Das taz-Wahl-Lexikon für Hessen: Von Adorno bis Zinn

Hessen wählt einen neuen Landtag. Was hat den Diskurs zwischen Wäldern und Wolkenkratzern geprägt? Wir wissen es von A bis Z.

Frankfurt, Blick auf die Skyline mit den Gebäuden der Banken und anderen Hochhäusern

Frankfurt, die heimliche Hauptstadt Hessens Foto: Andreas Arnold/dpa

Adorno Theodor Wiesengrund Adorno gehörte zu den Wissenschaftlern, die 1923 (Jubiläum!) das berühmte Institut für Sozialforschung gegründet hatten. Die „Dialektik der Aufklärung“ verfassten Max Horkheimer und Adorno im Exil, in das sie vor den Nazis fliehen mussten. Die Studien zum „Autoritären Charakter“ erschienen nach der Rückkehr des Instituts in der Bundesrepublik. Auch hier forderten die 68er Parteinahme für die Revolution, Adorno sträubte sich und wurde zum Hassobjekt der Aktivisten. Regelmäßig sprengten sie seine Vorlesungen, im Januar 1969 ließ Adorno das Institut von der Polizei räumen.

Bembel Traditionelles Gefäß der Ureinwohnerschaft. Die grauen Steinkrüge mit blauen Verzierungen werden zum Ausschenken von Apfelwein, oder korrekt bezeichnet: Ebbelwei, verwendet.

CDU Im Flieger über den Anden gründeten Jungunionisten 1979 ein lange geheim gehaltenes Männerbündnis. Das Versprechen: niemals gegeneinander zu kandidieren. Franz-Josef Jung und Volker Bouffier hielten sich daran. 1999 überließen sie Roland Koch die CDU-Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl. Der siegte mit einer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft („Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“) und wurde Ministerpräsident, Bouffier Innenminister und später sein Nachfolger. Bei der Kampfabstimmung um den CDU-Parteivorsitz fiel der hessische Teil des Andenpakts final auseinander. Koch warb für Friedrich Merz, der auch einer der Männerbündler war, Bouffier für Annegret Kramp-Karrenbauer – die sich erst durchsetzte und dann scheiterte.

Dreikampf Tarek Al-Wazir ist offiziell Ministerpräsidentenkandidat der Grünen. Viel Aussicht auf Erfolg hatte der Offenbacher, so staatstragend er sich auch gibt, von Anfang an nicht. „Habecks Heizhammer“ und die Performance der Ampel haben die Chancen weiter schwinden lassen. Für SPD-Kandidatin Nancy Faeser allerdings sieht es auch nicht besser aus. Immerhin: Für TV-Trielle hat es gereicht.

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Erhebungen Ungekrönter König der Umfragen ist Ministerpräsident Boris Rhein. Alle Institute sehen die CDU mit 31 bis 32 Prozent vorne, was allerdings das zweitschlechteste Ergebnis der Christ­de­mo­kra­t*in­nen in Hessen seit mehr als 50 Jahren wäre. Doch weil SPD und Grüne bei 16-17 Prozent liegen, wird Rhein wahrscheinlich zwischen den beiden als Koalitionspartner wählen können. Die Linken (3 bis 4 Prozent) werden wohl rausfliegen, die FDP (5 bis 6 Prozent) muss um den Wiedereinzug in den Landtag bangen, die AfD (16 Prozent) leider nicht.

Fußball Der Verein Eintracht Frankfurt macht gefühlt etwa 50 Prozent der hessischen Identität aus. Der mal mehr, mal weniger erfolgreiche Fußballclub hat weit über Frankfurt hinaus eine breite Anhängerschaft, mittlerweile bei Frauen wie bei Männern. Daran konnte auch der Erfolg des zweiten hessischen Bundesligisten bei den Männern, Darmstadt 98, nicht allzu viel ändern.

Grie Soß Nationalgericht für Frankfurt und Umgebung. Man hackt (nicht mit dem Mixer zermatschen!) sieben frische Kräuter: Petersilie, Schnittlauch, Sauerampfer, Borretsch, Kresse, Kerbel und Pimpinelle; fügt Schmand oder Saure Sahne, Salz, Pfeffer, etwas Öl und Essig hinzu. Dazu passen Salz- oder Pellkartoffeln und hartgekochte Eier. Serviert man dazu paniertes Fleisch, mutiert das Ganze zum „Frankfurter Schnitzel“.

Klimaschutz Spielte im Landtagswahlkampf kaum eine Rolle, der Frust über das zunächst verunglückte Heizungsgesetz schon. Die AfD leugnet den Klimawandel, unterschwellig setzen sich auch CDU und FDP ab. „Auto verbieten verboten!“, plakatierte die CDU, die FDP „Feuer und Flamme für Hessen“. Sie forciert den zehnspurigen Ausbau der Autobahnen A5 und A3 durch Frankfurt, den die schwarz-grüne Landesregierung auf Eis gelegt hat zum Ärger eines Teils der CDU. Knatsch gab es schon um den Dannenröder Forst. Das Waldstück sollte der A 49 weichen, Ak­ti­vis­t:in­nen besetzten die Bäume, um gegen die Rodung zu demonstrieren. Unterstützung von den Grünen gab es kaum: Verkehrsminister Al-Wazir verwies auf die Zuständigkeit des Bundes.

