WM der Tennisprofis: Finale Anstrengung

Alexander Zverev darf mit den besten acht Tennisprofis der Saison um den WM-Titel ringen. Im Frühjahr schien das noch utopisch zu sein.

"Knoten geplatzt": Alexander Zverev schlägt beim Paris Masters auf.

„Knoten geplatzt“: Alexander Zverev schlägt beim Paris Masters auf Foto: Stephanie Lecocq/reuters

Es war kurz vorm Start des ATP-Turniers in Halle, als Alexander Zverev über die Lage im deutschen Herrentennis sprach. Andere hatten ihm in jenen Frühlingswochen die Show und die Schlagzeilen gestohlen, Jan-Lennard Struff etwa, der bis ins Finale des Masters in Madrid vorgestoßen war. Aber auch Akteure aus der zweiten Reihe wie Yannick Hanfmann oder Daniel Altmaier waren im Fokus.

„Es macht mich glücklich, das zu sehen. Das ist ein Gewinn für alle im Tennis bei uns“, sagte Zverev, „es ist nicht so, dass ich allein die Fahne hochhalten muss.“ Und was war mit ihm selbst, dem Olympiasieger? „Das Ganze ist so lala bisher, sehr durchwachsen“, sagte er damals, nach den ersten gut fünf Monaten in seiner harten Comeback-Saison, „es ist noch großer Raum, besser zu werden, sich zu steigern.“

Doch nun, wo sich das Tennisjahr 2023 allmählich dem Ende zuneigt, ist Zverev wieder in der Erfolgsspur – und der Mann, der um Titel auf ganz großen Bühnen kämpft. Nach dem schwierigen ersten Halbjahr in dieser komplexen Spielserie hat sich der 26-Jährige einmal mehr für die Tennis-WM in Turin (12. bis 19. November) qualifiziert, ist damit amtlich verbrieft einer der acht besten Profis der Saison.

Er spiele das schlechteste Tennis „seit 2015, 2016“, hatte Zverev im Mai noch über sich gesagt, nach einem niederschmetternden Auftritt in Rom – jetzt indes konnte der Hamburger, dem ein Strafbefehl wegen häuslicher Gewalt in Höhe von 450.000 Euro vorliegt, nach einer energischen Aufholjagd im WM-Rennen konstatieren, „dass ich auch nach allen Rückschlägen und Enttäuschungen weiter an mich geglaubt und mir das Ticket verdient habe“.

Fast anderthalb Jahre liegt inzwischen das einschneidendste Negativerlebnis in Zverevs Tenniskarriere zurück – der verhängnisvolle Stolperer im French-Open-Halbfinale 2022 gegen Rafael Nadal, der mit sieben gerissenen Bändern im rechten Fuß endete. Zverev war gerade auf dem Weg gewesen, sogar Platz 1 der Weltrangliste zu erklimmen, doch nach dem Unfall musste er sich plötzlich ganz andere Fragen stellen: Komme ich jemals auf mein altes Niveau zurück, kann ich noch einmal in der absoluten Weltspitze mitspielen?

Schwierige Rückkehr

Zverev weiß, wie schwer es anderen Mitstreitern fiel, sich wieder in der Elite zu positionieren – allen voran galt das für den Österreicher Dominic Thiem, der nach einer Handgelenksverletzung bis heute nicht wieder zu alter Stärke zurückgefunden hat. Von Boris Becker, Zverevs gelegentlichem Mentor, war zu hören, „dass der Tenniszirkus nicht schläft, wenn du mit einer Verletzung draußen bist“.

Ausgerechnet bei den French Open, dem Schauplatz seines Verletzungshorrors aus dem Vorjahr, drehte sich die Tenniswelt dann wieder um für Zverev, in den grünen Bereich. Das dicke Punktepolster, das er für seinen neuerlichen, aber eher unwahrscheinlichen Halbfinaleinzug mitnahm, erlaubte ihm zum ersten Mal, über ein versöhnliches Jahresende nachzudenken – und an ein WM-Mitwirken zu glauben.

„Da ist irgendwie der Knoten geplatzt“, sagt Zverev, „plötzlich habe ich wieder die engen Matches gewonnen. Und dann läuft man mit ganz anderem Selbstbewusstsein durch die Gegend.“ Hamburg, der emotionale Heimsieg am Rothenbaum, verlieh danach erst recht Rückenwind, beendete endgültig das Ergebnis- und Stimmungstief. Fortan punktete Zverev zuverlässig, gewann im Herbst noch ein weiteres Turnier im chinesischen Chengdu, behauptete seinen Platz unter den Top Acht im Jahresrennen.

Zweimal hat Zverev die Tennis-WM, aktuell unter dem Namen ATP Finals firmierend, schon gewonnen, 2018 als 21-jähriger Himmelsstürmer und dann 2021. In Turin bekommt es Zverev mit Kollegen wie Novak Djokovic, Daniil Medwedew, Andrej Rublew oder Stefanos Tsitsipas, aber auch mit jüngeren Herausforderern wie dem Italiener Jannik Sinner oder Becker-Schützling Holger Rune zu tun. Hinzu kommt der jugendliche Superstar und Wimbledon-Champion Carlos Alcaraz, der zuletzt in Paris den Eindruck eines von den Saisonstrapazen erschöpften Akteurs vermittelte.

Zverev hat niemand so recht auf der Rechnung bei dieser WM, er ist Außenseiter, keiner der großen Titelkandidaten. In dieser Rolle aber, sagt der Deutsche selbst, „fühle ich mich ganz wohl“.

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