Für die Orientierung

So lange schafft es kaum ein Indie-Label, sich am Markt zu behaupten: Staatsakt wird 20. Zum runden Geburtstag erscheint ein Interviewband, gefeiert wird mit einer zweitägigen Gala im HAU

Von Andreas Hartmann

20 Jahre ist ein langer Zeitraum für ein Independentlabel, die meisten halten nicht so lange durch. Die Berliner Plattenfirma Staatsakt aber hat nun zwei Dekaden hinter sich gebracht und feiert das auch angemessen. Mit einer großen Labeltour im Oktober und vorab einer zweitägigen Gala im Berliner HAU an diesem Wochenende, bei der ausgesuchte Staatsakt-Stars nicht bloß wie üblich Konzerte geben, sondern gemeinsam mit einer 17-köpfigen Big Band auftreten werden. Und weil man nur einmal im Leben 20 wird, rundet die Feierlichkeiten auch noch eine Festschrift im Buchformat ab, die eben unter dem Titel und gleichzeitigem Label-Motto „Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint“, beim Verbrecher Verlag herausgekommen ist.

Staatsakt-Chef Maurice Summen und Gunter Osburg suchten zu Beginn dieses Jahrtausends eigentlich eine Plattenfirma, die sich vorstellen konnte, etwas mit ihrer gemeinsamen Band Die Türen anzufangen. Die Suche verlief zäh und so kam die Idee auf: Dann machen wir das halt selber. Und so gründeten sie das Label. Die Türen gibt es immer noch, sie gilt als die Hausband der Plattenfirma, in der Osburg weiterhin Gitarre spielt, während er sich sonst als Teilhaber von Staatsakt längst zurückgezogen hat.

Im geschäftlichen Sinne war es eine mittelgeniale Idee, in den Nullerjahren eine Plattenfirma zu gründen

Im rein geschäftlichen Sinne war es nur eine mittelgeniale Idee, in den Nullerjahren eine Plattenfirma zu gründen. Die Neunziger, das goldene Jahrzehnt der Musikindustrie, war durch Napster und illegales Downloaden in ihren Grundfesten erschüttert. Die CD-Verkäufe gingen rasant nach unten und gut etablierte deutsche Indie-Labels wie Kitty Yo in Berlin und L‘Age D‘Or in Hamburg strauchelten und mussten bald aufgeben. Doch Staatsakt hat die schwierigen Jahre überstanden und steht heute ganz gut da, wo man Dank legalem Streaming und anderer Internetkanäle und außerdem aufgrund eines weiterhin steigenden Interesses an Vinyl-Schallplatten wieder Geld mit der Veröffentlichung von Musik generieren kann. Erfolgsacts wie Bonaparte und Lambert musste man ziehen lassen, dafür hat man mit Masha Qrella, Barbara Morgenstern, Die Sterne und den selbstentdeckten Isolation Berlin immer noch genug Musiker und Musikerinnen mit an Bord, die dauerhaft gut laufen.

Seit ein paar Jahren existiert außerdem das Sublabel Fun in the church, das seltsamen Krautjazz oder Postpunk aus Brasilien veröffentlicht und bei dem immer noch nicht so ganz klar ist, wohin die Reise gehen soll, was diese aber umso spannender macht.

Was aber ist das Geheimnis des Erfolgs von Staatsakt? Sicherlich, dass es geschafft wurde, als Marke wahrgenommen zu werden, die dem eigenen Motto „Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint“ zumindest meistens gerecht wird. Im gleichnamigen Buch, einem Interview-Band, in dem diverse dem Label verbundene Musiker und Musikerinnen über sich und ihr Schaffen berichten, kommt irgendwann die Frage auf, warum man heutzutage überhaupt noch ein Label braucht, wo jede und jeder die eigene Musik auch direkt bei Spotify hochladen und damit auf einen Schlag in der ganzen Welt gehört werden kann. Die Antwort lautet, da sind sich alle einig, um Orientierung zu schaffen. So lief das schon immer bei guten Indielabels: Sie stehen für einen bestimmten Sound und im besten Fall für eine klar erkennbare Haltung, mit der man sich gerne identifiziert. Und wer mit Staatsakt etwas anfangen kann, gibt bei den völlig unübersichtlich gewordenen Streamingdiensten eben einfach den Namen ein und bekommt Musik, die garantiert mehr sein will, als bloß Klangtapete zu sein.

Das 17-köpfige Magnetic Ghost Orchestra und die 15-köpfige Ampel   Foto: Benjakon

Geholfen hat bestimmt auch, dass Staatsakt zwar von Beginn ein Label war, das sich stark auf die Berliner Szene ausrichtete, dabei aber nie nur einen bestimmten Sound abbildete, den übermorgen vielleicht schon wieder niemand hören wollte. Man gab zudem schon früh vielen Hamburger Acts ein Zuhause und inzwischen sind auch einige österreichische und Schweizer Bands bei Staatsakt.

Nicht geschadet hat dem Label auch, so erfährt man in dem Buch, der Humor von Maurice Summen. Zumindest bei Andreas Spechtl von Ja, Panik. Der hat als Wiener einen gewissen Humor-Anspruch und sagt, erst habe er alles rund um Staatsakt witzemäßig nur so mäßig gefunden, aber für Deutsche zumindest okay. Inzwischen aber könne er mit dem Summen auch mal wirklich lachen und das sei einfach wichtig für ihn. Schön eigentlich, dass für manche Musiker und Musikerinnen der Wunsch, gemeinsam Spaß haben zu wollen, ganz offensichtlich ein Kriterium beim Eingehen einer Geschäftsbeziehung sein kann.

20 Jahre Staatsakt – Die Gala. 29./30. September im HAU 1

Markus Görres/Maurice Summen: „Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint. Staatsakt Stories“. Verbrecher Verlag, Berlin, 2023, 285 Seiten, 24 Euro