Wahlausgang in Polen: Lebendige Zivilgesellschaft

Die Euphorie über das polnische Wahlergebnis entlarvt zu Teilen westliche Arroganz. Höchste Zeit, Polens Zivilgesellschaft wahrzunehmen.

Demonstration mit Megafon und Fahnen.

Viel Aktivismus in Polen: Frauendemonstration in Gdansk im Oktober 2022 Foto: Agnieszka Pazdykiewicz/Zuma Press/imago

Jetzt, wo in Polen eine Abwahl der nationalkonservativen Regierungspartei PiS in greifbare Nähe rückt, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. Zu Recht. Der Opposition, die unter erschwerten Bedingungen Wahlkampf machte, ist es gelungen, viele Nicht­wäh­le­r*in­nen und dabei vor allem auch junge Menschen, an die Urnen zu bringen. Die hohe Beteiligung von 74 Prozent macht klar, dass die Botschaft der Wi­der­sa­che­r*in­nen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński gehört wurde: dass es bei dieser Abstimmung ans Eingemachte ging.

Die Euphorie verweist jedoch auf Unterlassungssünden westlicher Po­li­ti­ke­r*in­nen und Be­ob­ach­te­r*in­nen – Medienschaffende inklusive. Wie klar strukturiert war doch die Welt, als man – ebenfalls zu Recht – auf die PiS eindreschen konnte, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aushöhlte und mit Brüssel im Dauerclinch lag. Deren Wäh­le­r*in­nen werden als tumbe Hin­ter­wäld­le­r*in­nen abgetan, denen höhere Sozialleistungen wichtiger seien als demokratische Grundrechte.

Als sei das ein Alleinstellungsmerkmal Polens. Groß war stets das Überraschungsmoment, wenn Zehntausende Frauen gegen ein extrem rigides Abtreibungsrecht auf die Straße gingen. Seht her, es gibt sie – eine lebendige Zivilgesellschaft und Menschen in Polen, die etwas anderes als die PiS wollen. Nun besteht die reale Möglichkeit auf einen Neuanfang. Ob dieser Wirklichkeit wird, ist offen. Die Gesellschaft ist nach wie vor gespalten – wie der numerische Wahlsieg der PiS beweist.

Die Regierungsbildung dürfte sich hinziehen. Ein demokratischer Machtwechsel setzt voraus, dass sich die drei potenziellen Ko­ali­ti­ons­part­ne­r*in­nen zusammenraufen. Die Geschichte bleibt heikles Terrain und der PiS-treue Staatschef Andrzej Duda wird bremsen und blockieren, wo er nur kann. Die Po­l*in­nen werden sich also in Geduld üben müssen – genauso wie Warschaus europäische Partner. Die Mischung aus Arroganz und Unverständnis gegenüber „dem Osten“ wäre dabei ein schlechter Ratgeber.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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