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Neue Musik aus BerlinKomponieren unter Stalin

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker spielen drei Symphonien von Dmitri Schostakowitsch. Sie klingen zerissen und manchmal federnd leicht.

Berliner Philharmoniker und Kirill Petrenko beim Schostakowitsch-Konzert in der Philharmonie Foto: © Stephan Rabold

D mitri Schostakowitsch gilt als tragische Figur unter den russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine eigenen Werke schrieb er, insbesondere während der Diktatur Stalins, mit dem Wissen um die drohende Zensur. Als Kompositionslehrer ließ er zu, dass seine Lieblingsschülerin Galina Ustwolskaja künstlerisch isoliert wurde, gab diese später zu Protokoll. Wie er genau zu den herrschenden Verhältnissen stand, ist umstritten, in seiner Musik versteckte „Botschaften“ deuten darauf hin, dass er mit der Diktatur zumindest haderte.

Schostakowitsch komponierte unter Stalin nicht bloß Hymnen für diesen, sondern auch seine 8. und 9. Symphonie, die der Dirigent Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern, zusammen mit der 10. Symphonie, neu eingespielt hat. Die 8. entstand 1943 unter dem Eindruck der Schlacht um Stalingrad, von martialischen Gesten jedoch keine Spur. Seine Melodien in c-Moll bringen eher Nachdenklichkeit und Trauer zum Ausdruck, hier und da mischt sich Wut darunter. Nach Kriegsende wurde sie verboten.

Tänzerisch, fast klassisch die 9. Symphonie von 1945, dramatisch zerrissen die 10., die nach Stalins Tod 1953 uraufgeführt wurde. Petrenko und die Berliner Philharmoniker wählen den Ausdruck stets angemessen, ob federnd leicht oder aufwühlend.

Das Album

Dmitri Schostakowitsch: „Symphonies 8-10“; Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko (Berliner Philharmoniker Recordings)

Petrenko spricht sich im Booklet der in der Pandemie gemachten Aufnahme vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine zudem für die Freiheit aus. Auch das angemessen.

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Kulturredakteur
Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.
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1 Kommentar

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Als Kompositionslehrer ließ er zu, dass seine Lieblingsschülerin Galina Ustwolskaja künstlerisch isoliert wurde, gab diese später zu Protokoll.""



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    Zweimal bekam Schostakowitsch die Peitsche Stalins zu spüren, -- avantgardistische Kompositionsmethoden und der Kontakt mit westlichen Komponisten wurden ihm verboten. „Formalismus“ und „Kosmopolitismus“ lautete 1936 und 1948 der Vorwurf gegen den russischen Künstler.

    Während den Säuberungen 1936-37 wurden russische Künstler, Politiker und einfache Werktätige für weit aus geringere und vor allem auch aus nichtigeren Anlässen verhaftet, zu Tode gefoltert oder erschossen.

    Offene und direkte Opposition zu Lebzeiten von Stalin hatte keine Chance. - So bleibt nichts anderes übrig als in den Werken von Schostakowitch nach Spuren einer oppositionellen Haltung in seiner Musik zu suchen. - Es lohnt sich - und nicht nur um die erstaunlichen Brüche und Wendungen in seiner Musik zu interpretieren.