Linkspartei Die junge Partei enterte 2008 mit Janine Wissler den hessischen Landtag, die heutige Parteichefin verhandelte damals mit der SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti und dem Grünen Al-Wazir, um die rechnerische rot-grün-rote Landtagsmehrheit in politische Macht umzuwandeln. Das Bündnis scheiterte an drei Abweichlern aus der SPD. Bei der Wahl am Sonntag droht die Linke auch in Hessen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Ypsilanti ist gerade wegen Faesers Asylpolitik (siehe Migration) aus der SPD ausgetreten.

Migration Die Doppelrolle als Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin hat Nancy Faeser mehr Probleme bereitet als genutzt. Für Linke und Linksliberale legt sie Hand an das Grundrecht auf Asyl, für CDU- und AfD-Anhänger*innen tut sie zu wenig, um die Flüchtlingszahlen zu senken. Und dass Arne Schönbohm, der geschasste Ex-Chef der obersten IT-Sicherheitsbehörde, ein so breites Medienecho fand, hat Faeser geschadet; dass sie sich zweimal dem Innenausschuss verweigerte, kam noch obendrauf.

Paulskirche In dem ehemaligen Kirchengebäude in Frankfurt sprach der Schriftsteller Martin Walser 1998 in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels von der „Moralkeule Auschwitz“ und markierte damit eine Wende im Umgang mit der Nazivergangenheit. „Geistige Brandstiftung“ warf ihm dafür der damalige Präsident des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, vor, der geschockt in der ersten Reihe saß.

Rechtsterrorismus Im Juni 2019 erschütterte der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) das Land. In Hanau erschoss am 19. Februar 2020 ein rechtsextremistischer Rassist neun junge Menschen. Anonyme Täter verschickten unter dem Kürzel „NSU 2.0“ hunderte Drohschreiben an Prominente, die sich gegen Rechtsextremismus eingesetzt hatten. Alexander M. wanderte dafür in den Knast, mögliche Bezüge zur hessischen Polizei, von deren Rechnern die Adressen abgerufen wurden, blieben ungeklärt. Bei den Ermittlungen stießen die Fahnder auf rechte Chatgruppen innerhalb der hessischen Polizei, das Landgericht aber lehnte eine Anklage ab. CDU-Innenminister Peter Beuth wiegelte stets ab, er hat seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt (siehe Untersuchungsausschuss).

Stil Boris Rhein, der aktuelle Ministerpräsident von der CDU, galt als harter Hund, bis er nach der Niederlage im Frankfurter OB-Wahlkampf seinen Stil änderte. Erst als Landtagspräsident, dann als Ministerpräsident gab und gibt sich Rhein überparteilich und volksnah, besucht Volksfeste, schüttelt Hände, posierte mit Weinköniginnen. Mit den Grünen regiert Rhein geräuschlos, von den Ausfällen seines Parteichefs Merz grenzt er sich vorsichtig ab.

Turnschuhe Joschka Fischer legte 1985 seinen Amtseid als bundesweit erster grüner Umweltminister in weißen Turnschuhen ab; die Landes-CDU, damals als antikommunistischer „Kampfverband“ bekannt, tobte. Die erste rot-grüne Regierungskoalition hielt nur 14 Monate, die Grünen wollten nach Tschernobyl die Hanauer Atomfabrik Nukem dicht machen. Im Februar schenkten Par­tei­freun­d*in­nen Al-Wazir für den Run auf die Staatskanzlei ein Paar Sneaker, diesmal in Grün. Er versprach, die Turnschuhe bei seiner Vereidigung als Ministerpräsident zu tragen. Dass es dazu kommt, ist allerdings unwahrscheinlich (siehe Dreikampf).

Untersuchungsausschuss Immer wieder Stein des Anstoßes in der hessischen Landespolitik, insbesondere der zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Als das Parlament 2014 einen Untersuchungsausschuss einsetzte, enthielten sich die Grünen, aus Loyalität zu ihrem Koalitionspartner. Die bringt die Partei immer wieder ins Schwimmen, sei es bei der Aufarbeitung des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau, der Veröffentlichung der NSU-Akten oder der Aufklärung der Drohschreiben des „NSU 2.0“.

Zinn Als „Baumeister des modernen Hessen“ wird der Sozialdemokrat Georg-August Zinn oft bezeichnet. Von 1950 bis 1969 regierte er als Ministerpräsident das Land und prägte mit seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik das Bild vom „roten Hessen“. 1948/49 hatte Zinn schon zum Parlamentarischen Rat gehört, der das Grundgesetz ausarbeitete. Dabei setzte er sich insbesondere für das Recht auf Asyl ein. Zinn berief 1956 Fritz Bauer als hessischen Generalstaatsanwalt nach Frankfurt am Main. Bauer war der Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 bis 1965), die die öffentliche Debatte um die deutsche Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen nachhaltig prägten.

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