Leiter übers Festival „Überjazz“: „Jazz war nie ein Planet für sich“
Das Hamburger Festival „Überjazz“ präsentiert, was auf klassischen Jazz-Festivals eher nicht zu hören ist.
taz: Herr Jahnke, genre-offener Jazz scheint beliebter denn je zu sein, wenn man auf die Streamingdienste schaut. Merken Sie diese Offenheit bei den Musiker*innen?
Heiko Jahnke: Die Digitalisierung hat angenehme Effekte. Früher musste man, wenn man Jazzer werden wollte, den ganzen Kanon durchackern. Da konnte es passieren, dass jemand in der Szene alt geworden ist, aber nie so wichtige Electronica-Künstler wie Aphex Twin gehört hat. Dabei hat sich Jazz immer aus allem gespeist, was drum herum passierte. Jazz war nie ein Planet für sich.
Und heute?
Die Jazzmusiker*innen heute sind völlig anders sozialisiert. Die Möglichkeit, sich ein ganzes musikalisches Universum online in ein paar Stunden reinzuziehen – dafür hättest du früher Jahre gebraucht. Das hat viel verändert. Diversität ist heute ein Muss. Man kommt als Veranstalter mit gewissen Dingen nicht mehr durch, das finde ich absolut begrüßenswert.
Welche Musik erwartet die Besucher*innen beim Überjazz-Festival?
Der Terminus „Jazz“ ist vielleicht schon das Problem, da haben viele gleich ein ganz bestimmtes Bild im Kopf. Man wird auf seine Kosten kommen, auch wenn man sich in ganz anderen Genres verortet. Es ist ein Festival für Music Lover. Bex Burch ist ein gutes Beispiel, die veröffentlicht ihren „messy minimalism“ auf dem Label International Anthem, das sich selbst nicht als Jazzlabel versteht. Die brasilianische Sängerin und MPB-Legende Joyce Moreno ist zu Gast, wie auch ihre Enkel im Geiste, die Band Bala Desejo, die 2022 einen Latin Grammy gewonnen hat. Auch interessant: die ghanaische Sängerin Florence Adooni trifft auf die lebende Discokugel Carsten „Erobique“ Meyer.
Solche Bands unterscheiden Ihr Festival von anderen?
Überjazz: Fr, 3.11. und Sa, 4.11., Hamburg, Kampnagel
Als wir 2010 mit dem Überjazz anfingen, waren noch mehr Parteien ins Programmatische involviert.
… wie der NDR und das Jazz-Büro …
Dadurch drohte es ins Fahrwasser vieler deutscher Jazzfestivals zu geraten. Ein bisschen dies, ein bisschen das – mir fehlte da der rote Faden. Das Endergebnis hatte seine Berechtigung, aber es hat sich nicht wie ein Festival angefühlt, das es so nicht auch anderswo gegeben hätte. Ich wollte die Sachen bündeln, die auf den meisten deutschen Festivals nicht gebucht werden.
Viele Veranstalter*innen beklagen derzeit die fehlende Planbarkeit. Sie auch?
Wir haben erst vor ein paar Wochen eine Absage einer Künstlerin bekommen, ohne wirkliche Begründung. Für so ein Verhalten hätte ich früher wohl deutliche Worte gefunden. In diesem Jahr denke ich – abhaken, was mache ich stattdessen? Oder: Auf einmal möchte eine Band einen Flügel haben, wovon vorher nie die Rede war. Auch nicht einfach, mit Flügeln kann man bei einem kleinen Festival ja nicht um sich werfen.
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