Die Wahrheit: Metallisch glänzende Brummer
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (180): Schmeißfliegen stehen auf Stinkendes und lieben es, als Muse unterwegs zu sein.
Wenn ich, was vorkommt, noch nachts am Schreibtisch sitze, kommt fast jedes Mal ein dicker Brummer vorbei und umbrummt den leuchtenden Computerbildschirm mit dem vor Geistesanstrengung schwitzenden Menschen davor, mich. Ich weiß jedoch nicht, ob es immer derselbe ist oder dieselbe. Nicht einmal, ob es sich stets um dieselbe Art handelt, denn es gibt hierzulande 45 verschiedene Brummerarten, von weltweit etwa 1.000.
Farblich, weiß Wikipedia, glänzen die Brummer „meist metallisch blau oder grün bis goldgrün“. Man nennt sie auch Schmeißfliegen, ein Name, der sich auf die Vorliebe dieser Fliegenfamilie für geruchsintensive organische Stoffe bezieht. „Im Althochdeutschen“, so der Wissenssesam, „bedeutet ‚schmeißen‘ beschmieren, bestreichen, besudeln.“ Auch die Weibchen werden von den Männchen am Geruch erkannt, den diese mit den Füßen ertasten, denn dort haben sie ihre diesbezüglichen Riechorgane.
„Space Dust“ für Katzen
Ist das Weibchen paarungswillig (nein heißt auch bei den Brummern nein!), sucht es mit seinen Antennen, auf denen sich ebenfalls Riechorgane befinden, Geruchsstoffe, die bei der Verwesung und dem bakteriellen Abbau von Eiweiß entstehen, und legt dort alsbald einige Hundert Eier ab. Die daraus schlüpfenden Larven ernähren sich von diesen Exkrementen oder Kadavern. Ihre sich mit der Zeit verändernde Geruchsmischung zieht einige Schmeißfliegenarten an und stößt andere ab.
Alle fühlen sich jedoch stark zu irgendwelchen Ekelstoffen hingezogen, weswegen auch sie selbst von uns Menschen oft als abstoßend empfunden werden. Aber nicht so von den feinriechenden Katzen, die sie liebend gerne jagen. Der Katzenkenner Peter Glaser meint, dass diese Fliegen so etwas wie „Space Dust“ für Katzen seien, „denn sie werden von ihnen wieder und wieder am Gaumen zermanscht und nicht wie das Dosenfutter einfach verschluckt“.
Irrsinnig im Führerhauptquartier
Auch der Historiker Felix Hartlaub, der im Führerhauptquartier „Werwolf“ bei Winniza in der Ukraine das „Kriegstagebuch“ führte, wurde von Brummern umschwärmt. An seinem Schreibtisch sitzend, schrieb er: „Diese Fliegen können einen wirklich nervös machen. Wenn sie mindestens diese dauernden Paarungen unterlassen würden, und warum sie dabei so irrsinnig mit den Flügeln schwirren müssen …“ Hartlaub war sich jedoch im Gegensatz zu mir sicher: „Es sind immer dieselben, immer diese drei.“
Im Reisebericht „Mischwald“ (2009) erwähnt auch Künstler Thomas Kapielski seinen „brummerumsummten Schreibtisch“. Danach „drängte der beleibte Brummer beharrlich gegen das Fenster nach draußen“, wobei der Autor das Geräusch, das er dabei machte („Brrr brrr berrroa berr brr Braram“) zunächst mit einer „Frauenstimme“ verwechselte, aber dann öffnete er das Fenster und scheuchte das „furchtsame Tier“ ins Freie.
In seinem Roman „Kotmörtel“ (2020) kommt er ausführlicher auf die „Brummfliegen“ zu sprechen, die „immerfort kostbarste Abfälle hinterlassen: Sie koten (scheißen), speien und schwitzen – und beflügeln mich damit“.
