: Schneckenrennen der Großstadtklubs
ABSTIEGSKAMPF Köln und Berlin verlieren mit je vier Gegentoren. Die Entscheidung fällt erst am letzten Spieltag
SASCHA RIETHER, 1. FC KÖLN
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Sprach- und planlos
HERTHA Nach dem kläglichen 0:4 bei Schalke vergeht selbst Trainer Otto Rehhagel die Zuversicht. Er beruft sich auf den Fußballgott
GELSENKIRCHEN taz | Es gab viele Blumensträuße am Samstag auf Schalke: Mathias Schober, Hans Sarpei, Levan Kenia und, natürlich, der große Raúl wurden im letzten Saisonheimspiel verabschiedet. „Das war ein rundum gelungener Tag für den Verein“, jubelte der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies. Sportlich war es am Samstag schließlich auch gut gelaufen. Der FC Schalke gewann mit 4:0 gegen Hertha BSC und sicherte dadurch den dritten Tabellenplatz. Ohne Raúl, der in seinem letzten Heimspiel noch einmal einen Treffer erzielte, werden die Gelsenkirchener in der kommenden Saison in der Champions League dabei sein – mit Jefferson Farfán. „Jeff hat bis 2016 verlängert“, verkündete Manager Horst Heldt.
Planungssicherheit ist das, was den Berlinern fehlt. Darüber waren sie froh, denn ein Sieg des 1. FC Köln in Freiburg hätte für sie bereits den Abstieg bedeutet. „Der Fußballgott hat gesagt: ‚Komm, ich gebe euch noch eine Chance‘ “, sprach Otto Rehhagel einen der wenigen Sätze, die am Samstag von einem Berliner zu hören waren. „Wir sollen nichts sagen“, verwies Verteidiger Christian Lell auf einen angeblichen Rat des Mediendirektors. Sollte es so gewesen sein, hatte Levan Kobiashvili davon nichts mitbekommen: „Komischerweise haben wir noch eine letzte Chance. Aber gegen Hoffenheim müssen wir ganz anders auftreten. Das wissen wir“, sagte der gesperrte Georgier.
Trainer Markus Babbel, mit dem die Hertha in der Hinrunde ordentliche 20 Punkte holte, kommt am letzten Spieltag mit seinen Hoffenheimern ins Olympiastadion zurück. Die Berliner müssen gewinnen und darauf hoffen, dass der FC Bayern zumindest einen Punkt beim 1. FC Köln holt. Dann würde die Hertha in der Relegation gegen den Tabellendritten der Zweiten Bundesliga die Chance bekommen, noch die Klasse zu halten. „Wir werden das reißen“, sagte Manager Michael Preetz, der nach einem Bericht der Welt am Sonntag Thomas Doll als neuen Trainer auserkoren haben soll.
Weniger zuversichtlich klang Rehhagel bei seiner improvisierten Pressekonferenz. Weil die Zeit drängte, um den Flieger zu bekommen, und sein Schalker Kollege Huub Stevens noch bei der Abschiedsshow in der Arena gefragt war, bat der Berliner Trainer zur kleinen Runde und forderte: „Wir müssen mit Kampf und Einsatz gegen Hoffenheim gewinnen.“ Die Grundtugenden des Abstiegskampfes hatte seine Mannschaft in Gelsenkirchen vermissen lassen. Gegen eine in der ersten Halbzeit ebenfalls nur auf Sommerfußball eingestellte Schalker Elf zeigten die Berliner eine klägliche Leistung. Letztlich waren die vier Treffer von Klaas-Jan Huntelaar (32., 88.), Lewis Holtby (53.) und Raúl (84.) sogar noch ein bisschen wenig in Relation zu den vielen Chancen, die sich den Schalkern in der zweiten Halbzeit boten.
In 11 Spielen unter Rehhagel verbuchte Hertha 8 Punkte bei 10:26 Toren. Das Trainingslager in einem Nobelhotel in Castrop-Rauxel, für ein paar Tage so gut bewacht wie Regierungseinrichtungen, hatte keine Wirkung gezeigt. Ob er denn jetzt wieder ein Trainingslager … – Rehhagel stutzte die Runde zurecht: „Ihr mit eurem Trainingslager. Wir haben das Diktat der Presse. Aber wir leben in einer Demokratie. Da muss ich niemanden fragen, ob wir in ein Trainingslager gehen. Schönen Abend, meine Herren.“ Der Mann, den sie „König Otto“ nennen, trat ab. Vielleicht war es sein letztes Auswärtsspiel.
