Vergünstigte Bahntickets: Global fahren, lokal zahlen
Die Finanzierung des 49-Euro-Tickets ist noch nicht gesichert. Und doch spinnen die Verkehrsminister aus Deutschland und Frankreich große Pläne.
Wissing sprach denn auch von einem „großen Signal für den ÖPNV“. Er könne sich vorstellen, die beiden Tickets künftig grenzüberschreitend anzuerkennen. Perspektivisch träumt der deutsche Verkehrsminister von einem „Deutschlandticket“ für ganz Europa. Das 49-Euro-Ticket kann schon jetzt vereinzelt an Grenzbahnhöfen in Österreich, Frankreich und den Niederlanden genutzt werden.
Fragt man in Landesverkehrsministerien nach, begrüßen diese deshalb die französischen Überlegungen und die Idee, die Fahrkarten wechselseitig anzuerkennen. Das saarländische Mobilitätsministerium redet bereits seit Jahren nicht nur mit den Nachbarn in Frankreich, sondern auch mit denen in Luxemburg darüber, wie das grenzüberschreitende Ticketing im ÖPNV vereinfacht werden könnte. Ministerpräsidentin Anke Rehlinger hat dem Bund sogar Gespräche und das Saarland als Pilotprojekt angeboten.
Allerdings sind das bislang vor allem Wunschgedanken der Sozialdemokratin. Denn bevor „die durchaus wünschenswerte Ausweitung der Idee des Deutschlandtickets weiterverfolgt wird und die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für eine wechselseitige Anerkennung diskutiert werden können, muss der Bund seine Hausaufgaben erledigen“, heißt es aus dem Ministerium.
Verkehrsunternehmen finanziell am Abgrund
Dem pflichtet auch Oliver Krischer (Grüne), Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen bei: „Der gleiche Bundesverkehrsminister, der gerne und oft über alle möglichen neuen Ideen für das Ticket sinniert, tut gerade nichts dafür, dass die Finanzierung für 2024 und darüber hinaus gesichert wird“, sagt er. Viele Verkehrsunternehmen stünden finanziell am Abgrund. Wenn der Bund nicht bald eindeutige Zusagen mache, „haben wir am Ende ein tolles Ticket, aber keine Züge mehr, mit denen man es benutzen kann“.
Aktuell unterstützen Bund und Länder bis 2025 Verkehrsunternehmen bei der Umsetzung des 49-Euro-Tickets, indem sie jeweils 1,5 Milliarden Euro in das ÖPNV-Angebot investieren. Darüber hinausgehende Mehrkosten werden geteilt – allerdings vorerst nur bis Ende des Jahres. Eine Anhebung des Ticketpreises für mehr finanziellen Spielraum hält Krischer für den falschen Weg. „Die Menschen im Land brauchen Verlässlichkeit. Der Einführungspreis von 49 Euro muss auch im nächsten Jahr bleiben.“
Dirk Flege von der Allianz pro Schiene fordert zudem ein Sozialticket, damit auch Menschen mit geringen Einkommen davon profitieren, sowie eine bundeseinheitliche Lösung für Familien mit Kindern. In Österreich und der Schweiz sind solche Abovarianten längst Standard. All diese Fragen sollen auf einer Sonderkonferenz der Verkehrsminister besprochen werden, die für Donnerstag geplant ist.
Was gibt es sonst für Möglichkeiten, und wie machen andere Länder das? Das wollte die taz wissen und hat die Verkehrsministerien der Nachbarstaaten angefragt. Außer Polen haben alle angefragten Verkehrsministerien geantwortet.
Andere Nachbarstaaten weniger interessiert
Einzig der belgische Mobilitätsminister Georges Gilkinet (Grüne) hält das Deutschlandticket auch als grenzübergreifendes Modell für eine „interessante Idee“. Er sei „offen für alle Lösungen, die mehr Menschen davon überzeugen, kollektive, umweltfreundliche und nachhaltige Verkehrsmittel dem individuellen und umweltschädlichen Verkehr vorzuziehen“. Für Belgien hat der Minister eine Sanierungsoffensive der nationalen Bahninfrastruktur 2022 in Gang gesetzt und arbeitet derzeit an einem neuen und flexibleren Ticketing der Staatsbahnen.
Als Modell für ein mögliches landesweites Ticket nennt Gilkinet den Brupass. Die Fahrkarte kann in Zügen, Bussen und U-Bahnen der Hauptstadt(region) unabhängig vom Verkehrsunternehmen genutzt werden. Für die nächste Legislaturperiode plädiert der Minister für ein kostenloses, landesweit gültiges ÖPNV-Angebot für Menschen bis 26, wie es bereits in Brüssel und der Wallonie existiert. Um mehr Angebote im ÖPNV zu finanzieren, bringt Gilkinet die Streichung der Subvention von Firmenwägen ins Spiel.
Das wäre ein großer finanzieller Hebel, nicht nur in Belgien: Das Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft hat in einer Studie errechnet, dass der Bund das Dienstwagenprivileg in Deutschland mit bis zu 5,5 Milliarden Euro subventioniert. Das 49-Euro-Ticket bezuschusst der Bund aktuell nur mit 1,5 Milliarden Euro.
Für die deutschsprachigen Nachbarländer – Schweiz, Österreich und Luxemburg – ist das deutsche 49-Euro-Ticket nicht interessant – sie sind schon weiter. In Luxemburg ist der ÖPNV seit 2020 gebührenfrei. Langfristig erwartet die Regierung, dass die Abschaffung des Fahrkartenverkaufs die spontane Nutzung fördert und somit die Entdeckung des starken öffentlichen Verkehrsangebots in Luxemburg beschleunigt.
Hohe Nachfrage nach „KlimaTicket“ in Österreich
In der Schweiz setzt man seit 1898 auf das Generalabonnement (GA), das eher vergleichbar mit der Bahncard 100 ist und freie Fahrt in fast allen öffentlichen Verkehrsmitteln in der Schweiz inkludiert. Das GA 2. Klasse kostet 3.860 Schweizer Franken (umgerechnet 4.038 Euro) und liegt damit unter den 4.339 Euro für eine Bahncard 100.
Das Angebot hatte zuletzt 431.000 Nutzer:innen, die mit der Bahncard 50 vergleichbare Halbtax wird von fast 3 Millionen Menschen genutzt. Das zeigt, wie sehr der öffentliche Verkehr im Alltag der Menschen integriert ist. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation sieht dementsprechend keinen dringenden Bedarf für ein zusätzliches subventioniertes Nahverkehrsticket.
Österreich hat unter dem Motto „Eins für alle“ 2021 das „KlimaTicket“ eingeführt. Es kostet mit 1.095 Euro für Erwachsene nur einen Bruchteil der Bahncard 100. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) löste damit ein zentrales Versprechen der aktuellen Regierung ein. Insgesamt wurden bislang 248.000 landesweite Tickets (Stand August 2023) verkauft und die Prognosen bei weitem übertroffen.
Bahnexperte Flege sieht die Vorbildwirkung des KlimaTickets nicht nur bei der Befriedigung sämtlicher Verkehrsbedürfnisse, er unterstreicht auch den nennenswerten Beitrag zur Verkehrsverlagerung: 57 Prozent der Nutzer:innen gaben in einer Umfrage des VCÖ an, nun Strecken mit der Bahn zu fahren, die sie früher mit dem Auto gefahren sind.
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