: Das östliche Herz der Bremer Grünen
Geografisch überraschend gehört an der Weser das Interesse am Osten zur Partei-Identität
Von Benno Schirrmeister
Neue Leute sind immer auch Projektionsflächen. Daher kann der politisch noch völlig unbekannte Drehbuchautor Marek Helsner wie ein perfekt gecastetes Angebot an die Seele der Bremer Grünen wirken. Denn Helsner ist im tschechoslowakischen Karlovy Vary geboren und mit den Eltern geflüchtet. Dieser biografische Background erinnert an eine spezifische Ausrichtung der Bremer Grünen. Die Solidarität mit zivilgesellschaftlichen, dissidenten Bewegungen in Osteuropa und DDR – ein späterer grüner Staatsrat hat als Fluchthelfer ostdeutsche Bürgerrechtler über die Grenze geschmuggelt – war für sie identitätsstiftend.
Die Grünen sind in Bremen mehrfach gegründet worden: Zuerst war da die Bremer Grüne Liste, die 1979 ins Parlament einzog, aber es mehrheitlich ablehnte, Partei oder gar Landesverband einer Bundespartei zu werden. Den gründete im selben Jahr eine Gruppe um die Krankenschwester Christine Bernbacher. Die war es auch, die im Dezember 1981 eine Solidarność-Delegation aufnahm, erst bei sich, zum Essen, dann im Parteibüro, zum Überwintern: Die sieben Gewerkschaftler aus Gdansk, zu Gast am Osteuropa-Institut der Uni, konnten nicht zurück nach Polen. Dort war das Kriegsrecht verhängt worden. Ihnen hätte die sofortige Verhaftung gedroht. Die auf Wandel durch Annäherung an die Machthaber programmierte SPD wollte mit widerständigen Wertfarbeitern nichts zu tun haben, der DGB noch weniger, und die Arbeitnehmerkammer, die sie eingeladen hatte, wusste plötzlich von nichts mehr. Sechs Wochen campierten die Gestrandeten im Parteibüro. Von dort aus wurde das Bremer Koordinationsbüro der Solidarność gegründet.
So ein Ereignis produziert länger anhaltende Verbindungen: Mehrfach besuchen Solidarność-Delegationen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Bremer Grünen, um sich Rat beim Aufbau kommunaler Gremien zu holen. Erstmals in einem westdeutschen Landesverband übernahm in Bremen eine gewesene DDR-Bürgerin die Spitze der Partei: Die in Magdeburg geborene Susann Ella-Mittrenga gehörte 2007 zu den Architekt*innen der ersten rot-grünen Koalition des Landes. Auch ihre Nachfolgerin, die jetzige Fraktionsvorsitzende Henrike Müller, stammt aus Sachsen-Anhalt.
Es scheint kein Zufall, dass sich die aus Baden-Württemberg nach Bremen gewechselte langjährige Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck hier nach ihrer Karriere zur Osteuropa-Expertin entwickeln – und durch ihr außenpolitisches Engagement umgekehrt eben auch wieder in den Verband hineinwirken konnte: Geografisch überraschend erweist sich der als einer der östlichsten, den die Grünen haben.
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