MARKUS BARK
Kraft- und kopflos
EFFZEH Beim SC Freiburg ergibt sich der 1. FC Köln fast kampflos. Das Team zeigt sich in einer miserablen physischen Verfassung
FREIBURG taz | „Gegen Freiburg / kann man mal verlier’n“, skandierten die SC-Fans nach dem 4:1 gegen den 1. FC Köln. Das stimmt – die Mannschaft von Christian Streich ist seit zehn Spielen ungeschlagen. Allerdings hat sich an der Dreisam schon lange keine Mannschaft mehr so bereitwillig in ihr Schicksal gefügt wie der FC. Dass es bei den Toren von Mensur Mujdza (36.), Karim Guedé (54.), Daniel Caligiuri (84.) und Sebastian Freis (90.) blieb – kurz nach der Pause hatte Lukas Podolski das 1:1 erzielt (47.) –, lag allein an der Freiburger Unkonzentriertheit beim Abschluss.
HERTHA-TRAINER OTTO REHHAGEL
Das 4:1 war also ein ausgesprochen gnädiges Resultat. Es grenzte fast schon an Überheblichkeit, wie der SC im zweiten Durchgang den Ball minutenlang laufen ließ, ohne dass ein Gegenspieler damit in Berührung gekommen wäre. Ein 1. FC Köln, der vorher schon eher ein Scherbenhaufen gewesen war, „brach“ im zweiten Durchgang endgültig „auseinander“, wie Verteidiger Christian Eichner zugab. Wie dieser kraftlose Torso am kommenden Samstag im „Endspiel“ (Eichner) gegen die Bayern bestehen will, ist dabei so unklar, dass gleich mehrere Kölner ganz kräftig im Wald pfiffen.
Eigentlich habe „sich ja an der Ausgangslage nichts geändert“, fand beispielsweise Mittelfeldmann Martin Lanig. Die Hertha habe schließlich auch verloren. Auch Coach Frank Schaefer wusste, dass es an diesem Nachmittag an ihm war, für so etwas wie Zuversicht zu sorgen. „Auch jetzt wieder in der Kabine treffe ich auf eine Mannschaft, von der ich das Gefühl habe, dass sie den Weg mitgeht“, behauptete er. Man kann das als Journalist schlecht verifizieren – Kabinen gelten als die letzte Tabuzone des Profibetriebs. 25 Minuten habe man zudem „gut gestanden“. Nun wusste natürlich auch Schaefer, dass er damit noch lange nicht erklärt hatte, was sich in den darauffolgenden 65 Minuten ereignet hatte. Ganz zu schweigen davon, dass der FC offensiv mal wieder nur dann stattfand, wenn Lukas Podolski die Zügel in die Hand nahm. Was auch nicht oft vorkam.
Schaefer machte sich also an die Ursachenfindung. „Mir war bei der Amtsübernahme klar, dass wir in der Kürze der Zeit gewisse Dinge nicht mehr stabil erarbeiten können.“ Was er mit dieser Aussage andeutete, hatte zuvor sein Spieler Sascha Riether – „die Freiburger waren einfach fitter als wir“ – noch deutlicher angesprochen: Die Spieler des 1. FC Köln sind schlichtweg in einem miserablen physischen Zustand. Nach den raren Balleroberungen blieben sechs von zehn Feldspielern in der eigenen Hälfte, nach 55 Minuten stemmte die Hälfte des Teams die Hände in die Hüfte und japste vornübergebeugt nach Luft. Was nur zum Teil mit den hochsommerlichen Temperaturen zu erklären war, die „wir hier eher gewohnt sind als ihr in Köln“, wie der freundliche Christian Streich unterstellte.
Extrainer Stale Solbakken, dem man gegönnt hätte, dass er sein Konzept mit einer individuell besser besetzten Mannschaft als dem FC hätte ausprobieren können, hat offenbar die physischen Grundlagen des Fußballspiels vernachlässigt. So hört man es im Lager der Kölner, wo man im Nachhinein sowohl die Trennung vom sympathischen Norweger als auch die vom egozentrischen Sportdirektor Volker Finke lieber früher vollzogen hätte. CHRISTOPH RUF
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