantwortung gezogenen) Marcel Bigeard, der sich als besonders brutaler französischer General im Algerienkrieg (1954-1962) hervortat, man töte Menschen und Tiere am besten auf gleiche Weise, indem man sie nach der Folter aus großer Höhe ins Meer wirft. Was Bigeard selbst genau wie die Kapitäne der Sklavenschiffe während der Atlantikpassage und die argentinische Militärjunta tatsächlich getan haben.

Konterkariert wird dieses Grauen durch enigmatische Tableaux vivants in der Manier Caspar David Friedrichs, mit denen sich Akomfrah als großer Post-Romantiker zu erkennen gibt. Eine der mit dem Rücken zum Betrachter platzierten Strand-Figuren in historischer Kleidung stellt den freigelassenen Sklaven Olaudah Equiano (1745–1797) dar, der in England als Abolitionist, Seefahrer und Arktis-Forscher wirkte.

Schönheit und Terror wohnen nah beieinander. Doch Akomfrahs Video bildet einen kongenialen Kontrast zu kapitalismuskritischen Narrativen, wie sie etwa der US-Fotokünstler Alan Sekulas (Fish Story, 1995 und Okeanus, 2017) oder der englische BBC-Dokumentarist Adam Curtis (Everything Is Going According to Plan, 2013) vermitteln.

Stuart Hall als Mentor

Im Vergleich mit ihnen hat man Akomfrah vorgeworfen, unpolitisch zu sein und „nur“ eine diffuse Empathie mit der sterbenden Mitwelt hervorbringen zu wollen. In „Becoming Wind“ mag das so scheinen. Doch Akomfrahs Gesamtwerk schließt, wie „The Unfinished Conversation“ unterstreicht, an Stuart Hall, den Begründer der Cultural Studies in Birmingham an, den er als seinen intellektuellen und politischen Mentor nennt. Hall legte die verborgenen Strukturen des racial regime offen und warb für eine wohlverstandene Kreolisierung.

Akomfrahs frühe Arbeiten im Black Audio Film Collective (BAFC) der 1980er Jahre, wie etwa seine Doku „Handsworth Songs“, sind deutlich von Halls Arbeitsweise geprägt. Und die Frankfurter Schau belegt, wie daraus Akomfrahs eigene Handschrift entstand. Hall hatte im Übrigen ein komplexes Verständnis von Identitätspolitik, das wesentlich differenzierter argumentiert als heutige Epigonen, deren essentialistischer Opferdiskurs eher die „dunklen Seiten der Empathie“ (Fritz Breithaupt) aufscheinen lässt.

Die zahlreichen Besucher der Schirn haben sich von Akomfrahs eindrücklichen Bilder-Geschichten in den Bann schlagen lassen, die in alltägliche Assoziationsketten einwandern könnten, etwa auf den Wegen in Museen und aus ihnen heraus. Sie bringen zum Vorschein, was eigentlich offen vor uns lag.

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