Marathonwandern in den Niederlanden: Mit zwei Paar Socken durch das Land
1916 durfte zum ersten Mal ein Frau am größten Wanderevent der Welt teilnehmen. Annie Berkhout ist unfassbare 66 Mal auf die Strecke gegangen.
A ls die Nijmeegse Vierdaagse, das heute größte Wander-Event der Welt, 1909 gegründet wurde, war ihr Ziel vor allem militärisches Training. Vier Tage lang wurde in den Niederlanden herummarschiert, und dass Frauen dabei dereinst mitmachen würden, war undenkbar. Erst 1916, dem Jahr, in dem das Frauenwahlrecht in den Niederlanden eingeführt wurde, absolvierte mit Nellie van Stockum-Metelerkamp erstmals eine Frau die täglich 50 Kilometer langen Wanderstrecken.
Zur großen Pionierin der 4Daagse, wie sie heute bezeichnet werden, wurde jedoch eine andere, nämlich Annie Berkhout. Im Jahr 1991 absolvierte sie die bis auf Unterbrechungen durch Kriege, Trockenheit und Pandemien alljährlich stattfindenden Nijmeegse Vierdaagse zum 55. Mal und wurde damit Rekordhalterin. Fortan endeten ihre elf weiteren viertägigen Wanderungen nicht mehr bloß mit dem Überqueren der Ziellinie, sondern mit Blumensträußen, bürgermeisterlichem Händeschütteln, Erinnerungsplaketten, Interviews und jubelnden Fans.
Zum Wandern war Annie zufällig gekommen. 1930 hatte die gebürtige Den Haagerin mit ihren Eltern Ferien in Beek gemacht. „Aus einiger Entfernung waren plötzlich Trommeln, Gesänge und Jubel zu hören, die Pensionsbesitzer erzählten uns dann, dass grad das Vierdaagse stattfand.“ Die damals 15-jährige Annie war begeistert, nach Hause zurückgekehrt schloss sie sich sofort der kurz zuvor gegründeten Haagschen Wandelsportverening an.
Ein Jahr später startete sie zum ersten Mal bei den Viertägigen. Am Anfang radelte Berkhout nach jedem Wandertag zurück ins Ferienquartier der Eltern. „Dort wurde ich dann immer mit einem Teller Hühnersuppe empfangen“, erinnerte sie sich 1991 im Gespräch mit dem Limburgs Dagblad.
Garantiert blasenfrei
Gefragt nach einem möglichen Geheimrezept für ihr langes Leben und dem jährlich von ihr verbesserten Wanderrekord, hatte Annie Berkhout keine spektakuläre Antwort: „Wenn man jung beginnt und es einem gegeben ist, alt zu werden, ist man eben auf einem guten Weg“, sagte sie, „ansonsten ist es vor allem eine Frage des Sich-Durchsetzens.“ Einen Tipp hatte sie dann doch: „Ich trage bei meinen Wanderungen immer Schuhe, die zwei Nummern zu groß sind. Weil ich dann zwei Paar Socken übereinander anziehen kann.“ Das verhindere zuverlässig Blasenbildung, fügte sie hinzu.
So brachte es Annie Berkhout auf 66 erfolgreiche 4Daagse-Teilnahmen. Annies Rekord war allerdings keiner für die Ewigkeit. 2014 schaffte der 82-jährige Bert van der Lans seinen 67. Wandermarathon. Van der Lans hatte 1947 als 15-Jähriger seinen ersten 4Daagse absolviert.
Als Annie Berkhout 2002 im Alter von 87 Jahren ihre letzte Wanderetappe beendete, war aus dem Militärmarsch längst ein ziviles Sportereignis geworden. Regelmäßig wandern Leute mit, um Spenden für soziale Anliegen zu sammeln, und ganz so streng wie früher sind die Organisatoren bei der Regelumsetzung auch nicht mehr. Als in diesem Jahr die 89-jährige Blanche Troost ihren Zug verpasste und deswegen erst mehr als eine halbe Stunde nach dem Startschuss eintraf, wurde der Altersrekordhalterin gleichwohl erlaubt mitzuwandern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen