Bremer Oppenheimer-Oper „Doctor Atomic“: Der ganz große Countdown
Zwei Tage, die die Welt veränderten: John Adams' Oper „Doctor Atomic“ überzeugt mit starken visuellen Ideen und einem umwerfenden Hauptdarsteller.
Gäbe es nicht diesen einflussreichen Plastikspielzeugkonzern und seine blonde Anziehpuppe, der Mann wäre DAS ausgezehrte Gesicht des sommerlichen Kulturgeschehens im Jahr 2023: J Robert Oppenheimer (1904–1967), brillanter Physiker und Quasi-Vater der Atombombe; mithin Retter des freien Westens oder der Entfacher eines nie wieder einzuhegenden, die ganze Menschheit bedrohenden Feuers, je nach Sichtweise. Später in Ungnade gefallen, weil ihm die atomare Aufrüstung Sorge bereitete, noch später wieder rehabilitiert, aber auch nie so ganz. Und dann las so einer seiner Frau auch noch französische Erotika vor (und zur Entspannung heilige hinduistische Texte im Original-Sanskrit)?
Ohne Zweifel ist so einer also eine interessante, eine dankbar ambivalente Figur – und so wäre Christopher Nolans Drei-Stunden-“Oppenheimer“-Biografie wohl auch DAS Filmthema dieser Saison geworden. Gäbe es nicht, eben, diesen gleichzeitig in die Kinos gebrachten, offenbar alles überstrahlenden „Barbie“-Film.
Haben also Bremens Opernverantwortliche besonderes Gespür bewiesen, als sie beschlossen: Zum Saisonauftakt spielen wir John Adams’ Oppenheimer-Oper „Doctor Atomic“? Wie zur Sicherheit und halb im Scherz adressierte Dramaturgin Frederike Krüger es am Premierenabend im einführenden Gespräch mit Regisseur Frank Hilbrich: Die Entscheidung für dieses Stück sei keinesfalls dem enorm teuren Spielfilm geschuldet – wenn dann doch bitte schön anders herum; Nolan müsse die Bremer Pläne gekannt haben.
Freilich: Er ist kein selten gespieltes Stück, der 2005 uraufgeführte „Doctor Atomic“, wenn auch nicht jede Inszenierung den – nicht zuletzt visuellen – Ideenreichtum der Bremer Befassung erreicht haben wird. Auf eine nicht dem Kinoprogramm geschuldete Konjunktur, einen anderen Quell fürs wiedererwachte Interesse am prometheischen Hut- und Ledermantelträger Oppenheimer wies nun Regisseur Hilbrich hin: Experten zufolge sei das Risiko eines alles gefährdenden Atomkriegs derzeit größer als zu Zeiten des sogenannten Kalten Krieges. Eine Gelegenheit also für das mitunter so leichtfertig als esoterische Milieubespaßung verunglimpfte Musiktheater, Relevanz zu beweisen?
Nächste Vorstellungen: Fr + Sa, 22. + 30. 9.; 3., 12., 20. + 22. 10., Bremen, Theater am Goetheplatz
Als dritter Teil einer ausdrücklich reale politische Stoffe angehenden Trilogie ist „Doctor Atomic“ einsortiert worden, nach Adams’ „Nixon in China“ (1987) und „The Death of Klinghoffer“ (1991). Bestellt worden war eine Art amerikanischer Faust: Oppenheimer als einer, der dem Willen-zum-Wissen die eigene Moral, ja: Seele opfert (von ein paar Hunderttausend japanischen Leben ganz abgesehen)? Eher nein, hat der Komponist selbst gesagt, ironischerweise, weil ihm der so weit zurückreichende Mythos als zu wenig „amerikanisch“ erschien. Ironisch ist daran, dass Oppenheimer in der Realität des mittleren 20. Jahrhunderts ja der Vorwurf des „Unamerikanischen“ gemacht wurde; in vulgo: er sei Kommunist und, gelinde gesagt, unzuverlässig.
Adams und Librettist Peter Sellars haben nicht versucht, Oppenheimers ganzes, von seinem Ende her dann leicht als ambivalent zu beleuchtendes Leben zu erzählen – zum Glück! Der Text ist aus Authentischem montiert: Korrespondenz, Memoiren, einstmals populäre Sachbücher; andererseits bekommen poetische und religiöse Texte viel Raum, die den Physiker nachweislich beeinflussten: Baudelaiere, die Bhagavad Gita, die mit dem realen Oppenheimer befreundete Muriel Rukeyser und der metaphysische Dichter John Donne (1572–1631).
Wie der umwerfende Michał Partyka als Oppenheimer am Ende von Akt 1 Donnes „Batter My Heart“ zitiert, Ausdruck gepeinigten Glaubens und der Sehnsucht nach, ja: auch zerstörerischer Erlösung – das stiftet den Höhepunkt dieses rund dreistündigen Abends, mehr noch als der Moment der Atombombenzündung selbst. Nach schier endlos wirkenden Minuten findet der große Knall nur noch im Off statt: Das Undarstellbare darzustellen kann ja dieser Nolan im Kino versuchen.
Konzentrieren schon Adams/Sellars den technologischen Sündenfall auf zwei entscheidende Tage im Jahr 1945, fokussiert die Bremer Inszenierung das noch weiter: Wie in Zeitlupe bewegen sich da die Figuren, werden entscheidende Momente, Momente der Entscheidung ausgedehnt, als sollten sie sich umso besser studieren lassen. Um große Politik geht es im Stück, klar; aber Hilbrich, Volker Thiele (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüm) und Christian Kemmetmüller (Licht) ermöglichen den überzeugenden Darstellenden auch hart am Rande des Wahrnehmbares Minenspiel; man beachte unbedingt den vermeintlich so stoischen Hidenori Inoue als Edward Teller: Der echte Teller verriet, lange nach dem Bombentest, Oppenheimer bei den Kommunistenjägern.
Bestens passt zu all dem Dehnen, Ausbreiten, der langgedehnten Spannungsbögen Adams’ Musik: Erkennbar geschult am erst mal überschaubaren Vokabular des Minimalismus, aber alles andere als dort stehenbleibend; das Bremer Orchester unter Stefan Klingele, irgendwann dann auch sichtbar im Bühnenhintergrund, macht daraus eine ganze Menge.
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