Marathonwandern in den Niederlanden: Mit zwei Paar Socken durch das Land

1916 durfte zum ersten Mal ein Frau am größten Wanderevent der Welt teilnehmen. Annie Berkhout ist unfassbare 66 Mal auf die Strecke gegangen.

Menschen in Sportsachen laufen

Nijmegen 2018: Im Partnerlook zum „Nijmegens Vierdagse“, dem größten Wanderevent der Welt Foto: Piroschka van de Wouw/epa

Als die Nijmeegse Vierdaagse, das heute größte Wander-Event der Welt, 1909 gegründet wurde, war ihr Ziel vor allem militärisches Training. Vier Tage lang wurde in den Niederlanden herummarschiert, und dass Frauen dabei dereinst mitmachen würden, war undenkbar. Erst 1916, dem Jahr, in dem das Frauenwahlrecht in den Niederlanden eingeführt wurde, absolvierte mit Nellie van Stockum-Metelerkamp erstmals eine Frau die täglich 50 Kilometer langen Wanderstrecken.

Zur großen Pionierin der 4Daagse, wie sie heute bezeichnet werden, wurde jedoch eine andere, nämlich Annie Berkhout. Im Jahr 1991 absolvierte sie die bis auf Unterbrechungen durch Kriege, Trockenheit und Pandemien alljährlich stattfindenden Nijmeegse Vierdaagse zum 55. Mal und wurde damit Rekordhalterin. Fortan endeten ihre elf weiteren viertägigen Wanderungen nicht mehr bloß mit dem Überqueren der Ziellinie, sondern mit Blumensträußen, bürgermeisterlichem Händeschütteln, Erinnerungsplaketten, Interviews und jubelnden Fans.

Zum Wandern war Annie zufällig gekommen. 1930 hatte die gebürtige Den Haagerin mit ihren Eltern Ferien in Beek gemacht. „Aus einiger Entfernung waren plötzlich Trommeln, Gesänge und Jubel zu hören, die Pensionsbesitzer erzählten uns dann, dass grad das Vierdaagse stattfand.“ Die damals 15-jährige Annie war begeistert, nach Hause zurückgekehrt schloss sie sich sofort der kurz zuvor gegründeten Haagschen Wandelsportverening an.

Ein Jahr später startete sie zum ersten Mal bei den Viertägigen. Am Anfang radelte Berkhout nach jedem Wandertag zurück ins Ferienquartier der Eltern. „Dort wurde ich dann immer mit einem Teller Hühnersuppe empfangen“, erinnerte sie sich 1991 im Gespräch mit dem Limburgs Dagblad.

Garantiert blasenfrei

Gefragt nach einem möglichen Geheimrezept für ihr langes Leben und dem jährlich von ihr verbesserten Wanderrekord, hatte Annie Berkhout keine spektakuläre Antwort: „Wenn man jung beginnt und es einem gegeben ist, alt zu werden, ist man eben auf einem guten Weg“, sagte sie, „ansonsten ist es vor allem eine Frage des Sich-Durchsetzens.“ Einen Tipp hatte sie dann doch: „Ich trage bei meinen Wanderungen immer Schuhe, die zwei Nummern zu groß sind. Weil ich dann zwei Paar Socken übereinander anziehen kann.“ Das verhindere zuverlässig Blasenbildung, fügte sie hinzu.

So brachte es Annie Berk­hout auf 66 erfolgreiche 4Daagse-Teilnahmen. Annies Rekord war allerdings keiner für die Ewigkeit. 2014 schaffte der 82-jährige Bert van der Lans seinen 67. Wandermarathon. Van der Lans hatte 1947 als 15-Jähriger seinen ersten 4Daagse absolviert.

Als Annie Berkhout 2002 im Alter von 87 Jahren ihre letzte Wanderetappe beendete, war aus dem Militärmarsch längst ein ziviles Sportereignis geworden. Regelmäßig wandern Leute mit, um Spenden für soziale Anliegen zu sammeln, und ganz so streng wie früher sind die Organisatoren bei der Regelumsetzung auch nicht mehr. Als in diesem Jahr die 89-jährige Blanche Troost ihren Zug verpasste und deswegen erst mehr als eine halbe Stunde nach dem Startschuss eintraf, wurde der Altersrekordhalterin gleichwohl erlaubt mitzuwandern.

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Schreibt nicht nur über Sport, sondern auch über Verschwörungsideologien, skandinavische Politik und Königshäuser. *** Die ersten Artikel für den taz-Sport gestalteten sich allerdings etwas schwierig: Mit den Worten "Wie, die schicken uns heute eine Frau?" wurde ich beispielsweise vor Jahren von einem völlig entsetzten Vorsitzenden eines Westberliner Fünftligavereins begrüßt. Da war er also, der große Tag, an dem über seinen Club in der taz berichtet werden würde, und dann das: Eine Frau! Ich antwortete ja, ich sei die Strafe und sofort war die Stimmung super. *** Und eines Tages werde ich über diesen Tag und andere, sagen wir: interessante Begegnungen mal ein Buch schreiben.

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