Hilfreiche Brummer
Es gibt auch indigene Völker, die ihre Toten den Brummern überlassen, damit sie deren Seelen beflügeln. Kapielski „überfallen“ sie lebend, wenn er etwa „schlaflos im Bett“ liegt. Zwar vermag er, wie ich, nicht zu erkennen, ob es „immer die gleichen Aasfliegen sind“, aber diese von ihm auch „Kotfliegen“ genannten Zweiflügler „erkennen und kennen mich gut“. Er geht so weit, zu meinen, seine „ganzen Gedankengebäude“ würden, wenigstens zu einem Drittel, „aus dem üppig anfallenden Kotmörtel der Brummfliegen bestehen“. Kapielski redet mit ihnen und sie mit ihm, und so bittet er das „Brummfliegengeschwader“, ihm „gedeihliche Losung zu hinterlassen“, denn er ist wie sie, „ein unzeitgemäßer Konfusionär“.
Dem theologisch gebildeten Autor antworten die Brummer: „Endchrist endchrist du wurdest zum Spott / Statt deiner kommt der Fliegengott / Larven aus faulenden Hirnen gekrochen / Sind nun ins Leben hereingebrochen“.
Das überträgt er in seine „Kotmörtelschrift“, wohl wissend, dass viele Leute „heute nicht mehr lesen“. Aber: „Was soll’s!? Alles Kotmörtel nur!“ Und: „Keine Arbeit finden wir überall!“ Schon bald bezeichnet Kapielski seine „Kalamitäten“ als „geflügelte Seelennöte und umherbrummende Kümmernisse“ – wie wenn er selbst ein „Kotbrummer“ unter anderen wäre. Während diese um ihn herum „munter und brünstig“ werden, sodass sie seinen „Kopf und hirnsymbolisch das Geweih umrunden“, weswegen er sie auch „Geweihbrummer“ nennt.
Andererseits ist der „Brummer Wesen“ dergestalt, dass sie „umher schwirren und schweifen, absichtslos“, während er seinen „Wegen allzu oft absichtlich absichtslos“ folgt. Die Brummer finden auf ihren Flügen „verborgene Öffnungen“, in die fliegen sie „sowohl hinein als auch hinaus und überall hindurch“. Kapielski hat deswegen wiederholt „im Brummflug einen Zugang entdeckt, eine Lösung gefunden und eine Klarheit und Übersicht erhalten – ‚Heureka!‘“, ruft er dann dankbar seinen „dicken Nutzbrummern hinterher, und sie kehren kurz um und brümmeln“ ihm „aus ihrer Kurve ins Glück noch einige Wohlwolligkeiten zu“.
Besorgte Luftakrobaten
Wenn ich das richtig sehe, ist ihm diese nicht-euklidische Luftakrobatik der Kotfliegen Vorbild für die Konstruktion seines Romans. „Und abends wollte ich mich in dieser Angelegenheit noch mit meinen Fliegen besprechen“, heißt es an einer Stelle, während er seine „Zugreisegrillen“ modifizierte und verfeinerte „für die abendliche Kotbrummermästung daheim“. Ihre „Mörtelabfälle“ trug er dann in seine Kladden ein, aus denen später Texte und Reden werden: „Meine Reden verdankten nicht nur den Kotbrummern etliches“, ebenso einige „verwegene Kot-Schnurren“.
Allerdings überfiel den Künstler gelegentlich auch „ein ungewöhnlich kaltes Fliegengebrumm’ und die böse Grübelei ging los!“ Wohl über seine „häusliche Situation“, was nichts für seine Kladden und Reden ergab: „Die Fliegen ließen vor Sorge ab von mir.“ Oder er war „zu bedeppert, und meine Fliegen waren’s auch“.
Aber dann erdachte und notierte Kapielski doch „wie im Kotfluge“ ein oder zwei neue „Thesen“, indem er eine „Kalamitäten-Kwetsche“ einsetzte. So geht’s auch!
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